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Katja Becker »Ich muss mir die Dinge erarbeiten«

Die Medizinerin und Biochemikerin Katja Becker wird 2020 DFG-Präsidentin

Katja Becker, DFG-Präsidentin

Das Laufband steht an der Fensterfront des Büros, als Armstütze dient eine zweite Arbeitsplatte. „Grafiken zeichnen ist schwer beim Laufen – aber E-Mails Schreiben oder Telefonieren klappt gut“, sagt mit einem Schmunzeln Katja Becker, Heidelberg-Alumna und designierte Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Wenn die Medizinerin, die an der Universität Gießen eine Professur für Biochemie bekleidet, auf dem Band arbeitet, ist es eher ein strammes Gehen denn ein Rennen. Und ein passendes Bild für das konsequente Voranschreiten der 54-Jährigen – das ihr andererseits so gar nicht gerecht wird. Denn auf einem Laufband geht der Blick meist starr in eine Richtung. Doch Katja Becker sieht weit in alle Richtungen; ihre Infektionsforschung fokussiert besonders auf die Armenhäuser dieser Erde. Ihr Engagement weckt auf, ihr Enthusiasmus steckt an, ihre vielfältigen Interessen sprudeln förmlich aus ihr heraus: „Jeden Tag habe ich das Gefühl, es gibt noch Hundert andere Dinge, die ich machen möchte.“

Das war schon als Kind so. Geboren in Heidelberg, wächst Katja Becker zunächst in Freiburg auf, dann geht es zurück an den Neckar, weil der Vater auf eine Professur an der Pädagogischen Hochschule wechselt. Die Familie zieht nach Schriesheim; oft ist die junge Katja in den Wäldern unterwegs, erschließt sich hier die Natur und reitet aus. Und sie lernt Cellospielen – eine Leidenschaft, die sie in ihrem herausfordernden Alltag mittlerweile kaum leben kann.

Dafür gilt nun der Wissenschaft ihre Leidenschaft. Katja Beckers Augen strahlen beim Gespräch über die Laborarbeit im Interdisziplinären Forschungszentrum für biowissenschaftliche Grundlagen der Umweltsicherung (iFZ). Mit ihrer Gruppe erforscht sie momentan Enzyme des Malaria-Erregers, um den Parasiten mit maßgeschneiderten Hemmstoffen auszuschalten. Das Zielmolekül wird hierzu atomgenau untersucht in seiner dreidimensionalen Kristallstruktur, der oft eine ganz eigene Ästhetik innewohnt. Doch so sehr Katja Becker ins Schwärmen gerät angesichts der Schönheit, die natürliche Strukturen entfalten, so eindringlich schildert sie die Notwendigkeit, den Menschheitsgeißeln Infektionskrankheiten zu Leibe zu rücken – an denen gerade jene leiden, die zu den Ärmsten zählen. Sterben allein an den Folgen der Malaria jährlich eine halbe Million Menschen weltweit, sind bis zu zwei Milliarden von Infektionen betroffen, die aus Geldmangel „massiv unterforscht sind“. Für den G7-Gipfel 2015 und den G20-Gipfel 2017 wirkte sie an Stellungnahmen zu Tropenkrankheiten und Global Health mit, von Gießen aus koordiniert sie das LOEWE-Zentrum DRUID, das sich mit der Identifikation und Charakterisierung potenzieller Zielmoleküle zur Entwicklung von Wirk- und Impfstoffen sowie Diagnostika gegen armutsassoziierte und vernachlässigte Infektionskrankheiten beschäftigt. 

Katja Becker

Für Katja Becker steht bereits früh fest, dass sie sich der Heilkunde verschreiben will – deswegen legt sie ihren Schwerpunkt am Gymnasium auf Mathematik, Kunst und Latein: „Denn ich wusste, dass ich das später im Leben wohl nicht mehr machen werde.“ Ein Jahr vor ihrem Abitur wird sie im Wettbewerb „Alte Sprachen“ ausgezeichnet und von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Es ist der Auftakt einer langen Liste von Würdigungen – wie dem Ludolf-Krehl-Preis der Südwestdeutschen Gesellschaft für Innere Medizin oder der Rudolf-Leuckart-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Parasitologie. 2009 wird sie Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften.

Gleichwohl sieht sich Katja Becker nicht als Überfliegerin, so sehr sie das Studium akademisch auch genießt: „Ich muss mir die Dinge erarbeiten und brauche Zeit zum Nachdenken.“ Schon bald begeistert sich die junge Medizinerin für die unterschiedlichsten Aspekte ihrer Disziplin ¬– für Psychiatrie genauso wie für Kardiologie oder Pädiatrie. Ihr Praktisches Jahr absolviert sie in Heidelberg, Basel und Oxford; als Ärztin im Praktikum arbeitet sie in Ghana und Nigeria. Ein Markstein, durch den sie zu ihrem Vorhaben findet: „Wie kann ich mich für die Menschen des Südens am besten engagieren?“ Eine weitere Wegmarke ist die Begegnung mit dem 2016 verstorbenen Heidelberger Biochemiker Rolf Heiner Schirmer, der seinen Kampf gegen Malaria mit einem hohen moralischen Anspruch verband. 1988 wird Katja Becker promoviert, acht Jahre später habilitiert; 1998 legt sie die äußerst seltene Facharztprüfung in Biochemie ab. Als Postdoktorandin forscht sie in Australien und fliegt mit dem Royal Flying Doctor Service in das ausgedehnte Farm- und Ödland, um Kranken zu helfen – vor allem den Ureinwohnern, die hier oft unter ärmlichsten Bedingungen leben.

Die Grundlage, die ich in Heidelberg bekommen habe, hat mich mein ganzes Leben getragen.

Katja Becker

In Heidelberg forscht Katja Becker am Biochemiezentrum der Universität; nach einer kurzen Phase als Nachwuchsgruppenleiterin am Zentrum für Infektionsforschung der Universität Würzburg folgt sie 2000 dem Ruf auf eine C4-Professur nach Gießen. An der Justus-Liebig-Universität, der sie drei Jahre lang auch als Vizepräsidentin für Forschung dient, lernt sie die Diskussionskultur und Offenheit schätzen – und die Freiheit. „Ich konnte immer in Ruhe arbeiten, man hat mir viel Raum gelassen.“

 

Wir brauchen noch mehr Flexibilität und ein aktiveres Zugehen auf unsere Wissenschaftlerinnen.

Katja Becker

Großes Lob findet sie auch für Ruperto Carola: „Die Grundlage, die ich in Heidelberg bekommen habe, hat mich mein ganzes Leben getragen.“ Die Studienbedingungen seien damals wie heute hervorragend, wie sie von ihrer Tochter weiß, die nun hier Medizin studiert. Als Mutter kennt Katja Becker natürlich auch das Dilemma vieler berufstätiger Mütter, die glauben, weder dem Kind noch dem Beruf gänzlich gerecht zu werden, und an ihre Grenzen geraten. Sie selbst habe immer sehr viel Unterstützung erfahren, gleichzeitig sei die Doppelbelastung aber natürlich eine Herausforderung gewesen. „Wir brauchen noch mehr Flexibilität und ein aktiveres Zugehen auf unsere Wissenschaftlerinnen.“

Nun wird Katja Becker Anfang 2020 die erste Frau an der DFG-Spitze sein. Mit den Anforderungen von Gremien, Beiräten oder als Sprecherin ist sie bestens vertraut – etwa als deutsche Abgeordnete im Wissenschaftsrat der European Cooperation in Science and Technology. Mit Ethikfragen hat sie sich vielfach auseinandergesetzt, zudem ist sie seit 2014 DFG-Vizepräsidentin. Und sie kennt den Wissenschaftsbetrieb, in dem sie eine „Überhitzung des Systems“ ausgemacht hat: Junge Wissenschaftler kommen kaum mehr heraus aus dem Hamsterrad aus Anträgen, Veröffentlichungen und Begutachtungen. Für ihre Präsidentschaft hat sie sich zum einen „Internationales“ auf die Fahne geschrieben, was bei Katja Becker gewiss bedeutet, insbesondere auch Afrika in den Blick zu nehmen. Den anderen Schwerpunkt sieht sie in der Kommunikation: in die Geschäftsstelle, in die Hochschulen, mit den Mitgliedern. „Im Prinzip schließt sich für mich jetzt ein Kreis“, resümiert die 54-Jährige. Denn für Wissenschaftspolitik im Sinne der Menschen hat sie sich schon immer interessiert – aber vier Jahre und eine mögliche Wiederwahl als Lenkerin der DFG heißen auch schweren Herzens Abschied nehmen von der geliebten Forschungstätigkeit. Möglicherweise für immer.

(Erscheinungsjahr 2019)