Ruperto Carola Ringvorlesung: Immaterielles Erbe – eine Zukunftsressource?Dokument oder transformative Ressource? Phonographische Aufnahmen im UNESCO-Register Memory of the World
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- Mittwoch, 28. Juni 2023, 18:15 Uhr
- Alte Universität, Aula, Grabengasse 1, 69117 Heidelberg
- Prof. Dr. Sebastian Klotz, Humboldt-Universität Berlin, Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft
Seit der Aufnahme der historischen Walzenbestände des Berliner Phonogramm-Archivs in das Register Memory of the World im Jahr 1999 haben sich die Perspektiven auf phonographische Aufnahmen sehr stark verschoben. War die damalige Würdigung durch die UNESCO in erster Linie der Sicherung und Wahrung verlorener bzw. gefährdeter Traditionen verpflichtet, thematisieren wir aktuell die kulturelle Situiertheit der Aufnahmen. Das Konzept der sensiblen Sammlungen rückt die eingeschränkten Rechte und Handlungsräume der unter kolonialen bzw. Kriegsumständen (siehe die Aufnahmen der geheimen Königlichen Preußischen Phonographischen Kommission im 1. Weltkrieg) aufgezeichneten Akteure ins Blickfeld. Post-koloniale Zugänge weisen auf die extraktive Praxis hin, die indigenen Gruppen ihre Stimmen und kulturellen Traditionen mittels ihnen nicht zugänglicher Technologien entzieht und ohne weitere Einflussnahme auswertet und kulturell interpretiert. Die historischen Aufnahmen erweisen sich als transformative Objekte, deren kulturelle Bedeutung nicht fixierbar ist. Sie ist vielmehr multi-dimensional und unterliegt fortgesetzten Aushandlungsprozessen in Wechselwirkung mit den Herkunftskulturen.
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Immaterielles Erbe: eine Zukunftsressource?
Mit ihrem Konzept von Fokusthemen trägt die Universität Heidelberg zweimal jährlich gesellschaftliche relevante Forschungsfragen in unterschiedlichen Formaten an die breite Öffentlichkeit heran. Zu den Angeboten im Sommersemester 2023 gehört die Ruperto Carola Ringvorlesung mit dem Titel „Immaterielles Erbe: eine Zukunftsressource?“.
Die UNESCO-Konvention zum Schutz des immateriellen Erbes der Menschheit wurde 2003 verabschiedet. Sie hat der Anerkennung des Konzepts des immateriellen Erbes global zu einem Durchbruch verholfen, in vielen Ländern mittlerweile aber auch nationale Listen immateriellen Erbes initiiert. Im Zentrum der Umsetzung standen bisher insbesondere regionale, auch indigene Kulturtraditionen etwa aus den Bereichen Musik, Schauspiel, Erzählen, Handwerk, Kochkunst oder auch religiös-spirituelle Praktiken. Lange Zeit wurde die Konvention insbesondere als ein Schutzinstrument für regionale Traditionen des globalen Südens gesehen, mittlerweile werden jedoch auch von mitteleuropäischen Staaten regelmäßig Nominierungen für die Schutzlisten der UNESCO-Konvention vorgelegt. Die Kulturwissenschaften sind in die Prozesse des „Making of“ des immateriellen Erbes involviert, diskutieren darüber hinaus aber auch die Erarbeitung und Umsetzung der UNESCO-Konvention kritisch: Macht es überhaupt Sinn, angesichts von Globalisierungs- und Modernisierungsprozessen sowie touristischer Inanspruchnahmen, entsprechende Traditionen als „Kulturerbe“ zu schützen? Werden damit überholte, kaum mehr verstandene Kulturformen und restaurative Gesellschaftsverständnisse konserviert? Oder kann umgekehrt die Aktivierung immateriellen Erbes eine Ressource für die Zukunftsgestaltung darstellen? Zum 20-jährigen Jubiläum der UNESCO-Konvention werden diese Fragen im Rahmen der Ruperto Carola Ringvorlesung diskutiert: in übergreifender Weise und auch in Bezug auf konkrete ausgewählte Kulturtraditionen.