This page is only available in German.

Lukas Weis Zwischen Sturm, Eis und Dunkelheit

Heidelberger Physiker forscht in der Antarktis

Porträt Lukas Weis

Das Anziehen ist ein mühsamer Vorgang: Jeweils drei Schichten am Oberkörper und an den Beinen, dazu zwei Paar Socken, vier Schals und eine Mütze. Darüber kommt der große rote Ganzkörper-Anzug. Zuletzt setzt Lukas Weis eine Schneebrille auf, die das halbe Gesicht verdeckt, und streift zwei Paar dicke Handschuhe über. Kein Millimeter Haut darf unbedeckt bleiben – erst dann ist der Physiker bereit für seine Arbeit. Für den Berufseinstieg hat sich der ehemalige Heidelberger Student einen ganz besonderen Ort ausgesucht: die Forschungsstation Neumayer III im ewigen Eis der Antarktis.

Dick eingepackt geht es nach draußen. Jeden Vormittag stapft Lukas Weis auf dem dicken Ekström-Schelfeis der Antarktis zu den zwei orangenen Schiffscontainern, die 1,5 Kilometer von der sicheren Station entfernt im weißen Nichts stehen. Im arktischen Winter fällt das Thermometer schon einmal auf minus 45 Grad Celsius. Ist die Haut derartigen Temperaturen ohne Schutz ausgesetzt, kann es binnen von Sekunden zu Erfrierungen kommen. Oft genug fegen zudem kräftige Stürme über das Eis und wirbeln Schneekristalle auf, so dass der morgendliche Gang zum Blindflug wird. Eine Handleine, die Container und Station verbindet, wird dann zur Lebensversicherung: Sie gewährleistet, dass der Wissenschaftler auf seinem ungewöhnlichen Arbeitsgang nicht verloren geht.

Spurenstoffobservatorium mit Polarlichtern und Milchstraße

In den Schiffscontainern befindet sich das Spurenstoffobservatorium der Neumayer-Station. Hier sammelt der Heidelberger Alumnus jeden Tag Luftproben, prüft und wartet die Messinstrumente und misst verschiedene Parameter wie den Gehalt von Feinstaub, Salzen oder Spurengasen in der Luft. „In der Antarktis gibt es keine lokalen oder saisonalen Beeinflussungen wie Abgase oder Pollenflug“, erklärt Lukas Weis. „Deswegen sind die Messwerte der Station so wertvoll. Sie bieten uns eine Art Referenzatmosphäre, in der wir Veränderungen im globalen Klima leichter erkennen können.“

Die Daten und Luftproben gehen an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz Europa, unter anderem auch an das Heidelberger Institut für Umweltphysik (IUP), an dem Lukas Weis studiert hat. Das IUP war es auch, das 1983 die Einrichtung des Spurenstoff-Observatoriums auf der Georg-von-Neumayer-Station initiierte – der ersten Überwinterungsstation Deutschlands in der Antarktis und dem Vorläufer von Neumayer III. Bis heute wird am Heidelberger Institut mit speziellen Instrumenten das Verhältnis von radioaktivem zu nicht-radioaktivem Kohlenstoff in den antarktischen Luftproben bestimmt. „Kohlenstoff, der aus fossilen Energieträgern stammt, ist nicht-radioaktiv, da die radioaktiven Bestandteile aufgrund der langen Lagerdauer zerfallen sind“, erklärt der Physiker. „Der Anteil von nicht-radioaktivem Kohlenstoff im Luftgemisch lässt also auf das Ausmaß der Klimabeeinflussung durch den Menschen schließen.“

Die Analyse der Proben kann allerdings erst mit einiger Verzögerung erfolgen, denn: Zehn Monate lang ist das Überwinterungsteam in der Antarktis mit Ausnahme einer Sattelitenverbindung von der Außenwelt abgeschnitten. „Mitte Januar hat das Versorgungsschiff abgelegt, das Material und Lebensmittel für ein ganzes Jahr zur Station gebracht hat“, erklärt Lukas Weis. Das war für ein gutes Dreivierteljahr der letzte unmittelbare Kontakt zum Rest der Welt. „Im extremen Notfall könnte uns ein Flugzeug erreichen. Allerdings nur, falls das Wetter mitspielt – und selbst dann braucht es drei bis vier Wochen“.

Pinguinküken wird gefüttert

Auch ohne Notfälle sind die vierzehn Monate für das Team der Neumayer-Station – bestehend aus sieben Forscherinnen und Forschern, einem Koch und einer Ärztin – eine echte Bewährungsprobe. Die ungewohnte Enge, kein direkter Kontakt zu Familien und Freunden, extreme Wetterbedingungen und dazu zwei Monate in absoluter Dunkelheit – „da muss das Zwischenmenschliche passen“, so Lukas Weis. Ein halbes Jahr, bevor es in die Antarktis ging, haben sich die Anwärterinnen und Anwärter für die Überwinterung bei einem zweiwöchigen Bergkurs erstmals kennengelernt. Teil des Programms: Stress- und Extremsituationen. „Wir sind an unsere Grenzen gebracht worden, um zu sehen, wie wir uns unter Belastung verhalten und im Team interagieren.“ Nach mehreren Gesprächen und physischen Untersuchungen war dieser Kurs die letzte entscheidende Hürde, die Lukas Weis im Auswahlprozess der vielen Bewerberinnen und Bewerbern nehmen musste.

Station aus dem Flugzeug

Arktis, Schnee, Polarforschung – das hat er schon als Kind spannend gefunden und die immer kürzer ausfallenden Winter in Deutschland sehr bedauert. Im Studium ging Lukas Weis daher für ein Auslandssemester nach Schweden, nun in die Antarktis. Die zwei Monate am südlichen Ende der Welt, in denen es die Sonne nicht über den Horizont schafft, hat er gut weggesteckt: „Dafür hatten wir über Stunden andauernde Dämmerzustände mit abertausend Rot- und Lilatönen.“ Ganz zu schweigen von den Polarlichtern, die immer wieder am Himmel wabern. Und wer kann schon von sich behaupten, einen Königspinguin in freier Wildbahn beim Schlüpfen beobachtet zu haben? All das hält der begeisterte Hobby-Fotograf in den Monaten auf der Neumayer III-Station mit seiner Kamera fest.

Mit gemischten Gefühlen sieht Lukas Weis dem November entgegen. Zu Beginn des antarktischen Sommers wird ein Flugzeug mit gut 30 sogenannten Sommergästen eintreffen – Wissenschaftlern und Technikern, die in den Sommermonaten hier forschen. Damit endet die Überwinterungszeit offiziell. Der Heidelberger Alumnus freut sich auf dieses Ereignis, das Abwechslung in den immer gleichen Alltag bringt. Allerdings ist da auch Wehmut – Wehmut, weil das Landen des ersten Fliegers das baldige Ende seiner Arbeit als Forscher in der Antarktis bedeutet.

Das Gespräch fand im Juli 2025 statt.