Bernhard Vogel Stolz auf die prägenden Jahre in Heidelberg
Der doppelte Ministerpräsident Bernhard Vogel begann während seiner Zeit an der Ruperto Carola seine politische Laufbahn
Bernhard Vogel wurde am 19. Dezember 1932 in Göttingen geboren und wuchs als jüngerer Bruder des SPD-Politikers Hans-Jochen Vogel in Gießen und München auf. Ab 1953 studierte er Politische Wissenschaft, Geschichte, Soziologie und Volkswirtschaft in Heidelberg und München und schloss sein Studium 1960 mit einer Promotion bei Dolf Sternberger in Heidelberg ab. Von 1961 bis 1967 war er Lehrbeauftragter am Heidelberger Institut für Politische Wissenschaft. 1967 wurde Vogel im Kabinett Altmeier Kultusminister von Rheinland-Pfalz, 1976 übernahm er als Nachfolger von Helmut Kohl das Amt des Ministerpräsidenten. Seit 1974 war er auch Vorsitzender der rheinland-pfälzischen CDU. Als es infolge eines heftigen innerparteilichen Streits auf dem Landesparteitag 1988 in Koblenz zu einer Kampfkandidatur um den Parteivorsitz kam, unterlag Vogel und trat daraufhin als Ministerpräsident zurück. Von 1992 bis 2003 war er Ministerpräsident von Thüringen und von 1993 bis 2000 auch Vorsitzender der thüringischen CDU, deren Ehrenvorsitzender er seit 2004 ist. 2003 ernannte der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel Bernhard Vogel zum Professor.
Das Interview wurde im November 2012 kurz vor Bernhard Vogels 80. Geburtstag geführt.
Herr Vogel, warum haben Sie 1953 Ihr Studium in Heidelberg begonnen?
Aus zwei Gründen: Ich wollte zum einen von zu Hause weg, um selbstständig zu werden, zum anderen das noch ziemlich neue Fach Soziologie studieren. Der Nestor der Soziologie, Alfred Weber, lehrte in Heidelberg. Ich war der kindlichen Meinung, ich könne bei ihm dieses Fach studieren, musste aber zunächst lernen, dass ein Studium mit Einführungsvorlesungen beginnt, und nicht gleich mit Forschungsseminaren. Später bin ich auf Drängen meiner Eltern für zwei Semester nach München gewechselt, bin aber zum Hauptteil meines Studiums wieder nach Heidelberg zurückgekehrt. Relativ bald nach der Rückkehr hatte ich dann das Glück, tatsächlich in Webers Seminar aufgenommen zu werden – und sogar bis zu seinem Tod sein letzter Hilfsassistent zu sein.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Heidelberger Zeit?
Zunächst erinnere ich mich daran, dass ich dort, wo jetzt der Menglerbau steht, an einem Kopfbahnhof angekommen bin, nicht an dem später von Bundespräsident Theodor Heuss eingeweihten neuen Durchgangsbahnhof. Vor allem erinnere ich mich aber daran, dass zu der Zeit von Heidelberg ganz entscheidende Impulse für die deutsche Wissenschaftslandschaft ausgingen. Dies nicht zuletzt deswegen, weil in Heidelberg sehr bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Fülle von Gelehrten aufeinandertraf, die sich zum Teil in der inneren oder äußeren Emigration befunden hatten. Ich denke beispielsweise an den Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Alexander Rüstow, die Philosophen Karl Löwith und Hans-Georg Gadamer, den Volkswirt Erich Preiser – es war eine Aufbruchstimmung damals.
Haben Sie aus Ihrer Heidelberger Zeit etwas mitgenommen, das für ihre spätere Arbeit wichtig war?
Natürlich, ich habe meine Grundausrüstung sowohl in der Wissenschaft als auch in den menschlichen Begegnungen in den dortigen Jahren mitgenommen. Bis heute bin ich stolz auf diese entscheidenden und prägenden Jahre, die mich dann von der Soziologie sehr viel stärker zur Politischen Wissenschaft und zur Geschichte und auch zur Volkswirtschaft geführt haben, und die mich eben auch schrittweise in die Politik gebracht haben, obwohl ich das am Anfang weder wollte noch merkte.
Hatten Sie denn ursprünglich eine wissenschaftliche Laufbahn geplant?
Zunächst habe ich mich zwei Jahre intensiv bemüht, meine Promotion zu schreiben, und erst nachdem diese zu einem guten Abschluss gekommen war, hat sich für mich am Horizont die Überlegung aufgetan, ob ich nicht vielleicht in der Wissenschaft weitermachen und eines Tages sogar habilitieren sollte. Außerdem hat mein Doktorvater, der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger, mir eine Assistentenstelle angeboten, und das war damals etwas sehr, sehr Rares. Sowohl er als auch der zweite Fachvertreter Carl Joachim Friedrich vertraten die Meinung, wer Politik als Wissenschaft betreibt, sollte selbst nicht in eine Partei eintreten. Den Rat habe ich zunächst befolgt, weil er mir auch eingeleuchtet hat.
Und wie kam es dann, dass Sie doch politisch aktiv wurden?
Zu Beginn der 60er Jahre hat mich ein gleichaltriger Kfz-Mechaniker überredet, für den Heidelberger Stadtrat zu kandidieren. Das setzte voraus, dass ich in die CDU, für die ich kandidieren sollte, auch eintreten musste. Ich habe Sternberger und Friedrich diese Sünde gebeichtet, allerdings habe ich nur eine lässliche Sünde darin gesehen, weil ein Stadtratsmandat ja nicht eigentlich den Einstieg in Politik als Beruf darstellt. Zunächst bin ich aber gar nicht gewählt worden, weil mich kaum ein Mensch kannte. Nach ein paar Monaten bin ich allerdings für einen ausscheidenden Kollegen nachgerückt. 1964 fragten mich dann Parteifreunde aus Ludwigshafen und der Vorderpfalz, die mich von Seminaren kannten, die ich gehalten hatte, ob ich bereit wäre, für den Bundestag zu kandidieren. Das habe ich nach reiflicher Überlegung mit der Begründung getan, dass vier Jahre Praxis meiner späteren wissenschaftlichen Tätigkeit ja nicht schaden könnten. So bin ich 1965 für den pfälzischen Wahlkreis Neustadt/Speyer in den Bundestag eingezogen.
Und dann ging es weiter nach oben?
1967 fragte mich Helmut Kohl, ob ich bereit wäre, Kultusminister von Rheinland-Pfalz zu werden. Ich war 34 Jahre alt, da lehnt man ein solches Angebot nicht ab – obwohl das damals ein Schleudersitz war, denn die 68er-Unruhen hatten begonnen und in allen Stockwerken der Bildungspolitik, in den Schulen und Universitäten, brannte es lichterloh. 1974 habe ich mich dann zum ersten Mal von mir aus um ein politisches Amt beworben – bis dahin hatte man mich ja immer gefragt. Als Helmut Kohl zum Bundesvorsitzenden der CDU gewählt wurde und den Landesvorsitz aufgab, habe ich mich in einem heftigen, aber freundschaftlichen Wettbewerb mit Heiner Geißler um diesen Landesvorsitz beworben. Ich habe obsiegt und mich zwei Jahre später, als Helmut Kohl als Oppositionsführer nach Bonn ging, auch erfolgreich um das Amt des Ministerpräsidenten beworben.
Sie waren als einziger Politiker in zwei Bundesländern Ministerpräsident. Sind Sie darauf stolz?
Das war nicht mein Verdienst, sondern die Folge einer von niemandem vorhergesehen Situation 1989 und in den folgenden Jahren. Wenn mir 1988, als ich als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz zurücktrat, jemand gesagt hätte, du wirst drei Jahre später wieder Ministerpräsident, aber im Freistaat Thüringen, dann hätte ich ihn aufgefordert, einen Arzt aufzusuchen und sich auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Für möglich gehalten habe ich das nicht. Ich habe jahrzehntelang von der Wiedervereinigung gesprochen, war aber nicht sicher, dass ich sie selbst erleben würde. Daher bin ich zunächst einmal dankbar dafür, dass ich sie erlebt habe und dass ich sogar ein bisschen an der Bewältigung der Folgen der Teilung mitwirken durfte. Und wenn man die Freude darüber als Stolz empfindet, dann bin ich sogar ein bisschen stolz.
1988 sind Sie als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz zurückgetreten, nachdem Sie in einer überraschenden Kampfkandidatur um den CDU-Landesvorsitz auf dem Parteitag in Koblenz unterlagen. Ihr damaliger Ausruf „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ ist legendär. Finden Sie im Rückblick, dass Sie mit Ihren Befürchtungen Recht hatten?
Der Satz ist ja nicht vorbereitet, sondern aus dem Augenblick heraus gesprochen worden, und er entsprang der Tatsache, dass ich viele Jahre, mit Haut und Haaren, Tag und Nacht an Rheinland-Pfalz gehangen und mich für dieses Land engagiert habe. Mit diesem Satz wollte ich einen Wunsch ausdrücken, aber natürlich schwang auch die Sorge mit, dass die CDU durch diese Entscheidung die Regierungsverantwortung für Rheinland-Pfalz verlieren könnte und möglicherweise sehr lange nicht zurückgewinnen würde. Das ist bekanntlich 1991 auch tatsächlich geschehen und dauert 21 Jahre später noch immer an. Mit anderen Worten: Natürlich ist es mit Rheinland-Pfalz weitergegangen, es ist eine andere Regierung ins Amt gekommen, sie hat manches fortgesetzt, was wir gemacht haben, sie hat anderes ganz anders gemacht, sie hat, wie jede Regierung, Gutes, selbstverständlich auch Fehler gemacht, die ich jetzt nicht zu bewerten habe. Vor allem aber hat sich eines gezeigt: Wenn man sich selbst um die Verantwortung bringt – und die Revolte von Koblenz 1988 war ja in der Tat ein Tritt ans eigene Bein – dann braucht man sehr lange, um sich daraus wieder herauszuarbeiten und wieder die Chance auf Regierungsverantwortung zu bekommen.
Ist Ihnen der Abschied damals sehr schwer gefallen?
Außerordentlich schwer! Ich will ausdrücklich sagen: Die Wunden von Koblenz sind geheilt, aber die Narben von Koblenz sind geblieben. Allerdings habe ich ja erfreulicherweise schon ein halbes Jahr später, Anfang 1989, die Chance bekommen, an die Spitze der Konrad-Adenauer-Stiftung zu treten, so dass ich nicht mit 56 Jahren auf das Altenteil musste. Der Abschied von der Stiftung ist mir ebenfalls nicht leicht gefallen, denn auf diese kamen ja 1989 ganz ungeahnte Aufgaben nicht nur in den wiederentstehenden Ländern in Ostdeutschland, sondern in ganz Osteuropa zu. Deshalb riet mir auch Helmut Kohl, nicht nach Thüringen zu gehen. Aber ich habe in dieser Situation der Wiedervereinigung keinen Moment gezögert, als ernsthaft die Frage der Thüringer kam, ob ich bereit sei.
Sie sind ein enger Weggefährte von Helmut Kohl, der ebenfalls in Heidelberg studiert hat. Wie haben Sie sich kennengelernt?
Auf Helmut Kohl bin ich zum ersten Mal an einem Samstag auf der Hauptstraße aufmerksam geworden, als ich mit ein paar Kommilitonen am Bunsen-Denkmal zusammenstand. Ein sehr großgewachsener, schlanker junger Mann auf einer grünen Lambretta mit einem Sozius auf dem Rücksitz fuhr an uns vorbei und ein Kommilitone sagte zu mir: „Das ist der Helmut Kohl, kennen Sie den? Der wird mal Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz!“ Das war unsere erste Begegnung. Später ist Helmut Kohl für zwei Semester in das Forschungsseminar von Dolf Sternberger gekommen, so dass wir uns wöchentlich gesehen haben. Und seither währt die Bekanntschaft und die Freundschaft mit Helmut Kohl, bis zum heutigen Tag.
(Das Interview führte Mirjam Mohr)