Besatzung 1 von 3
Für immer eingeprägt ist mir der Augenblick, als ich am Rathaus angeschlagen die ersten Proklamationen der Besatzungsmacht las: […] Es war, als fiele eine Zentnerlast von der Seele.
Marie Baum, Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin
Am 29. März besetzten aus der Pfalz vorrückende US-amerikanische Truppen Mannheim, und anschließend ließ der befehlshabende General William A. Beiderlinden Kontakt mit der Heidelberger Stadtverwaltung aufnehmen, um die gewaltlose Übergabe der Stadt zu bewirken. Verhandlungen hierüber führte eine aus drei Ärzten (Heidelberg war Lazarettstadt) und einem Oberleutnant bestehende deutsche Parlamentärgruppe im US-amerikanischen Divisionshauptquartier in Mannheim-Käfertal. Am 30. März (Karfreitag) überquerte ein erstes Bataillon den Neckar, und im weiteren Verlauf des Tages besetzte die 63. Infanteriedivision die gesamte Stadt. Abgesehen von einzelnen Feuergefechten mit versprengten SS-Männern und Hitlerjungen verlief die Besetzung unblutig. Die Frage, warum Heidelberg nicht zerstört wurde, beschäftigte die Zeitgenossen weit über das Kriegsende hinaus. Man mutmaßte, dass maßgebliche US-amerikanische Akteure persönliche Verbindungen nach Heidelberg hatten, dass die kulturelle Bedeutung als Stadt der Romantik und Wissenschaft als Schutzschirm gewirkt habe oder dass Heidelberg frühzeitig zum Sitz der Besatzungsverwaltung auserkoren worden sei. Anders als die rückschauenden Aussagen mancher Beteiligter wie des Oberbürgermeisters Carl Neinhaus, der sich zum Retter der Stadt stilisierte, nahelegen, wurde ein militärischer Großangriff nicht wundersam in letzter Minute abgewendet, sondern entsprach die Einnahme der Stadt dem Normalfall der US-amerikanischen Strategie in dieser Kriegsphase: Verzicht auf Gewalt gegen die Zivilbevölkerung bei ausreichender Gewähr einer kampflosen Übergabe.

Wie lange das US-amerikanische Militär in Heidelberg bleiben würde, war bei Kriegsende unabsehbar. Dass die Stadt innerhalb der Besatzungsverwaltung eine herausgehobene Stellung haben sollte, zeichnete sich jedoch schon bald ab. Bereits 1945 beherbergte Heidelberg verschiedene militärische Hauptquartiere, 1948 wurde es Sitz des Hauptquartiers European Command und 1952 des Hauptquartiers der U.S. Army und Sitz des Oberbefehlshabers. Rasch stieg die Zahl der in Heidelberg stationierten Soldaten und US-amerikanischen Zivilbeschäftigten auch durch den Zuzug von Familienangehörigen auf ungefähr 10.000 Personen. Um diese unterzubringen, wurden zahlreiche Gebäude beschlagnahmt und öffentliche Einrichtungen für Besatzungszwecke genutzt. In der Neuen Universität, die für mehrere Jahre der Studiennutzung entzogen wurde, waren eine US-amerikanische Schule und ein Theater untergebracht. Wie viele US-Militärangehörige für kürzere oder längere Zeit in Heidelberg waren, lässt sich kaum schätzen. Zu den prominentesten unter ihnen zählte die deutsche Schauspielerin und Hollywood-Ikone Marlene Dietrich, die 1939 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und von 1943 an in einem Truppenbetreuungsprogramm verschiedene europäische Kriegsschauplätze bereiste. Die Dauer ihres Aufenthalts in Heidelberg ist unbekannt; der auf dem Schlossaltan entstandene Schnappschuss jedenfalls entstand einige Tage nach der Besetzung der Stadt im April 1945 und zeigt sie in Begleitung des Generals Anthony McAuliffe.



Kopf der nationalsozialistischen Universität war in den Kriegsjahren der Historiker Paul Schmitthenner gewesen. Er hatte seit 1938 als Rektor amtiert und seit 1940 zugleich das badische Kultusministerium, die Aufsichtsbehörde der Universität, geleitet. Kurz vor dem Einmarsch der US-Amerikaner floh Schmitthenner – ebenso wie die ranghöheren regionalen NSDAP-Parteifunktionäre oder die lokalen Gestapo-Mitarbeiter – aus Heidelberg. Er wurde im Juni 1945 in Tirol gefangen gesetzt und verbrachte drei Jahre in Internierungshaft in verschiedenen Lagern und Krankenhäusern. 1951 wurde das gegen ihn geführte Entnazifizierungsverfahren eingestellt. Die Neuorganisation der Universität erfolgte durch eine Gruppe politisch wenig bzw. unbelasteter Professoren, die schon seit Anfang April in einem Dreizehnerausschuss eine personelle Erneuerung und die Wiedereröffnung der Universität vorbereiteten. Die Universitätsspitze wurde am 8. August neu gewählt. Rektor wurde der Mediziner Karl Heinrich Bauer, Prorektor der Historiker Fritz Ernst. Eine zentrale Rolle spielte auch der von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Ehefrau aus dem Lehramt gedrängte Philosoph Karl Jaspers als moralische Autorität beim Neuaufbau. Der Lehrbetrieb wurde etappenweise wiederaufgenommen: Den Anfang machte ein ärztlicher Fortbildungskurs Mitte August, und im November begannen die Vorlesungen wieder an der Medizinischen und der Theologischen Fakultät.


