Mitgliederbefragung Toleranz, Transparenz, Transformation: Die Universität Heidelberg im Spiegel ihrer Mitglieder
Im Sommer vergangenen Jahres wurden die Mitglieder der Universität Heidelberg befragt, wie sie die Universität wahrnehmen, was sie mit ihr verbinden und wo sie den größten Handlungsbedarf sehen. Über 4.000 Mitarbeitende, Promovierende und Studierende nahmen an dieser Mitgliederbefragung teil. Im Folgenden sprechen Frauke Melchior (FM), Rektorin der Universität Heidelberg, und Lena Haubold-Frommherz (LHF), Referentin für Organisationsentwicklung im Rektorat, über die Ergebnisse und die daraus gezogenen Konsequenzen.
Welche Botschaften aus der Befragung sind für Sie besonders wichtig?
Frauke Melchior (FM): Die über 4.000 Antworten, darunter viele Freitexte, bestätigen zentrale Themen, die auch das Rektorat der Universität priorisiert. Besonders wichtig sind Digitalisierung, Nachhaltigkeit sowie Kommunikation, Transparenz und Wissensaustausch. Dieses Ergebnis bestärkt uns darin, mit unserem eingeschlagenen Kurs fortzufahren und die Universität zu einem Ort zu machen, an dem sich ihre Mitglieder eingebunden und wertgeschätzt fühlen. Gefreut hat mich zudem, dass die Universität in den Augen ihrer Mitglieder stark mit dem Begriff der Toleranz verknüpft ist – ganz im Einklang mit dem Selbstverständnis der Ruperto Carola und ihrem Wahlspruch „Semper Apertus“.

Lena Haubold-Frommherz (LHF): Das Feedback war sehr umfangreich und ehrlich. Als positive Aspekte der Universität wurden neben der Toleranz besonders ihre wissenschaftliche Stärke und ihre Weltoffenheit hervorgehoben. Diesen Ruf gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln. In anderen Bereichen, etwa bei den Themen Kommunikation und Führung, hat die Befragung konkreten Handlungsbedarf ergeben. Hier ist noch Luft nach oben. Mit dem Unispiegel Digital oder dem Livestream zu den Exzellenzclustern werden zurzeit neue Kommunikationsformate erprobt und mit dem Projekt Führungskultur konnten wir im Februar dieses Jahres einen Prozess starten, der die geäußerte Kritik etwa an hierarchischen und verkrusteten Strukturen adressiert.

In der Befragung ging es unter anderem um die Wahrnehmung der Universität durch ihre Mitglieder. Sie sollten die Universität auf einer Skala von 1 bis 6 anhand von Begriffspaaren verorten, etwa dynamisch/träge oder innovativ/rückständig. Was sind die Ergebnisse?
FM: Interessant ist zunächst, dass die Tendenz der Wahrnehmungen in allen drei Statusgruppen – Mitarbeitende, Studierende und Doktoranden – ähnlich ausfällt. Alle drei Gruppen etwa bewerten die Universität als eher innovativ denn als rückständig, als eher idealistisch denn als pragmatisch und als tolerant versus intolerant. Bei genauerem Hinsehen allerdings zeigt sich, wie vielschichtig die Wahrnehmungen sind: Der Durchschnitt mag einen Mittelwert mit leichter Tendenz zu dem einen oder dem anderen Begriff ergeben, in Wirklichkeit aber bewegen sich viele Antworten auf der gesamten Skala. Das spricht dafür, dass die Universität sehr unterschiedliche Erlebensräume in den verschiedenen Fakultäten, aber auch in Verwaltung und Mittelbau bietet. Beispielsweise sehen einige Mitglieder ihr Umfeld als international und divers, andere empfinden das Gegenteil. Während die Mehrheit unsere Universität als zukunftsorientiert wahrnimmt, erleben andere sie als rückwärtsgewandt. Hier zeigen sich viele Facetten, die sich schwer auf ein kongruentes Bild fokussieren lassen.
Die Antworten zeigen auch klare weniger positive Aspekte. So wird die Ruperto Carola von ihren Mitgliedern als eher träge, arrogant und hierarchisch empfunden. Hat Sie das überrascht?
LHF: Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die Mitglieder ihre Universität als weniger hierarchisch und als flexibel erleben. Überrascht hat uns das aber nicht. Wir stehen in engem Austausch mit vielen Menschen innerhalb der Universität und die Umfrage hat bestehende Eindrücke bestätigt. Auch bei der Kick-Off-Veranstaltung des bereits erwähnten Projekts Führungskultur kamen diese Aspekte erneut zur Sprache, etwa bei der Frage, wie Führung an der Ruperto Carola aktuell wahrgenommen wird.
FM: Einige Trends waren in der Tat deutlich, insbesondere etwa, dass die Universität als arrogant anstatt als bescheiden wahrgenommen wird. Was wir daraus ableiten sollten, ist gar nicht so einfach. Mit ihrer wissenschaftlichen Reputation kann die Universität durchaus mit breiter Brust auftreten – und das müssen wir auch, wenn es darum geht, die besten Köpfe für Wissenschaft und für die Verwaltung zu gewinnen. Problematisch ist eine selbstbewusste, unbescheidene Haltung allerdings dann, wenn sie mit Überheblichkeit einhergeht und wenn wir glauben, von anderen nichts mehr lernen zu müssen. Offenheit für neue Ideen ist essenziell – davon profitieren wir besonders in unseren Forschungsnetzwerken wie 4EU+, wo wir mit Spitzenuniversitäten wie der Sorbonne, Mailand oder Kopenhagen zusammenarbeiten und gemeinsam neue Lehrformate entwickeln.
Überrascht war ich allerdings davon, dass viele unsere Universität als hierarchisch und wenig partizipativ empfinden. Als Wissenschaftlerin an der Fakultät für Biowissenschaften und als Mitglied des Heidelberg Molecular Life Sciences Research Councils habe ich die Ruperto Carola selbst so nicht erlebt. Auch das spricht dafür, dass die Universität sehr heterogene Erlebensräume bietet. Im aktuellen Rektorat, das nun seit knapp zwei Jahren im Amt ist, legen wir viel Wert darauf, Wissen und Erfahrung unserer Mitglieder einzubeziehen, etwa bei der Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie oder dem Projekt Führungskultur. Und wir hoffen, dass das irgendwann auch so wahrgenommen wird.
LHF: Ich habe den Eindruck, dass der Kulturwechsel hier erste Früchte trägt. Im Mai und Juni hatten wir zu Sounding Boards eingeladen, um den Mitgliedern der Universität die Möglichkeit zu geben, den Entwurf eines Führungskodex zu kommentieren. Die Resonanz hierauf war so positiv, dass wir kurzerhand doppelt so viele Sounding Boards angeboten haben wie ursprünglich geplant.
Welche sonstigen Maßnahmen leiten Sie aus den Ergebnissen ab?
FM: Besonders im Bereich Wissensaustausch haben wir neue Strukturen geschaffen oder reaktiviert: regelmäßige Briefings und Debriefings zu internationalen Netzwerken wie 4EU+ und der European League of Research Universities (LERU), das neue KI-Board sowie Arbeitsgruppen im Bereich Lehre und ein neues Austauschformat für Stabs- und Geschäftsstellenleiterinnen und -leiter. Auch die Dekane-Runde haben wir erweitert, so dass nun neben dem informellen Austausch bei jedem Treffen ein inhaltliches Thema im Fokus steht, etwa im Bereich Berufungsverfahren oder Personalentwicklung. Hierzu werden neben den Dekanen gezielt auch andere relevante Personengruppen eingeladen, die zum Erfolg des jeweiligen Themas beitragen können, zum Beispiel die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Einrichtungen. Dieses Vorgehen ist Teil unseres Bestrebens, Hierarchien abzubauen und die Wissensträger zusammenzubringen – unabhängig von ihrem Status. Entscheidend ist, wer die größte Expertise zum Thema hat und wie wir dieses Wissen für die gesamte Universität nutzbar machen können.
LHF: Ziel ist es, die Zusammenarbeit über Hierarchie- und Statusgruppen hinweg zu stärken. Informationen sollen offener zugänglich sein und die Organisation durchdringen – dies ist gerade auch Zweck der regelmäßigen Meetings, die Frau Melchior genannt hat. Wir wollen interne Netzwerke stärken, in denen klar ist, wer Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner für welches Thema ist und wie man schnell und direkt an die relevanten Informationen gelangt. Das ist uns sehr wichtig. Auch zeigt sich bereits, dass an manchen Stellen zu gleichen oder ähnlichen Themen gearbeitet wird. Durch den regelmäßigen Austausch erreichen wir, dass die Bereiche voneinander wissen und sich vernetzen. Das schafft Synergien und schont unsere Ressourcen.
Sie sagten eingangs, dass von den Mitgliedern zudem die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit als prioritär bewertet wurden. Was passiert hier?
FM: Im Bereich Nachhaltigkeit passiert durch den Sustainability Think Tank kontinuierlich viel. Dieser wurde im November 2023 ins Leben gerufen und hat seitdem in einem partizipativen Prozess Vorschläge für konkrete Maßnahmen zur Förderung von Nachhaltigkeit entwickelt. Die finalisierten Empfehlungen wurden dem Rektorat im Dezember 2024 übergeben. Auf ihrer Basis wird nun die Nachhaltigkeitsstrategie der Universität Heidelberg entwickelt, die noch dieses Jahr durch Rektorat und Senat verabschiedet werden soll.
Auch bei der Digitalisierung gibt es an vielen Stellen Fortschritte. Hier sind drei Bereiche wesentlich: die Verwaltung, die Forschung und die Lehre. Allerdings: komplexe IT-Projekte brauchen Zeit und Geduld. Im letzten Frühling beispielsweise fiel der Beschluss, sechs Millionen Euro in den Ausbau des WLAN zu investieren. Bis der Ausbau aber tatsächlich vollzogen ist, wird es sicher noch bis Ende 2025 dauern.
Um der Bedeutung dieses Themas Rechnung zu tragen, haben wir mit Beginn des Rektorats den Aufgabenbereich des Prorektors für Forschung um den Aspekt Digitalisierung erweitert, und mit Dr. Nicole Najemnik die Position der Referentin für Digitalisierung und KI-Beauftragten geschaffen. Auch unser neuer Kanzler, Jens Meinen, der seit einem Jahr im Amt ist, sieht hier erheblichen Handlungsbedarf und macht Digitalisierung von Verwaltungsprozessen zu einer Kernaufgabe.
In der Forschung spielt die Digitalisierung schon lange eine wichtige Rolle, doch durch Technologien wie Large Language Models beschleunigen sich Entwicklungen enorm. Forschende, Studierende und auch Lehrkräfte müssen sich schnell auf neue Methoden einstellen. In der Lehre arbeiten wir intensiv daran, neue Angebote zu schaffen und Lehrende wie Lernende zu unterstützen. Insbesondere auch im Bereich der Lehramtsausbildung und der Weiterbildung von Lehrkräften ist das Wissen um Möglichkeiten und Risiken von Künstlicher Intelligenz enorm wichtig.
Zudem haben wir im vergangenen Jahr mit dem KI-Board ein Beratungsgremium ins Leben gerufen, das Leitlinien für alle strategischen Handlungsfelder der Ruperto Carola im Bereich der Künstlichen Intelligenz erstellt und das Rektorat berät. Die Weichen sind gestellt und wir werden in den nächsten Monaten und Jahren weitere Fortschritte sehen.
Insgesamt haben 4.000 Mitglieder der Universität an der Befragung teilgenommen. Unter den Mitarbeitenden lag die Beteiligung bei etwa 24 Prozent, bei den Studierenden jedoch nur bei 7 Prozent und bei den Promovierenden sogar nur bei 4,5 Prozent. Wie bewerten Sie diesen Rücklauf?
FM: Ein wichtiger Aspekt ist sicher, dass diejenigen, die eine langfristige Perspektive an der Universität haben – also die Mitarbeitenden – solche Umfragen ernster nehmen und eher bereit sind, daran teilzunehmen. Sie verbinden mit ihrer Rückmeldung die Hoffnung, dass die Ergebnisse auch für sie persönlich spürbare Auswirkungen haben könnten. Jüngere Menschen, die sich in Studium oder Promotion befinden, rechnen damit, dass ihr nächster Schritt aus der Universität hinausführt. Sie haben vermutlich weniger den Eindruck, dass ihre Teilnahme etwas für sie bewirkt. Das könnte ein Grund für die geringere Beteiligung dieser Gruppen sein.
LHF: Aus meiner Erfahrung in Unternehmen weiß ich: Wenn Befragungen regelmäßig stattfinden und wenn sie Veränderungen bewirken, steigt das Interesse an der Teilnahme deutlich. Da es unsere erste Umfrage war, waren viele noch zurückhaltend. Hinzu kommt möglicherweise die Sorge um die Anonymität – auch wenn wir absolut sichergestellt haben, dass die Antworten nicht zurückverfolgt werden können. Gerade vor diesem Hintergrund sind die 4.000 Rückmeldungen gar kein schlechtes Ergebnis. Insbesondere die Freitextantworten enthalten offenes Feedback, Anregungen und Ideen, mit denen wir weiterarbeiten können.
Was nehmen Sie für die künftige Arbeit mit?
LHF: Ich persönlich nehme insbesondere die Rückmeldungen zu den Themen Führung und Hierarchie mit. Im Rahmen des Projekts Führungskultur ist der nächste Schritt nun die Finalisierung des Führungskodex, der sich klar zu Werten wie Transparenz, Partizipation und Wertschätzung bekennt. Zudem starten wir im Sommer mit konkreten Teilprojekten etwa zur Entwicklung und Unterstützung von Führungskräften. Hier wollen wir das Angebot zeitnah erweitern und professionalisieren. Insgesamt arbeiten wir daran, Entscheidungswege transparenter und partizipativer zu gestalten. Das braucht Zeit, aber wir sind überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
FM: Wir setzen auf kontinuierlichen Austausch und Transparenz. Die Universität soll ein Ort sein, an dem sich alle Mitglieder wertgeschätzt fühlen und aktiv einbringen können. Die Befragung war ein wichtiger Impuls, und wir werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse in unsere Arbeit einfließen lassen und regelmäßig überprüfen, wie wir uns weiterentwickeln.