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Studium Generale – DigitalIm Fokus: „der Islam“

Prof. Dr. Gudrun Krämer, Freie Universität Berlin, Institut für Islamwissenschaft

25. Mai 2020

Mit dem Islam hat Max Weber sich nur am Rande beschäftigt und unter dem Vorzeichen der leitenden Frage, was den Islam als eine der großen außereuropäischen „Kulturreligionen“ vom Okzident unterschied, warum er nicht den Weg in die Moderne nahm, den der Okzident einschlug. Was Weber aus der Perspektive eines „heuristischen Eurozentrismus“ (Wolfgang Schluchter) über den Islam zu sagen hatte, entnahm er der Sekundärliteratur seiner Zeit, und vieles davon war, wie wir heute wissen, falsch: Dass der Islam eine schlichte Krieger- und Wüstenreligion sei, der Sufismus kleinbürgerlich-irrational, die islamische Rechtsprechung vor allem Kadijustiz und die islamische Stadt ein Mängelwesen, dem alles fehlte, was die europäische Stadt besaß, ist widerlegt. Dennoch hat Weber die Islamforschung inspiriert, auch in der islamischen Welt wird er noch heute gelesen – nicht auf Grund seiner problematischen Sachaussagen, sondern wegen seines methodischen Ansatzes, seines Ringens um begriffliche Klarheit: Als einflussreich erwiesen sich die Konzeption von Idealtypen, die Herrschaftssoziologie mit den drei Typen legitimer Herrschaft und die Suche nach der Wirkung von Ideen in der Geschichte, insbesondere aber seine Überlegungen zum Verhältnis von religiöser Werthaltung, geregelter Lebensführung und Wirtschaftsethos, die er in der berühmten Schrift „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ bündelte. Relevant sind diese Überlegungen im islamischen Kontext, weil Weber bei aller Zuspitzung auf Idealtypen von komplizierten, historisch begründeten Wechselwirkungen, ja „Wahlverwandtschaften“ zwischen Ideen und Strukturen ausging. Das Verhältnis von Islam und Kapitalismus hat seit Weber weiter an Bedeutung gewonnen, muslimische Unternehmer präsentieren sich als „muslimische Puritaner“ oder „islamische Calvinisten“, propagieren eine islamische Konsum- und Warenwelt und knüpfen dabei bewusst oder unbewusst an Weber an. Ihn kritisch zu lesen, lohnt daher noch immer.

Pressemitteilung

Gudrun Krämer

Gudrun Krämer, die im Rahmen des Exzellenzclusters „Contestations of the Liberal Script“ als Seniorprofessorin an der Freien Universität Berlin lehrt und forscht, leitete bis zum vergangenen Jahr das dortige Institut für Islamwissenschaft. Sie studierte Geschichte, Islam- und Politikwissenschaft sowie Anglistik in Heidelberg, Bonn und Sussex (Großbritannien). Nach der Promotion war sie als Nahost-Referentin an der Stiftung Wissenschaft und Politik tätig. Die Wissenschaftlerin habilitierte sich 1993 an der Universität Hamburg und wurde dann an die Universität Bonn berufen. 1996 erhielt sie einen Ruf an die Freie Universität Berlin. Von 2007 bis 2018 leitete Prof. Krämer die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Religion, Recht, Politik und Gesellschaft im modernen Vorderen Orient.

MAX WEBER IM SPIEGEL DER REFERENTEN

IM FOKUS: „DER ISLAM“