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Martina Muckenthaler Wenn die Luft dünner wird

Die Biologin Martina Muckenthaler sucht nach der körperlichen Herausforderung

Martina Muckenthaler

Jeder Schritt ist eine Qual, die Lunge schreit nach Sauerstoff, der Puls rast – um zwei Uhr morgens, ausgerüstet mit Eispickeln und Steigeisen, sind die sieben Bergsteiger aufgebrochen, um die letzte Etappe zur Spitze des Stok Kangri zurückzulegen, einem der imposanten 6.000er des Himalaya-Gebirges in der indischen Region Ladakh. Unter ihnen: Martina Muckenthaler, Professorin für Molekulare Medizin am Universitätsklinikum Heidelberg. Wenn andere Erholungsurlaub am Meer machen, zieht es die Wissenschaftlerin in die Berge – am liebsten gemeinsam mit ihrem Mann und den drei Töchtern.

In den heimischen Gefilden wäre die Tour ein Leichtes für Martina Muckenthaler: Lediglich ein paar Hundert Höhenmeter fehlen ihr noch bis zum Gipfel des Stok Kangri, auch technisch stehen keine besonderen Herausforderungen an. In der dünnen Luft des Hochgebirges allerdings scheinen an jedem Bein schwere Gewichte befestigt, das Luft holen wird zu einem mühsamen Japsen. Schweigend kämpft sie sich an diesem winterlichen Septembermorgen hinter ihrem Führer den Berg hinauf.

Es ist nicht das erste körperliche und mentale Extremerlebnis der Wissenschaftlerin. Nach dem Abitur im niederbayrischen Deggendorf ging sie für einen Au-pair-Aufenthalt in die USA. Geplant war ursprünglich eine dreimonatige Auszeit vor dem Studium, daraus wurden knapp eineinhalb Jahre, in denen sie zunächst von Boston nach Nicaragua trampte und schließlich sechs Monate auf einem Fischkutter in Alaska arbeitete. Ihr Schlüsselerlebnis in dieser Zeit: Bei haushohen Wellen ging sie eines Tages über Bord. »Ich konnte mich gerade noch an einer Leine festhalten und zurück aufs Schiff gezogen werden.« Zunächst habe sie gar nicht realisiert, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen sei, erinnert sich Martina Muckenthaler. »Zehn Jahre später, bei der Lektüre des Buches ›The Perfect Storm‹, das von einem Schiffsuntergang handelt, kam mir diese Situation plötzlich wieder in den Sinn, und erst da wurde mir bewusst, wie viel Glück ich damals hatte.«

Es geht mir darum, meine eigenen Grenzen zu überschreiten – davon zehre ich monatelang.

Martina Muckenthaler

Der Wissenschaftlerin ist es bei ihren Touren nicht wichtig, die Schnellste, die Erste oder die Beste zu sein. »Das hat mich noch nie gereizt.« Vielmehr gehe es ihr um die Erfahrung, die eigenen Grenzen auszutesten, manchmal auch zu überschreiten – »davon zehre ich monatelang, wenn ich wieder im Labor sitze«, erzählt die 51-Jährige mit blitzenden Augen. Gerade ist sie von einem Vortrag auf einer Konferenz in Kirgisistan zurückgekommen, in deren Anschluss sie drei Tage lang die kirgisischen Berge auf dem Mountainbike erkundet hat. So viele Gelegenheiten wie möglich werden von der leidenschaftlichen Skifahrerin zur sportlichen Aktivität in der Natur genutzt. Eine Übernachtung im Zelt würde sie dabei jedem Fünf-Sterne-Hotel vorziehen – und ein einfaches selbst gekochtes Essen unter freiem Himmel jedem Fünf-Gänge-Menü im Restaurant.

Als Vollzeit-Forscherin und dreifache Mutter ist Martina Muckenthalers Alltag streng durchgetaktet. Oft werde sie gefragt, wie sie die Doppelbelastung meistere – und nebenher noch Zeit für Sport und Reisen finde. »Ich habe mir diese Frage nie stellen müssen, weil ich sowohl meine Kinder als auch die Arbeit als Wissenschaftlerin immer als Privileg empfunden habe und nicht als Last«, sagt sie. »Aus beidem ziehe ich Energie.«

Martina Muckenthaler

Neun Jahre arbeitete die Biologin am European Molecular Biology Laboratory Heidelberg (EMBL), bevor sie 2004 dem Ruf der Ruperto Carola auf eine Professur für Molekulare Medizin folgte. Mit ihrem Team erforscht sie unter anderem die Grundlagen einer der häufigsten erblichen Stoffwechselerkrankungen in Nordeuropa – der Eisenspeicherkrankheit (Hämochromatose). Ziel ihrer Arbeiten ist es, die Mechanismen des Eisenstoffwechsels besser zu verstehen – und dessen Zusammenspiel mit dem Sauerstoffmetabolismus, denn beide hängen eng zusammen: Ist einer der Stoffwechsel gestört, kommt es oft auch zu Unregelmäßigkeiten im anderen.

Was passiert, wenn unser Sauerstoffbedarf nicht ausreichend gedeckt wird, hat Martina Muckenthaler bei ihren Hochgebirgstouren schon mehrfach am eigenen Leib erlebt – eine »faszinierende Erfahrung«, wie die Forscherin anmerkt. Bereits in 3.000 Metern Höhe wird der Luftdruck deutlich geringer und damit die Sauerstoffversorgung knapp. Erste Symptome der drohenden Höhenkrankheit sind Kopfschmerzen, Appetitverlust, Übelkeit, Atemnot und Schwindel. Spätestens auf 4.000 Metern werden diese Beschwerden zur Qual, sollte der Körper nicht ausreichend Zeit zur Akklimatisation haben. Ab 5.000 Metern geht es dann ohnehin nur noch langsam und mühsam voran. Doch auf dem Gipfel angekommen – eine Erfahrung, die Martina Muckenthaler mit vielen Bergsteigern teilt – seien all die Strapazen vergessen. So ging es ihr 2014 bei der Besteigung des Stok Kangri – und so wird es auch beim Parinacota sein. Die Spitze des 6.348 Meter hohen Vulkans in den chilenisch-bolivianischen Anden ist das nächste große Ziel der Wissenschaftlerin.

Dieser Artikel ist im UNISPIEGEL 3/2016 (Seite 10) erschienen.

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