icon-symbol-logout-darkest-grey

Guido ThimmMit Feuer bei der Sache

Ein Berufsleben zwischen Wissenschaft und Feuerwehr: der Physiker Guido Thimm

Unji privat: Guido Thimm

»Notruf Feuerwehr, Rettungsdienst, hallo?« Elf Mitarbeiter, sogenannte Disponenten, sitzen an diesem Tag an den Telefonen der Integrierten Leitstelle für Feuerwehr und Rettungs- dienst in Stuttgart. Vor jedem sind mehrere Monitore aufgebaut. Auf einer großen LED-Medienwand, die eine Seite des riesigen Raumes einnimmt, werden Statistiken über die aktuelle Einsatzlage eingeblendet. Wer in Stuttgart die 112 wählt, kommt bei einem dieser Disponenten an. Auch Guido Thimm war viele Jahre in der Integrierten Leitstelle Stuttgart tätig, drei davon als ihr Leiter, ehe der promovierte Physiker an die Universität Heidelberg wechselte und die Wissenschaftliche Geschäftsführung des hiesigen Zentrums für Astronomie übernahm. 

Die Dinge aktiv gestalten, Verantwortung übernehmen: Erzählt Guido Thimm von seinem Lebensweg, kommen diese beiden Beweggründe immer wieder zur Sprache. Zwei Mal veranlassen sie ihn dazu, eine berufliche Kehrtwende hinzulegen. In den 1980er-Jahren – nach Abitur und Bundeswehr – entscheidet sich Thimm zunächst, Physik an der Ruhr-Universität in Bochum zu studieren. Sein Berufsziel: Astronom. »Ich wollte wissen, wie unser Universum entstanden ist und wie es sich entwickelt hat, wie die ganz großen Zusammenhänge funktionieren.« Mit seiner Berufswahl ist aber noch eine andere, sehr idealistische Idee verbunden: »Ich wollte den Menschen zeigen, dass unsere Erde wie ein Sandkorn im All ist, etwas Einmaliges, das es zu schützen und zu bewahren gilt.« 

Ein Schlüsselerlebnis für den Studenten wird der zehnwöchige Aufenthalt am La-Silla-Observatorium in der nordchilenischen Atacama-Wüste. Im Auftrag des Professors, bei dem er seine Diplomarbeit schreibt, soll er hier Daten über die Explosion einer damals in der Großen Magellanschen Wolke aufgeflammten Supernova sammeln. »Was ich in diesen Wochen erlebt habe, ist unbeschreiblich.« Thimm ringt nach Worten. Noch heute, 35 Jahre später, wirkt diese Zeit nach, in der sich der Physiker jeden Abend auf den Weg zu seinem Teleskop in die Atacama-Wüste macht, um das Sternenmeer zu beobachten. Unter dem gewaltigen Bogen der Milch­ straße, der sich auf der Südhalbkugel über den gesamten Himmel spannt, hat er das Gefühl, »mitten im Kosmos zu stehen«. 

Uni privat: Guido Thimm

Nach dem Diplom entschließt sich Guido Thimm zu promovieren und wechselt an das Max-Planck-Institut für Astronomie nach Heidelberg. Doch schon bald schlei- chen sich erste Zweifel ein. Die wissenschaftliche Arbeit fühlt sich zunehmend bedeutungslos an, die Ideale, die ihn anfänglich angetrieben haben, fallen dem Alltag zum Opfer. Trotz anfänglicher Probleme bei der Datenerhebung mit seinem neuen Instrument – schlechtes Wetter verhindert in der entscheidenden Phase den klaren Blick ins All – vollendet er seine Dissertation zweieinhalb Jahre später und erhält ein begehrtes Fellowship an der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching. 

Uni privat: Guido Thimm

In Sekundenschnelle in die Feuerwehrkluft steigen, die baumhohe Stange in die Halle hinunter­rutschen, in der die Löschfahrzeuge stehen, und los!

Guido Thimm

Doch keine zwölf Monate später erfolgt dann der Neustart: Guido Thimm beginnt eine Ausbildung als Brandreferendar bei der Feuerwehr. Was ist passiert? »Die Zweifel hatten sich immer stärker festgesetzt«, erinnert er sich. »Ich wollte einen Beruf ausüben, der den Menschen stärker zugutekommt. Gleichzeitig hatte ich den Wunsch, eine Familie zu gründen, was mit der Wissenschaft nur schwer zu vereinbaren war und das sich bis heute nicht wesentlich geändert hat.« Nachdem wichtige Messungen, die er für die ESO durchführt, erneut wegen schlechter Wetterbedingungen misslingen, macht Guido Thimm Nägel mit Köpfen – »das war für mich das Zeichen, einen neuen Weg zu wählen« –, und er schickt eine Bewerbung an die Berufsfeuerwehr. Damit tritt er in die Fußstapfen seines Vaters, der – selbst Feuerwehrmann – ihn schon früh mit dem Beruf vertraut gemacht hatte. 

»Haben Sie Kopfschmerzen oder ist Ihnen schwindelig?« Einer der Disponenten in der Leitstelle hat einen medizinischen Notfall am Telefon. »Der Leitfaden für die Gesprächsführung bei derartigen Notfällen stammt noch von mir«, flüstert Guido Thimm, um den Mitarbeiter nicht zu stören. Der Physiker hat Spuren bei der Feuerwehr hinterlassen. Das ist auch dreizehn Jahre später noch spürbar. »Wahnsinn! Das ist ja immer noch das Thimm-Design!« Schon während seines Ausbildungsabschnitts bei der Berufsfeuerwehr Stuttgart hatte er das Design für die Gestaltung der Stuttgarter Feuerwehrwagen entwickelt. Auf dem Hof der Leitstelle stehen immer noch Fahrzeuge, die die charakteristische Lackierung zeigen. Auch das Logo der Integrierten Leitstelle stammt aus Thimms Feder. Und die große Medienwand inklusive Software, die den Disponenten zeigt, wo gerade Einsätze laufen oder auch wie viele Fahrzeuge aktuell unterwegs beziehungsweise noch verfügbar sind, hat ebenfalls er entwickelt.

Im Herzen bin ich immer Astronom geblieben

Guido Thimm

Das Handwerk eines Feuerwehrmanns hat Guido Thimm von der Pike auf gelernt. Als Chef der Stuttgarter Leitstelle, die er in den 2000er-Jahren mit aufbaut und deren erster Leiter er 2006 wird, ist er allerdings nicht mehr oft bei Einsätzen dabei. Nur noch an den seltenen Tagen, an denen er Direktionsdienst und damit die Funktion des höchsten Einsatzleiters in ganz Stuttgart innehat, rückt er mit aus. In Sekundenschnelle in die Feuerwehrkluft steigen, die baumhohe Stange in die Halle hinunterrutschen, in der die Löschfahrzeuge stehen, und los! Thimm erinnert sich gut an das Adrenalin, das in diesen Momenten durchs Blut pumpt. Der Alltag aber sieht anders aus: »Ich war zunehmend mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt und im stadtpolitischen Umfeld unterwegs. Das Gefühl, wirksam sein zu können, ging dabei immer mehr verloren.« 

Zufriedengeben kann sich Guido Thimm mit der Situation nicht. 2009 entdeckt er eine Stellenanzeige der Universität Heidelberg, in der ein neuer Wissenschaft­ licher Geschäftsführer für das Zentrum für Astronomie gesucht wird. »Im Herzen bin ich immer Astronom geblieben, also habe ich mich beworben und die Stelle tatsäch- lich bekommen.« Trotzdem, beim heutigen Besuch der Rettungsleitstelle – dem ersten seit seinem Weggang vor 13 Jahren – kommen viele schöne Erinnerungen an die Zeit bei der Feuerwehr hoch und es jucke durchaus in den Fingern, wie der Physiker eingesteht. Sein wahrer Traum ist es aber immer geblieben, noch einmal in die Forschung einzutauchen und in Chile unter den leuchtenden Sternen mitten im Kosmos zu stehen.