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Niklas SchenckDas Trauma besiegen

Der ehemalige Heidelberger Geographie-Student Niklas Schenck und sein Afghanistan-Film „True Warriors“

Niklas Schenck

Kabul, im Dezember 2014. Eine Gruppe afghanischer Künstler bereitet sich auf die Aufführung eines Theaterstücks vor, in dem es um Selbstmordanschläge geht. Eingeladen zur Premiere im französischen Kulturzentrum sind auch Niklas Schenck und seine Ehefrau Ronja von Wurmb-Seibel. Die beiden Journalisten arbeiten und leben zu dieser Zeit in der Hauptstadt Afghanistans. Kennengelernt haben sie dabei auch den Regisseur des Theaterstücks, Nasir Formuli. Den Besuch der Premiere müssen sie allerdings absagen, denn an diesem Tag steht der bereits gebuchte Rückflug nach Deutschland an. Nach ihrer Ankunft in Hamburg erreicht sie per Twitter eine schockierende Nachricht: Während der Aufführung in Kabul hat sich im Zuschauerraum ein 17-jähriger Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und dabei zwei Menschen mit in den Tod gerissen.

Drei Jahre später. Auf der Bühne des Heidelberger Karlstorkinos stellt sich ein Teil der an der Theaterinszenierung beteiligten Künstler, unter ihnen Nasir Formuli, den Fragen eines sichtlich beeindruckten Publikums. Das Attentat von damals ist wieder ganz nah. Gerade wurde ein Dokumentarfilm zu diesem Ereignis gezeigt, in dem auch die Explosion zu hören und ihre zerstörerische Kraft zu sehen ist. Für die Regie von „True Warriors“ – so der Titel – zeichnen Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel verantwortlich. „Nach unserer Rückkehr nach Deutschland erzählten uns Freunde am Telefon bald von Details, nach denen wir nie aktiv gefragt hätten, und sie erzählten nicht als Opfer, sondern schon früh als Handelnde. Plötzlich war es eine andere Geschichte als die, die wir aus der Tagesschau kannten. Also entschieden wir, den Film zu machen“, so Niklas Schenck, der 2010 an der Universität Heidelberg sein Studium der Geographie, Umweltgeochemie und Volkswirtschaftslehre abschloss.

„True Warriors“ ist durchsetzt mit zahlreichen Interviewsequenzen, in denen Künstler und Zuschauer zur Sprache kommen – mehr als 300 Menschen hatten die Aufführung besucht. Sie geben Auskunft darüber, wie sie das Attentat und den schwierigen Umgang damit erlebt haben. Gezeigt wird auch, wie ein Teil der Schauspieler nach dem Selbstmordanschlag in die Offensive geht. Als im März 2015 der Lynchmord an einer jungen Studentin namens Farkhunda wegen angeblicher Koranverbrennung weltweit für Schlagzeilen sorgt, beschließen sie, mit der Re-Inszenierung dieses Mordes wieder gemeinsam aufzutreten – auf einem öffentlichen Platz in Kabul, ungeschützt. „Egal, was ihr macht. Egal, wie viele Waffen ihr bringt, egal wie viele Bomben, ihr werdet mich nicht zerstören. Ihr werdet meine Kunst nicht zerstören“, bringt Schauspielerin Leena Alam das neu erwachte Selbstbewusstsein auf den Punkt.

Filmplakat „True Warriors“

„Zunächst schien es eine Geschichte über Traumata zu werden. Schließlich wurde es ein Film darüber, wie man es schafft, nicht in diesen zu verharren, sie vielleicht sogar zu besiegen“, erläutert Niklas Schenck. „Wir haben uns mithilfe der Interviews, die unsere Gesprächspartner in Großaufnahme zeigen, für die direkte Ansprache der Zuschauer entschieden. Unserer Meinung nach lässt sich so am besten der Schutzpanzer der Fremdheit durchbrechen“. Für den Regisseur hat diese Geschichte einen universellen Charakter, der über die aktuelle Situation in Afghanistan hinausreicht und jeden anspricht, der mit einer leidvollen Extremsituation konfrontiert wird. Zugleich ist der Film für Niklas Schenck und seine Frau aber auch eng mit der eigenen Geschichte verquickt: „Vieles, was wir in diesem Land bis zu diesem Zeitpunkt erfahren, gesehen und erlebt hatten, haben wir nach den intensiven Gesprächen und Begegnungen neu eingeordnet und abgespeichert. Dadurch haben wir Afghanistan noch einmal auf eine ganz andere Weise kennengelernt.“

Es ist einfach traurig, zu sehen, wie unendlich schön und wie unendlich reich das Land in jeglicher Hinsicht ist, und wieviel davon brachliegt durch Krieg.

Niklas Schenck

In das von Krieg und Terror gebeutelte Afghanistan hatte es Niklas Schenck eher zufällig verschlagen. Seine Frau, die als Reporterin für die Wochenzeitung „Die Zeit“ bereits mehrmals dort tätig war, überredete ihn zu einer privaten Reise, aus der schließlich ein rund einjähriger Aufenthalt wurde. Dabei entstanden auch mehrere journalistische Arbeiten, so zum Beispiel ein Filmbeitrag im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks über tödliche Blindgänger, die die ISAF-Truppen dort hinterlassen haben. Kennengelernt haben sie in Kabul auch den damals 15-jährigen Hasib, der später nach Deutschland floh und mittlerweile als Pflegesohn bei Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel in Hamburg lebt. Die Bindung der beiden zu Afghanistan ist weiterhin sehr stark. Nichtsdestoweniger sieht Niklas Schenck die aktuelle Situation sehr kritisch: „Die Sicherheitslage ist dramatisch schlechter geworden, seit wir da waren. Überall gibt es Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen. Wir wissen nicht, ob wir momentan noch einmal da leben könnten.“ In der Antwort auf die abschließende Frage, was ihn an Afghanistan so fasziniert, schwingt daher wenig Hoffnung auf baldige Besserung mit: „Es ist einfach traurig zu sehen, wie unendlich schön und wie unendlich reich das Land in jeglicher Hinsicht ist, und wieviel davon brachliegt durch Krieg.“

(Erscheinungsjahr 2018)

Weiterführende Informationen

Niklas Schenck

Niklas Schenck (Jahrgang 1983) hat parallel zu seinem Studium in Heidelberg eine Ausbildung an der Journalistenakademie der Konrad-Adenauer-Stiftung absolviert. Dem schloss sich später noch ein Besuch der renommierten Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg an. Für seine vielfältigen journalistischen Arbeiten erhielt er unter anderem den Axel-Springer-Preis und den Wächterpreis der deutschen Tagespresse. Beiträge von ihm wurden unter anderem für den Grimme-Preis, den National Magazine Award und für einen „Emmy“ nominiert, den bedeutendsten Fernsehpreis in den Vereinigten Staaten. Das Jahr 2018 stand für Niklas Schenck nicht nur im Zeichen seines ersten Kinofilms „True Warriors“, sondern auch des gemeinsam mit Oliver Schröm veröffentlichten Buchs „Die Krebsmafia“, einer investigativen Reportage über kriminelle Machenschaften in der Krebsmittelbranche.