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Uwe KräuterEin halbes Jahrhundert in China

Er gilt als der am längsten in China lebende Deutsche: Als der Heidelberger Student Uwe Kräuter 1974 in das Land kam, lebten dort kaum westliche Ausländer:innen. Geplant war eigentlich nur ein Aufenthalt von zwei Jahren, doch er blieb, fand die große Liebe, gründete eine Familie und wurde Filmproduzent, Autor und Kulturvermittler zwischen Deutschland und China – beispielsweise brachte er „Derrick“ als erste deutsche Serie ins chinesische Fernsehen. In diesem Jahr werden es 50 Jahre, die Uwe Kräuter bereits in China lebt – ein halbes Jahrhundert.

Uwe Kräuter, der 1945 geboren wurde und in der Nähe von Heidelberg aufwuchs, begann 1968 während der Hochphase der Studentenbewegung ein Studium der Soziologie, Ethnologie und Psychologie an der Ruperto Carola. Er engagierte sich gegen den Vietnamkrieg und demonstrierte dabei auch im Juni 1970 gegen den früheren US-Verteidigungsminister und damaligen Weltbank-Chef Robert McNamara, der an einer internationalen Konferenz in Heidelberg teilnahm. Da Kräuter und anderen anschließend Widerstand gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch vorgeworfen wurde, folgte eine mehrjährige juristische Auseinandersetzung, in der sie zunächst vom Anwalt und späteren Bundesinnenminister Otto Schily und danach von Heidelberg-Alumnus Eberhard Kempf vertreten wurden. Nach Bewährungsstrafen in der ersten Instanz gingen die Angeklagten in Berufung, wurden aber im Juni 1974 zu Gefängnisstrafen verurteilt, woraufhin sie vor den Bundesgerichtshof zogen – was 1975 mit rechtskräftigen Haftstrafen endete. Während vier der fünf Verurteilten diese antraten (darunter Joscha Schmierer, der 30 Jahre später zum Planungsstab der beiden Außenminister Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier gehörte), weilte der fünfte Angeklagte Uwe Kräuter zu dieser Zeit bereits in China und entging so dem Gefängnis.

 

Porträt Uwe Kräuter

Uwe Kräuter legt Wert darauf, dass er nicht nach China floh, um die Haft nicht antreten zu müssen: „Meine Absicht, nach China zu gehen, hatte mit dem Prozess nichts zu tun. Das wird zwar manchmal gesagt, es stimmt aber nicht“, betonte er 2011 in einem Interview, das das Sinologie Heidelberg Alumni Netzwerk (SHAN) mit ihm führte, als er bei den Alumni-Jubiläumstagen in Heidelberg zu Gast war. Er habe eine Doktorarbeit über China und Indien schreiben wollen und daher schon früh geplant, für einige Monate in beide Länder zu fahren, um sie kennenzulernen, erklärte er. 1972 reiste er nach Indien; Versuche, auch ein Visum für China zu bekommen, scheiterten aber: „In der chinesischen Botschaft sagte man mir direkt, Ausländer könnten jetzt nicht nach China.“ Allerdings habe er Ende 1973 – also noch vor den Urteilen mit Haftstrafen – überraschend das Angebot bekommen, zwei Jahre in Chinas Verlag für internationale Propaganda zu arbeiten, vermittelt über deutsch-schweizer Bekannte, die dort arbeiteten und deren Vertrag ablief. Ein Angebot, das Uwe Kräuter annahm, auch wenn er nicht wusste, was ihn erwartete, und zwei Jahre ihm wie eine Ewigkeit erschienen: „Aber ich sagte mir, du darfst keine Angst haben. Ein unbekanntes Land öffnete mir seine Tore, wie würde ich nicht eintreten wollen?“ Dieses Abenteuer habe er nicht für eine drohende Gefängnisstrafe opfern wollen, und so flog er im Juli 1974 nach China – und blieb bis heute dort.

In diesen 50 Jahren hat Uwe Kräuter viel erlebt und zahlreiche Menschen getroffen. Als er ankam, war die Kulturrevolution in vollem Gange, seither hat das Land über die Jahrzehnte nachhaltige Umbrüche erlebt und ist heute ein wirtschaftlicher Global Player mit Weltmachtanspruch. Uwe Kräuter heiratete eine bekannte chinesische Schauspielerin, mit der er zwei Töchter hat, geriet nach Maos Tod zwischen verfeindete chinesische Interessengruppen, brachte das 80-köpfige Ensemble des Pekinger Volkskunsttheaters nach Deutschland und umgekehrt das Mannheimer Nationaltheater nach China und wurde zum erfolgreichen Kulturvermittler zwischen beiden Ländern. Sein aufregendes Leben in Fernost schildert er nicht nur im SHAN-Interview (unten verlinkt), sondern auch in seiner 2012 erschienenen Autobiographie „So ist die Revolution, mein Freund: Wie ich vom deutschen Maoisten zum Liebling der Chinesen wurde“. Sein aktuelles Buch „Reisen ins Unbekannte. Besuch bei den Menschen in Nordkorea“ bietet seltene Einblicke in ein abgeschottetes Land, das Uwe Kräuter seit fast 20 Jahren regelmäßig besucht.