„Zwischen Unsichtbarkeit, Repression und lesbischer Emanzipation – Frauenliebende* Frauen im deutschen Südwesten 1945 bis 1980er Jahre“

Aufruf Interviewpartner*innen Lesbisches Leben
Kontakt: andere.lebenswelten@uni-heidelberg.de oder 01729-612540 (Di.: 11-15 Uhr, Mi 17-19 Uhr)
Wir Lesben sind überall
© Foto von Anke-Rixa Hansen, mit freundlicher Unterstützung des FrauenMediaTurm, Köln und Mahide Lein

 

Ziel des gemeinschaftlichen Forschungsprojekts „Zwischen Unsichtbarkeit, Repression und lesbischer Emanzipation – Frauenliebende* Frauen im deutschen Südwesten 1945 bis 1980er Jahre“ ist es, Lebenswelten von frauenliebenden Frauen* außerhalb der großen Metropolen wie Berlin oder Hamburg zu erschließen. Es wird vom MWK Baden-Württemberg finanziert und ist an den Universitäten Heidelberg und Freiburg angesiedelt. 


Ende 2022 wurde das Anforschungsprojekt „Alleinstehende Frauen“, „Freundinnen“, „Frauenliebende Frauen“ – Lesbische* Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er-1970er Jahre), in dem die Forscher*innen die Ausgestaltung lesbischer* Lebenswelten in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus untersucht wurde, erfolgreich abgeschlossen. Am 01.05.2023 beginnt ein neues Projekt, in dem die Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre, geografisch nach wie vor auf den deutschen Südwesten fokussiert, analysiert wird. Das Projekt verortet sich innerhalb der queeren Zeitgeschichte.

 

Cover_Spiegel_Die neue Zärtlichkeit
Lesbische Frauen als Titelthema des SPIEGELs im Jahr 1974
©DER SPIEGEL 36/1974. Mit freundlicher Unterstützung des FrauenMediaTurm, Köln

Im Zentrum steht die Untersuchung der Nachwirkungen des Nationalsozialismus sowie der bislang noch kaum erforschte Alltag der frauenliebenden* Frauen, ihre Lebensbedingungen und der politische Aufbruch der Lesbenbewegung. Endpunkt und Zäsur der Forschungen stellt die Entstehung der Lesbenbewegung im Rahmen der Neuen Frauenbewegung seit den späten 1970er, frühen 1980er Jahren dar. Die Forschungen werden durch die These geleitet, dass die deutschlandweiten Zäsuren 1945 resp. 1949 ebenso wie die für Baden und Württemberg zusätzlich relevanten Zäsuren 1946 und 1951 die rechtlichen Rahmenbedingungen lesbischen* Lebens zwar veränderten, juristische Praktiken davon aber vielfach abwichen. Kontinuitäten prägten den Lebensalltag zunächst stärker als Brüche, die neue Möglichkeitsräume eröffnet hätten. Dies gilt auch für gesellschaftliche Normen sowie für die implizite und explizite Geschlechter- und Familienpolitik, die lesbisches* Leben prägten. So stehen Fragen in Bezug auf die Nachwirkungen von rechtlichen Regelungen auf lesbisches* Leben aus dem Nationalsozialismus ebenso im Fokus, wie das Erforschen von nachträglichen Auseinandersetzungen betroffener Frauen mit ihren Erlebnissen während des NS. Eine zentrale Analysekategorie des Projekts ist dabei die Heteronormativtät, mit deren Hilfe gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen und die daraus resultierende Abgrenzung und der Ausschluss alternativer Lebensformen aufgeschlüsselt werden können. 


Die Konzentration des Projektes auf die Jahre nach 1945 ist auch geschichtspolitisch bzw. erinnerungskulturell motiviert. Ziel ist es, die Stimmen der Vielen zu sichern und damit eine valide Quellenbasis für die zukünftige Erforschung lesbischen Lebens bereitzustellen. Während für die Zeit des Nationalsozialismus im Anforschungsprojekt keine Zeitzeug*innen mehr mit der Methode der Oral History nach ihrer Geschichte befragt werden konnten, ist dies noch für die Nachkriegszeit bis in die frühen 1980er möglich. Dies ist in den nächsten Jahren auch dringend geboten, da diese Generation frauenliebender* Frauen inzwischen ebenfalls ein hohes Alter erreicht hat.

Emma 1978 3
Frauenliebe und Emanzipation als Titelthema der EMMA 3/1978 © EMMA Frauenverlag www.emma.de, Mit freundlicher Unterstützung des FrauenMediaTurm, Köln

Nicht nur die Stimmen der Zeitzeug*innen und ihre Erfahrungen werden erhoben und gesichert, auch ihre Kinder sind, wo möglich, in die Untersuchung einzubeziehen. Überdies werden schriftliche Quellen, wie graue Literatur, Flugblätter u. a., sowie Selbstzeugnisse und Erinnerungen der Nachkriegsgeneration frauenliebender* Frauen und lesbischer* Aktivist*innen gesichert. Sie gilt es zu bewahren, bevor diese wichtigen Überlieferungen verloren gehen oder unwiederbringlich vernichtet gehen werden, z.B. bei einem durch einen Umzug in eine altersgerechte Wohnung oder die Entsorgung im Todesfall.

 

Da sich im Anforschungsprojekt die Aufteilung der Forschung in drei Teilprojekten bewährt hat, halten wir an dieser Struktur fest: TP 1: „Akteurinnen* – Vernetzungen – Kommunikationsräume“ (Leitung: Prof. Dr. Sylvia Paletschek, Universität Freiburg), TP 2: „Grenzerfahrungen des Privaten. Die Wahrnehmung der Heteronorm und ihre rechtliche Durchsetzung“ (Leitung: Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Universität Heidelberg) und TP 3: „Frauenliebende* Frauen im Fokus der Medizin – eine Medizin- und Wissenschaftsgeschichte“ (Leitung: Prof. Dr. Karen Nolte). Dies ermöglicht es, auch längere historische Entwicklungen in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Kultur, Justiz und Medizin zu verfolgen. Durch den Vergleich der gewonnen Erkenntnisse und zusammengetragenen Biographien in Fallvignetten können Verbindungen und Überschneidungen wie auch Handlungsräume von Frauen, deren Empfinden und Verhalten von heteronormativen Vorstellungen abwich, aufgezeigt werden. Veränderungen sowie Kontinuitäten über politische Systeme hinweg werden sichtbar. Im Rahmen der drei Teilprojekte wird jeweils eine Dissertation angefertigt, die mit Ende der Projektlaufzeit als Monografie veröffentlicht wird. 

 

 

 

1.    Akteurinnen – Vernetzungen – Kommunikationsräume

Ziel des Teilprojektes ist es, die politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Leistungen und Errungenschaften frauenliebender*, nicht-heteronormativ lebender Frauen der 1950er- bis 1970er-Jahre sichtbar zu machen. Es wird untersucht, inwiefern die Nachkriegszeit als Umbruch für lesbische* Lebenswelten zu sehen ist: Was änderte sich im gesellschaftlichen Alltag nach Kriegsende und bis Ende der 1970er Jahre für die Akteurinnen, Netzwerke und Kommunikationsräume im deutschen Südwesten? In welchen politischen und öffentlichen bzw. teilöffentlichen Arenen - wie z.B. Verbänden der Frauenbewegung, aber auch (Frauengruppen der) Parteien oder landespolitischen Gremien - konnten sich ‚klandestin’ frauenliebende* Frauen begegnen und verständigen?


Leitung: Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Historisches Seminar)
Mitarbeiterin: Muriel Lorenz, M.A.

 

 

2.    Die Grenzen des Privaten. Rechtliche und private Rahmenbedingungen
 
Wo verliefen die rechtlichen Grenzen des Privaten für lesbische* und nicht-heteronormativ lebende Frauen in Baden und Württemberg? Diese Frage haben die Wissenschaftlerinnen im ersten Projekt für die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus u.a. mit Hilfe von Fürsorge- und Sorgerechtsakten erforscht. Dabei wurde erarbeitet, dass als sexuell deviant eingestuftes Verhalten außerhalb der Ehe zur Grundlage für die Bewertung einer Frau als „schlechte“ Mutter oder Tochter wurde und Auswirkungen auf die Gestaltung erzieherischer Interventionen durch Behörden oder bei einer Verurteilung das Strafmaß  haben konnte. Auf diesen Ergebnissen aufbauend liegt im aktuellen Forschungsprojekt der Fokus auf frauenliebenden* und nicht-heteronormativ-lebenden Frauen, die in einer Mutter-Kind-Beziehung und/oder familiären Kontexten lebten und in Sorgerechts- oder Fürsorgestreitigkeiten verwickelt waren. Über die erprobte Herangehensweise hinausgehend werden nicht nur die Aktenbestände, sondern betroffene Mütter und Töchter in Oral History-Interviews befragt. Anhand dieser Quellen wird für die Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre zum einen nach Kontinuitäten in der Sorgerechts- und Fürsorgepraxis gefragt. Zum anderen werden sich verändernde Aneignungen  und Gestaltungsmöglichkeiten untersucht.


Leitung: Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Historisches Seminar)
Mitarbeiterin: Elena Mayeres, M.A. 

 


3.   „Frauenliebende* Frauen im Fokus der Medizin – eine Medizin- und Wissenschaftsgeschichte                                 

Das Teilprojekt rekonstruiert, wie im Südwesten die Medizin, besonders die Psychiatrie, mit weiblicher Homosexualität im Untersuchungszeitraum umging. Aufbauend auf die im Anforschungsprojekt gesammelten Erkenntnisse, wird in dem neuen Projekt herausgearbeitet, ob und wann es nach 1945 zu einem Bruch im Umgang mit nicht heteronormativ lebenden Frauen in den psychiatrischen Einrichtungen kam. Wie haben sich Diagnosestellungen verändert? Wie wurde es aus psychiatrischer Sicht kategorisiert und eingeordnet? Welche moralischen Konnotationen von homoerotischen resp. eheähnlichen Beziehungen zwischen Frauen sind in den Niederschriften zu beobachten? Lässt sich die aus dem Anforschungsprojekt herausgearbeitete These verifizieren, dass Frauen, die homoerotische oder -sexuelle Beziehungen auslebten oder denen dies zugeschrieben wurde bzw. die als sexuell “triebhaft” beschrieben wurden, weit öfter weitere Anstaltsaufenthalte erlebten, als Frauen, die den geschlechtlichen und sexuellen Normen entsprachen? Um eine patientenorientierte Perspektive einzunehmen und so eine Geschichte „von unten“ zu schreiben, ist es unerlässlich die Stimmen von Zeitzeug*innen zu erheben, die uns für die Jahre nach dem Nationalsozialismus noch Auskunft geben können: Wie haben sie selbst die Situation und den Umgang mit frauenliebenden* Frauen in psychiatrischen Kontexten erlebt? Mit welchen therapeutischen Interventionen wurde ihnen begegnet? Diese Perspektive beleuchtet einen weiteren Aspekt des Themas, so dass das Ziel der Sichtbarmachung lesbischer* Lebensweisen, besonders zu dieser Zeit, um ein weiteres Puzzleteil ergänzt werden kann.
 

Leitung: Prof. Dr. Karen Nolte (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Medizingeschichte)
Mitarbeiter*in: Steff Kunz, M.A.

 

 

Grußwort Olschowski LesbischeL

 

 

Hier geht es zur Pressemittelung der Universität Heidelberg anlässlich unseres Projektstarts am 01. Mai 2023. 

 

 

Das Projekt wird vom MWK Baden-Württemberg gefördert. 

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Blog und Social Media 

Im Rahmen des Forschungsprojekts entsteht der Blog "Zwischen Unsichtbarkeit, Repression und lesbischer Emanzipation – Frauenliebende* Frauen im deutschen Südwesten 1945 bis 1980er Jahre". Er ermöglicht den Mitgliedern des Projekts und externen Autor*innen die Gelegenheit, über aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema zu veröffentlichen.
Zusätzlich werden über den X-Account (vormals Twitter) "@LesbischeL" sowie über Facebook und Instagram über anstehende Termine und Neuigkeiten des Projekts informiert.

 

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Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 12.04.2024
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