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Alfred Weber „Wir wollen Wirken!“

Der „Nestor der Soziologie“ Alfred Weber engagierte sich über die Wissenschaft hinaus

Porträt Alfred Weber

Zur Universität Heidelberg gehören heute sowohl das Max-Weber-Institut für Soziologie als auch das Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften: Die Gebrüder Weber, beide Soziologen und Nationalökonomen, lehrten und forschten nacheinander und sehr unterschiedlich lang am selben Institut, dem von Max eingerichteten Volkswirtschaftlichen Seminar, das unter Alfred zum Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (InSoSta) wurde. Während Max Weber noch heute wissenschaftlich rezipiert wird, ist der fachliche Nachruhm seines vier Jahre jüngeren Bruders etwas verblasst: Er wirkte vor allem in seiner Zeit – das aber über die Wissenschaft hinaus.  

Zu seiner Zeit galt Alfred Weber als einer der wichtigsten Vertreter der Kultursoziologie, später wurde er „vornehmlich zum Objekt der Historiker, die in ihm zu Recht eine bemerkenswerte Gestalt der jüngeren Geschichte sehen“, wie der Heidelberger Soziologe Wolfgang Schluchter schreibt. Der Historiker Eberhard Demm bezeichnet den 1868 geborenen Weber als einen der letzten Gelehrten mit universalem Anspruch, der neben der Kultursoziologie auch in vielen anderen Bereichen bahnbrechende Forschungsarbeit geleistet habe; sein 1909 veröffentlichtes wirtschaftswissenschaftliches Hauptwerk „Über den Standort der Industrien“ gilt als grundlegend für die Industriestandorttheorien. Zugleich war sein wissenschaftliches Werk eng mit politischer Aktivität verknüpft: DDP, Fahnenstreit, Kreisauer Kreis, „Dreizehnerausschuss“ – all das verbindet sich mit Alfred Weber, von dem der Ausruf „Wir wollen wirken!“ überliefert ist. 

Am beeindruckendsten ist dabei sicher Webers Widerstand gegen den Nationalsozialismus: Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 protestierte er in einem Leserbrief gegen die Beflaggung öffentlicher Gebäude mit Parteifahnen, wenige Tage später ließ er eine auf dem Dach des InSoSta gehisste Hakenkreuzfahne mit den Worten „Holen ‘Se den Lappen da runter“ entfernen. Mangels Unterstützung seiner Haltung von Universitätsseite beantragte er einen Monat später seine Beurlaubung für das Sommersemester und seine Emeritierung zu seinem 65. Geburtstag im Juli 1933. Fünf Jahre später lehnte der Rektor der Universität eine Anfrage des Reichserziehungsministeriums, ob man Weber zu seinem 70. Geburtstag gratulieren solle, mit Verweis auf dessen antifaschistische Haltung ab.  

Porträt Alfred Weber

Dieser Mann hat aktiv gegen Hitler gekämpft, und ich halte es für eine Ehrenpflicht, dies öffentlich auszusprechen.

Emil Henk

Während der gesamten NS-Zeit betrat Alfred Weber die Universität nicht, leistete aber im Rahmen seiner Möglichkeiten Widerstand, etwa indem er einem wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ relegierten Studenten eine Promotion bei einem seiner früheren Schüler in Basel vermittelte. Über seine ehemaligen Schüler Carlo Mierendorff und Theodor Haubach stand er in Kontakt zum Kreisauer Kreis; der Widerstandskämpfer und Heidelberger SPD-Politiker Emil Henk sagte später, dass sich in den letzten Kriegsjahren bei Weber regelmäßig die Sozialdemokraten getroffen hätten, die führend am Widerstand beteiligt waren: „Dieser Mann hat also aktiv gegen Hitler gekämpft, und ich halte es für eine Ehrenpflicht, dies öffentlich auszusprechen. Gerade er hat vor der Welt vor allem die Ehre der Universität gerettet. Das sind einfache Tatsachen.“ Sein während der „inneren Emigration“ verfasstes kultursoziologisches Hauptwerk „Kulturgeschichte als Kultursoziologie“ veröffentlichte Weber 1935 im Ausland, wo er als Stimme des „anderen Deutschlands“ galt.

Nach Kriegsende war Alfred Weber daher ein gefragter Ratgeber der US-Militärregierung und gehörte dem „Dreizehnerausschuss“ an, der die Wiedereröffnung der Universität vorbereitete und die Entnazifizierung des Lehrkörpers vorantrieb. Mit 77 Jahren nahm er seine Lehrtätigkeit wieder auf und etablierte zudem die Politikwissenschaft als neues Fach – einer der ersten beiden Lehrstuhlinhaber war sein früherer Student Carl Joachim Friedrich (mit dem er 1925 den Akademischen Austauschdienst gegründet hatte, aus dem der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD hervorging). Webers Bemühungen um das Fach Politikwissenschaft blieben aber nicht auf Heidelberg beschränkt, wie der Politikwissenschaftler Peter Molt schreibt: „Die Konzeption und die Reputation Alfred Webers spielten eine bedeutende Rolle bei der Einführung des neuen Fachs an den westdeutschen Universitäten.“ 

Alfred Weber, der 1948 Ehrensenator der Universität wurde, galt als begnadeter akademischer Lehrer. Laut Eberhard Demm begründete er zwar keine eigene Schule, förderte aber über die Jahrzehnte zahlreiche Studierende, die sein Werk auf die ein oder andere Weise fortsetzten. Zu seinen Schülern zählte neben vielen späteren Hochschullehrern wie dem Politikwissenschaftler Klaus von Beyme und wichtigen Medienschaffenden (1927 hatte Weber dem InSoSta ein Institut für Zeitungswissenschaften angegliedert) unter anderen auch der spätere doppelte Ministerpräsident Bernhard Vogel, der seinetwegen zum Studium nach Heidelberg kam und sein letzter Privatassistent war. 

Nach Kriegsende begann Alfred Weber auch wieder, wie früher in der Politik mitzumischen. Aus einem politischen Elternhaus stammend, hatte er sich bereits im Kaiserreich für soziale und demokratische Reformen eingesetzt; 1918 gehörte er wie sein Bruder Max und dessen Frau Marianne zu den Gründern der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), später kämpfte er für den Erhalt der Weimarer Demokratie. In der Bundesrepublik wurde Weber SPD-Mitglied und propagierte als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus einen „Freien Sozialismus“. Er engagierte sich gegen Atomwaffen und war 1954 sogar Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl – allerdings ohne sein Wissen und gegen seinen Willen auf Vorschlag der KPD: „Ich habe ihn noch nie so erregt und so empört gesehen“, erinnerte sich Bernhard Vogel an die unautorisierte Nominierung. 

Sein privates Glück fand Alfred Weber mit Else Jaffé-von Richthofen, die von 1909 bis zu seinem Tod 1958 seine Geliebte, Muse und schließlich Lebensgefährtin war – mit seinem Bruder als zeitweiligem Konkurrenten: Von 1918 bis zu seinem Tod 1920 wurde Max Weber zwar von Else als weiterer Liebhaber zugelassen, musste sich aber explizit mit einer sekundären und zeitlich eingeschränkten Rolle begnügen, wie Eberhard Demm es beschreibt. Laut dem Schriftsteller und Philosophen Ernst Wilhelm Eschmann, ebenfalls Student und später Assistent Webers, war die Beziehung zwischen Alfred und Else, „gerade wegen der Verschiedenheit und Ausgeprägtheit ihrer Charaktere, nicht zuletzt aber der hohen Bildung von Else Jaffé, ausgesprochen glücklich“.

(Erscheinungsjahr 2023)