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Wichtig ist es, sichtbar zu sein

Facetten des Transfers

Aufrüstung und Hegemonialbestrebungen, Menschenrechtsdebatten, technologische Innovationen und Produkte „Made in China“–China wird hierzulande immer mehr zum Thema und doch wissen wir viel zu wenig vom Gegenüber und haben ein von Stereotypen geprägtes—und oft allein auf die Volksrepublik China ausgerichtetes—starres Chinabild.

 

KEYNOTE_PANEL_Barabra Mittler

Im Interview der Reihe „hei_INNOVATION meets“ spricht Dr. Isabel Wagner mit Prof. Dr. Barbara Mittler und Dr. Odila Schröder vom Institut für Sinologie am CATS (Centrum für Asienwissenschaften und Transkulturelle Studien), um mehr über das Projekt China-Schul-Akademie zu erfahren, das versucht, Lehrer:innen einen differenzierteren Zugang zum Thema zu ermöglichen, Antworten auf kontroverse Fragen zu geben und das Land in seiner geographischen und historischen Vielstimmigkeit erfahrbar zu machen. Wieso die Arbeit mit Schulen so wichtig ist, wie es mit dem China-Wissen in unseren Schulbüchern steht und auf welche weiteren vielfältigen Formate des Wissenstransfers das Team der China-Schul-Akademie und Prof. Mittler zurück greift, um mit der Öffentlichkeit in einen Dialog über China zu treten und so transkulturelles Verstehen zu fördern, erfahren wir im Interview.  

 

Odila Schroeder

Wer sind sie? Möchten Sie sich als erstes vorstellen?  

Barbara Mittler: Mein Name ist Barbara Mittler und ich leite die China-Schul-Akademie am CATS (Centrum für Asienwissenschaften und Transkulturelle Studien). Ich bin seit 2004 als Professorin in Heidelberg. Mein Gebiet ist die Kulturgeschichte Chinas im 20. Jahrhundert, aber immer mit einem Rückblick auf frühere Zeiten. Ich habe in Oxford und Taiwan studiert, wo das alte China deutlich in den Blick genommen wird, so dass ich auch das 20., 21. Jahrhundert immer mit dem Blick auf die lange, so genannte „5000-jährige“ Geschichte, wie das die chinesische Kommunistische Partei will, betrachte. Das ist für mich auch in den Transfer-Projekten, die ich betreue – neben der China-Schul-Akademie sind das vor allem Musik- und Ausstellungsprojekte – wichtig.  

Odila Schröder: Ich bin Odila Schröder, ich bin eine der zwei Postdocs im Projekt China-Schul-Akademie. Ich habe in Heidelberg Sinologie studiert, unter anderem bei Barbara Mittler, habe in Nottingham promoviert und mich schon während des Studiums in diversen Transfer-Projekten engagiert, die versuchten, eine breitere Öffentlichkeit mit China in Kontakt zu bringen:  zum Beispiel habe ich im Heidelberger Schulteam mitgearbeitet, einem Projekt, das sich seit 2006 dafür eingesetzt hat, China irgendwie an Schulen zu bringen.

Beschreiben Sie bitte Ihr Transferprojekt. 

OS: Seit 2020 gibt es das vom BMBF finanzierte Projekt China-Schul-Akademie (CSA), bei dem wir Lernmodule zu China erstellen, die an Schulen in ganz Deutschland unterrichtet werden können. Wir bemühen uns auch, die Lehrkräfte in Online-Fortbildungen auf diese doch sehr komplexe Aufgabe vorzubereiten. Das Projekt ist für mich eine unglaubliche Bereicherung, auch wissenschaftlich. Wie können wir ganz grundsätzliche Fragen, die plötzlich von Lehrkräften, von Schüler*innen an uns herangetragen werden, beantworten oder zumindest versuchen, Antworten zu finden? Ich bin eine der vier Teammitgliedern. Dazu gehören auch Stefanie Elbern, Jonas Schmid und Marjolijn Kaiser.  

BM: Wir sind alle Sinologen in der CSA, aber mit unterschiedlichen Ausrichtungen: Geschichte, Literaturgeschichte, Musik- und Kulturwissenschaften, Politik- und Sozialwissenschaften.  Mit der China-Schule Akademie versuchen wir, China in den Fachunterricht zu bringen: Geschichte, Geografie, Politik/Wirtschaft, Religion/Ethik/Philosophie usw. Denn es sind nicht Sinologen, die als Lehrer*innen China unterrichten müssen, sondern solche, die als Historiker, Politikwissenschaftler oder Geographen ausgebildet sind und die in ihren Studiengängen normalerweise nicht sehr viel Kontakt mit China hatten. Und da versuchen wir Materialien zu erstellen, die immer auf originalsprachlichem Material basieren, damit die Lehrer*innen, in Übersetzung natürlich, auf dieses Material auch einen Zugriff haben. Dazu machen wir regelmäßig Fortbildungen, sodass die Lehrer*innen sich sicher fühlen, China zu unterrichten, auch wenn es im Studium nicht vorkam.  

OS: Wir haben mittlerweile 18 Lernmodule frei zugänglich auf unserer Plattform ChinaPerspektiven zu verschiedensten Themen, zum Beispiel Chinas jüngere Geschichte, Chinas Umgang mit ethnischen Minderheiten, politische Konflikte, Literatur und Kultur. Besonders wichtig ist für uns, dass die Materialien für Schüler*innen interessant sind; dass wir sie da abholen, wo sie stehen – und dass wir gerade bei kontroversen Themen multiperspektivisch arbeiten – also verschiedene Perspektiven und viele verschiedene Stimmen aus unterschiedlichen Teilen Chinas, also nicht nur von der Volksrepublik (in Übersetzung) hörbar machen und dabei immer auch historische Tiefe anbieten. Außerdem haben wir eine Linkliste zur Schulung von Medienkompetenz: Welche Datenbanken und Nichtregierungsorganisationen mit China-Bezug gibt es? Wie ist die China-Berichterstattung verschiedener Medien einzuordnen? Wir versuchen transparent zu machen, was man gerade für ein Medium konsumiert. Und wir haben z.B. eine Lernort-Karte, wo wir verschiedene Institutionen, oder zum Beispiel Denkmäler, Häuser, Pagoden in Deutschland aufgenommen haben, um sichtbar zu machen, wie präsent doch auch China in unserem alltäglichen Umfeld ist. 

Lernmodule der China Schulakademie

Welche Transferaspekte werden abgedeckt? In welchem Bereich des Transfers bewegen Sie sich?

BM: Für uns ist es besonders wichtig, dass wir originalsprachliche Materialien erschließen und nutzbar machen – das ist erst mal Grundlagenforschung. Und dann geht es eben darum, wie bringe ich ein Material in einen solchen Zustand, dass es nutzbar ist in der Schule. Und da haben wir eben einerseits die Fortbildungen, wo wir die Lehrer*innen an dieses Material heranführen. Und andererseits gehen wir in Schulen. Und drittens begleiten wir in Schulpatenschaften vor allem Lehrer*innen, die in der Oberstufe sogenannte Seminarkurse (in anderen Bundesländern: Seminarfach/Projektkurs etc.) unterrichten. Hier können wir gegenseitig voneinander lernen: Wir bringen Wissen rüber und die Lehrkräfte geben uns Hinweise darauf, wie wir unser Material so didaktisieren können, dass es in der Schule tatsächlich effektiv einsetzbar ist. 

OS: Das Problem, was wir tatsächlich sehen, ist, dass der Prozess von der Forschung bis zum Schulbuch extrem lange dauert. Wenn man in Schulbücher guckt, die momentan veröffentlicht werden, zum Beispiel in Baden-Württemberg und Niedersachsen, wo jetzt die Themen imperialistische Mächte in China oder auch Kolonialismus verpflichtend im Lehrplan vorgesehen sind, dann stellt man fest, dass sie meist einen Forschungsstand abbilden, der sehr alt ist. Wir haben nun teilweise auch schon mit diesen Schulbuchverlagen zusammengearbeitet, um zu gucken, wie man da vielleicht noch andere Quellen einbringen oder auch direkt Zitate aus der neueren Forschungsliteratur mit hineinnehmen kann. 

BM: Warum ist es so wichtig? Das sehen wir jetzt bei diesen ganzen konfrontativen Schwierigkeiten mit China, wo ja auch immer wieder gesagt wird, eigentlich müsste man den Dialog ganz abbrechen. So ähnlich, wie das mit Russland jetzt auch passiert. Aber gerade die Parallele Russland zeigt deutlich, dass es sehr, sehr wichtig ist, den anderen zu verstehen. Nicht um ihm alles zu glauben, sondern im Gegenteil, um ihm potenziell nicht glauben zu müssen und um der Propaganda nicht aufzulaufen, sondern eben tatsächlich dieser etwas entgegenstellen zu können.  Es gibt eine Wissensasymmetrie zwischen Asien und Europa. Europa weiß viel weniger über Asien als Asien über Europa. Und da ist es tatsächlich unglaublich wichtig, etwas zu ändern, damit wir eine Verständigung auf Augenhöhe ermöglichen. Das ist für die Wirtschaft wichtig, das ist für die Politik wichtig, das ist für gesellschaftlich relevante Institutionen extrem wichtig. Die Grundlagen dafür können am leichtesten in der schulischen Bildung gelegt werden. Deswegen glaube ich, ist der Ansatz, solches Wissen in die Schule zu bringen, an die Lehrer:innen zu bringen, die die Multiplikatoren sein können, ein effizienter Ansatz mit Langzeitwirkung.  

Wir haben deswegen auch ein Zertifikat entwickelt, „China-Kompetenz für die Schule,“ das an der Heidelberger School of Education (HSE) für Lehrer*innen und Studierende des Lehramts angeboten wird. Ähnliche Weiterbildungsangebote zur China-Kompetenz könnte man auch für alle möglichen anderen Gruppen neben den Lehrern anbieten. Wir glauben, dass die Materialien und unsere Arbeitsweise –  multiperspektivisch, regional breit und historisch tief denkend –  ein Modell sein kann für Zertifikate zum Beispiel für Menschen, die in der Wirtschaft, der Medizin, der Politik tätig sind etc. Es gilt, China von vornherein in seiner Komplexität darzustellen und trotzdem so runtergebrochen, dass man an einem Wochenende genug davon mitnehmen kann. Und dafür sind unsere Materialien wirklich Gold wert.

Was bedeutet Transfer für Sie persönlich?

BM: Sowohl Odila als auch ich haben den Bereich Musik immer mitbetrachtet in unserer sinologischen Arbeit. Für mich hat das immer auch bedeutet, dass ich Konzertprogramme mit Werken von chinesischen und taiwanesischen Komponist*innen mitkonzipiert und -initiiert habe. Ich arbeite etwa eng mit dem Klangforum Heidelberg zusammen. Auch in unserer Taiwan Lecture Series, wo wir seit 2007 Künstler, Musiker, Filmemacher usw. aus Taiwan einladen und Konzerte oder Filmfestivals organisieren. Das Völkerkundemuseum ist ein wirklich toller Partner für Ausstellungen. Ein Ausstellungs-Projekt, das ich dort gemeinsam mit einer Historikerin Indiens umsetzen konnte, beschäftigte sich mit Mao und Gandhi als globalen Ikonen. 2018 haben wir dort, gemeinsam mit dem Konfuzius-Institut und dem Karlstorkino eine aufwändige Veranstaltungsreihe zu „1968 Global – China und die Welt: eine Retrospektive“ initiiert. Wir haben Heidelberger 68er (oder solche, die sich nicht so nennen wollen, wie Klaus Staeck) bei einem Roundtable zusammengebracht, ein Ausstellung mit künstlerisch dekonstruierten Propagandabildern organisiert, eine Filmreihe mit Filmen wie La Chinoise von Godard oder Filme über die RAF gezeigt. Das war ein extrem öffentlichkeitswirksames Event, wo viele Heidelberger aus den unterschiedlichsten Bereichen dazu kamen. Wir hatten etwa vier Dutzend Veranstaltungen innerhalb von wenigen Monaten, im Völkerkundemuseum, im DAI, in der Alten Aula... Da gab es viel Echo aus allen möglichen Richtungen. Und das ist eben tatsächlich auch wichtig.  

Für die CATS Eröffnung haben wir den Künstler Ai Weiwei eingeladen und die chinesische Oper WENJI von einer Hong Kong-chinesischen, inzwischen in Amerika lebenden, Komponistin, LAM Bun-ching, aufgeführt, bei der es um Migrationsproblematiken geht.  Hier ist man angewiesen, auf Kooperation mit Institutionen wie Völkerkundemuseum, dem DAI, dem KlangForum – so etwas kann man nicht alleine stemmen als Wissenschaftler, da müssen die Profis ran. Meine Hoffnung ist aber immer, dass man so auch viel von dem vielleicht neuen, anderem Denken und Wissen vermitteln kann, was ja die Aufgabe der Universität ist. Als Universitätsprofessorin bin ich einerseits natürlich dafür zuständig, gute Sinologen auszubilden, aber andererseits eben auch dafür, das Wissen, was ich habe, nicht für mich alleine, im Elfenbeinturm und für die nächste Generation der Professoren zu horten, sondern es tatsächlich weiterzugeben und an möglichst viele zu vermitteln. Und wie vermittle ich? Über Kunst und Kultur ist das am einfachsten. Da erreiche ich mehr Menschen, als wenn ich einen langen Artikel schreibe. 

Haben Sie einen Tipp für andere Mitglieder der Universität, die sich für das Thema Transfer und Innovation interessieren?

OS: Wenn man jetzt konkret in Richtung Schule denkt, da lohnt es sich durchaus, einfach Fortbildungen anzubieten und sich auch da ansprechbar und sichtbar zu machen. Wir haben festgestellt, dass die regionalen Fortbildungszentren für Lehrer*innen sehr offen für externe Veranstaltungen sind. Und wenn man ein paar davon angeboten hat, kommen sehr schnell auch Nachfragen nach weiteren Kooperationen.  

BM: Wichtig ist es, sichtbar zu sein, über eine Plattform etwa, wie bei uns, oder breit über die verantwortlichen Stellen (etwa Kultusministerien in unserem Fall) beworbenen Veranstaltungen. Bei uns sind es die Fortbildungen, woanders könnten das regelmäßige Veranstaltungen sein, möglicherweise sogar digital, oder nachträglich online gestellt, so dass Leute einen finden können. 

OS: Unsere Fortbildungsveranstaltungen zeigen uns immer wieder, wie wichtig der direkte Kontakt und die Mundpropaganda sind. Und ich glaube, das können Wissenschaftler ohne Probleme in verschiedensten Formaten immer wieder weitergeben. Aber: das kostet natürlich Zeit – Zeit, die Universitäten und Geldgeber noch klarer wertschätzen und finanzieren müssten. 

BM: Vor allem aber braucht es in solchen Projekten Nachhaltigkeitsperspektiven. Wie viele Projekte ist die China-Schul-Akademie nur für einige Jahre finanziert – aktuell bis Herbst 2024. Dabei ist die Nachfrage irre groß und reißt nicht ab. Wir haben jetzt so viel Transfer-Know-How entwickelt, Erfahrungen in der Wissenschaftkommunikation gesammelt. Es wäre schon schade, wenn sich das alles über kurz oder lang wieder ganz verlöre...

Standorte der China Schulakademie