Martha SaalfeldEine „Pfälzische Sappho“
Die fast vergessene Schriftstellerin Martha Saalfeld
Als am 6. März 1932 am Nationaltheater Mannheim Martha Saalfelds Tragikomödie „Beweis für Kleber“ uraufgeführt wurde, kam ein Stück auf die Bühne, das Thomas Mann als „ein begabtes, zum Aufhorchen zwingendes Manuskript“ bezeichnete. Es sei „das Erzeugnis eines intensiven und intelligent zugreifenden Talents, das nach allem menschlichen Ermessen eines Tages Bedeutendes zu geben haben wird“. Hermann Hesse schrieb, man werde sich später „auch mancher Dichter erinnern, deren Schicksal es war, (…) einsam und unverstanden ihre schönen Dichtungen geschrieben zu haben, und unter ihnen wird man auch Martha Saalfeld nennen, weil ihre Gedichte wirkliche Dichtungen sind“. Doch die südpfälzische Autorin, die während ihres Studiums in Heidelberg zu schreiben begann, ist heute weit weniger bekannt, als die beiden berühmten Schriftstellerkollegen es erwartet haben.
„Martha Saalfeld erlebte ein klassisches Frauenschicksal: Trotz der frühen literarischen Erfolge und der hohen Anerkennung von Fachkollegen konnte sie ihre Karriere nie entfalten“, erklärt Anja Ohmer. Die Literaturwissenschaftlerin leitet die 2022 in Saalfelds Geburtsstadt Landau eröffnete Martha-Saalfeld-Forschungsstelle, die die Wiederentdeckung der Dichterin fördern will, deren Geburtstag sich 2023 zum 125. Mal jährte. Die Forschungsstelle verfügt über Saalfelds Nachlass und plant eine vollständige Herausgabe und Digitalisierung ihres Gesamtwerks, denn selbst die zwischen 1998 und 2003 neu herausgegebenen Romane und Gedichte der „pfälzischen Sappho“, wie Elisabeth Langgässer sie nannte, sind zurzeit nicht erhältlich. Ein erster Teil des Werks wurde mittlerweile über den Online-Katalog der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau, an deren Zentrum für Kultur- und Wissensdialog (ZKW) die Forschungsstelle angesiedelt ist, digital für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ich kam nach Heidelberg und genoss da neue Freiheit und verliebte mich außerdem und schrieb dann Gedichte.
Martha Saalfeld
„Martha Saalfeld zählt unbestritten zu den wichtigsten Autoren der Nachkriegszeit als Romanautorin und des 20. Jahrhunderts als Dichterin von Gedichten. Sie dem Vergessen zu entreißen, ist keine Frage der Pietät, sondern der Notwendigkeit“, schrieb bereits 1986 der Landauer Autor und Martha-Saalfeld-Kenner Wolfgang Diehl in einem Materialienband zu ihrem Werk. Stefan Zweig fand ihre Gedichte „ungemein stark geformt und sehr vielfältig in ihrer Anlage“, Elisabeth Langgässer schrieb, in Saalfelds Naturdichtung mische sich „schärfste Beobachtung, unbestechliches Gefühl und genauer Ausdruck mit visionärer Kraft, eine fast männliche Diktion und Vollendung der Form mit weiblicher Phantasie, Kälte und Bitterkeit des in sich kreisenden Daseins mit der tiefen Süße des Kerns“.
Anja Ohmer zählt Martha Saalfeld zu den wichtigsten Vertreter:innen der deutschen Naturlyrik, sie schrieb aber auch Theaterstücke, Erzählungen und Romane wie die von ihrer Landauer Kindheit inspirierte „Judengasse“ (1965). Vieles in den Romanen, die eine ungewöhnliche Aktualität besäßen, sei von ihrer Naturlyrik her zu verstehen, an die auch die rhythmisierten Sätze ihres Erzählstils erinnerten, sagt Ohmer. Die zwischen 1954 und 1970 entstandenen Romane schwebten „schwerelos und märchenhaft-erzählerisch in einem Bereich zwischen Traum und Wirklichkeit“. Saalfeld verdeutliche darin eines ihrer wichtigsten Themen: die Bewahrung der Natur, lange bevor Natur- und Umweltschutz ein Thema gewesen seien. „Sie ist hier ganz eindeutig ihrer Zeit weit voraus, zugleich findet sich in ihren Romanen ihre Botschaft zur Mitmenschlichkeit, zur unantastbaren Menschenwürde, ohne alle Selbstgerechtigkeit.“
Schon als Kind in Landau habe sie Gedichte und „Kindergeschichten“ geschrieben, sagte Martha Saalfeld 1955 im Süddeutschen Rundfunk (SDR). 1921 begann sie in Heidelberg zu studieren: „Ich kam nach Heidelberg und genoss da neue Freiheit und verliebte mich außerdem und schrieb dann Gedichte – Sonette“, sagte sie zur Frage, wann sie begonnen habe, als Dichterin zu schreiben. Der Mann, in den sie sich verliebte, war der Nationalökonomie-Student Werner vom Scheidt: „Wir gingen beide in die kunstgeschichtlichen Vorlesungen und beschäftigten uns hauptsächlich mit Kunst“, erzählte sie in einem weiteren SDR-Interview. Eingeschrieben war sie für Philologie, im SDR sagte sie, sie habe „hauptsächlich Philosophie und Kunstgeschichte“ studiert, habe „bei (dem Philosophen Karl) Jaspers studiert, bei (dem Germanisten Friedrich) Gundolf gehört“. 1927 exmatrikulierte sie sich, 1928 heiratete sie vom Scheidt und begann eine Apothekerausbildung, 1930/31 war sie nochmals für zwei Semester in Heidelberg immatrikuliert und besuchte Veranstaltungen in Botanik und Chemie.
Die Apothekerausbildung sicherte Saalfeld später ihr Auskommen, denn trotz früher Erfolge blieb ihr der große Durchbruch als Schriftstellerin versagt. 1925 erschienen in der Zeitschrift „Heimaterde“ des Literarischen Vereins der Pfalz ihre ersten Gedichte. 1926 wurden in der „Neuen Rundschau“ unter dem Titel „Der unendliche Weg“ zusammen mit Holzschnitten vom Scheidts 24 Gedichte veröffentlicht, mit denen sie ihren eigenen Stil entwickelte, wie sie dem SDR sagte, und die Aufmerksamkeit von Stefan Zweig und Hermann Hesse, mit dem sie später in Briefkontakt stand, auf sich zog. Es folgten weitere Veröffentlichungen, bevor das Dritte Reich „seelische und wirtschaftliche Not“ brachte, wie es Wolfgang Diehl beschreibt: Saalfeld wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, durfte nicht mehr veröffentlichen und musste Apothekendienst leisten: „Ich war Assistentin in der Apotheke und zog von Ort zu Ort, gab da und dort Gastrollen, das war in der schlimmen Zeit zwischen 33 und 45“, erzählte sie. In dieser Zeit entstand heimlich ihre erste Prosa, „als ich in der Apotheke stand, in der Rezeptur, da hatte ich einen Zettel in der Tasche und schrieb Satz für Satz“.
1948 zog das Ehepaar zurück in die Pfalz, nach Bad Bergzabern bei Landau. Martha Saalfeld veröffentlichte weitere Gedichte und Erzählungen, ab 1954 auch Romane; sie war Mitglied des Deutschen P.E.N. und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und erhielt Auszeichnungen wie den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, aber die große Bekanntheit blieb aus. Als Grund dafür werden Verlagsstreitigkeiten angesehen, aber auch Saalfelds Stolz und ein eigenwilliger Charakter: „Die Wohnortwahl Bad Bergzabern, ein Verleger, der – wie es sich später herausstellte – seine Autoren übervorteilte, und die Verweigerung einer geistigen Prostitution im beginnenden Medienzeitalter trugen sicher zu einer schwierigen Position bei“, schrieb Wolfgang Diehl. Saalfeld selbst bezeichnete sich unter anderem wegen ihres Engagements gegen Atomwaffen und ihrer SPD-Zugehörigkeit als „Persona ingrata“. 1976 starb sie in Bad Bergzabern und wurde in Landau beigesetzt, wo seit 1991 der Martha-Saalfeld-Platz an sie erinnert. Seit 1994 vergibt das Land Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem ZKW jährlich den mit insgesamt 10.000 Euro dotierten Martha-Saalfeld-Preis für rheinland-pfälzische Autor:innen, bestehend aus einem Haupt- und einem Förderpreis.