Forschungsprojekt Lesbisch-queere Geschichten als Zeitgeschichte

Pressemitteilung Nr. 35/2024
16. April 2024

Vorstellung des Forschungsprojekts „Lesbische Lebenswelten“ sowie Podiumsdiskussion zum Spannungsfeld von Wissenschaft und Aktivismus

Neue Erkenntnisse zu den Lebenswelten frauenliebender Frauen in der Weimarer Republik und zur Zeit des Nationalsozialismus sind Thema einer Veranstaltung, zu der Wissenschaftlerinnen der Universitäten Heidelberg und Freiburg einladen. Sie präsentieren die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts, mit dem sie den gesellschaftlich-politischen Umgang mit nicht-normativen Lebensentwürfen untersucht haben. Vorgestellt wird auch das inzwischen gestartete Folgevorhaben, das die unmittelbare Nachkriegszeit bis in die frühen 1980er Jahre umfasst. Es schließt sich eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Lesbisch-queere Geschichte als Zeitgeschichte – Zwischen Wissenschaft und Aktivismus“ an. An der Veranstaltung wird die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Petra Olschowski teilnehmen. Sie findet am 23. April 2024 in Stuttgart statt.

„Das Projekt ‚Lesbische Lebenswelten‘ schließt eine bedeutende Forschungslücke unserer Landesgeschichte. Durch diese wissenschaftliche Arbeit werden bisher vielfach nicht wahrgenommene Lebensrealitäten von Frauen über mehrere Jahrzehnte erfahrbar und durch Veranstaltungen sowie Veröffentlichungen für eine breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ich freue mich, dass wir als Wissenschaftsministerium dieses besondere Forschungsprojekt seit den Anfängen unterstützen“, so Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg. Das Ministerium hat das an den Universitäten Heidelberg und Freiburg angesiedelte Projekt „‚Alleinstehende Frauen‘, ‚Freundinnen‘, ‚Frauenliebende Frauen‘. Lesbische Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er bis 1950er Jahre)“ gefördert. Im Mittelpunkt der an den Universitäten Heidelberg und Freiburg angesiedelten Forschungsarbeiten stand die Frage, ob und wie es in der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus gelingen konnte, innerhalb der von Politik, Recht, Gesellschaft und Wissenschaft gesetzten Normen nicht-normative Lebensentwürfe zu realisieren, und welche Auswirkungen Verfolgung und Ausgrenzung in der Nachkriegszeit hatten. Auch das Folgeprojekt „Zwischen Unsichtbarkeit, Repression und lesbischer Emanzipation – Frauenliebende* Frauen im deutschen Südwesten 1945 bis 1980er Jahre“ wird vom Wissenschaftsministerium unterstützt. 

Im Rahmen des ersten Projekts widmete sich das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern und Prof. Dr. Karen Nolte (Universität Heidelberg) sowie Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Universität Freiburg) in drei Teilprojekten rechtlichen Rahmenbedingungen, medizinischen Diskursen sowie lesbischen Kulturräumen und Netzwerken. Unter anderem ging es dabei um Biografien lesbischer Frauen, die in Politik, Gesellschaft und Kultur oder sozialen Bewegungen aktiv waren, insbesondere der Frauen- und Homosexuellenbewegung. Wie die Medizin, besonders die Psychiatrie, im Südwesten mit weiblicher Homosexualität umging, war Gegenstand der Forschung aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. Untersucht wurde auch, in welchen rechtlichen, polizeilichen oder fürsorgerischen Zusammenhängen frauenliebende Frauen gezwungen waren, ihre Lebensentwürfe öffentlich zu machen. 

„Die permanente, unterschwellige Bedrohung einer möglichen Ausweitung des Paragraphen 175, mit dem homosexuelle Männer strafrechtlich verfolgt wurden, prägte die Erfahrungswelten von Frauen, die jenseits der Heteronorm lebten. Unangepasstes Geschlechterverhalten und unangepasste Sexualität von Frauen und Mädchen wurden dort sanktioniert und diszipliniert, wo sie die gesellschaftliche Norm der Familie infrage stellte oder gefährdete“, erläutert Historikerin Katja Patzel-Mattern insbesondere mit Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus. Sowohl das erste Forschungsprojekt als auch das Nachfolgevorhaben verfolgen den Ansatz partizipativer Forschung in Zusammenarbeit mit der Karlsruher Historikerin und Künstlerin Ute Reisner sowie der Stuttgarter Historikerin Claudia Weinschenk.

An der Präsentation der Forschungsergebnisse wirken Steff Kunz, Muriel Lorenz und Elena Mayeres, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt, mit; sie stehen im Anschluss auch für Fragen zur Verfügung. Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Lesbisch-queere Geschichte als Zeitgeschichte – Zwischen Aktivismus und Wissenschaft“ gestalten Dr. Andrea Rottmann, Historikerin an der Freien Universität Berlin, Dr. Petra Krüger vom Bildungszentrum und Archiv zur Frauengeschichte Baden-Württembergs in Tübingen sowie Karl-Heinz Steinle von der Universität Stuttgart, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „LSBTTIQ in Baden und Württemberg“. Katharina Thoms vom Deutschlandradio moderiert die Veranstaltung.

Die Veranstaltung am 23. April 2024 findet im „Lern- und Gedenkort Hotel Silber“ statt, einer Erinnerungsstätte des historisch-politischen Lernens und der Begegnung. Beginn ist um 18 Uhr. Es ist eine Anmeldung per Mail an veranstaltungen-hs@hdgbw.de erforderlich.