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Sissy Geider, Julia Campos und Mert Serce Große Welle an Hilfsbereitschaft

Sissy Geider, Julia Campos und Mert Serce geben ehrenamtlichem Engagement für Flüchtlinge ein Gesicht

»Ich hoffe, dass die Kosten-Nutzen-­Rechnungen endlich aufhören, dass wir die einzelnen Menschen hinter den Flüchtlingen wahrnehmen, ihnen mit mehr Offenheit und Verständnis begegnen.«  Sissy Geider, Lehramtsstudentin in Heidelberg, ist Mitglied der »Offenen Uni« – einer Initiative, deren Ziel es ist, Geflüchteten den Hochschulzugang zu erleichtern. Die 28-Jährige zählt zu den vielen Angehörigen der Universität, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren: sei es, um Sprach­kurse zu geben, Asylbewerbern als Mentoren zur Seite zu stehen, sie bei juristischen Fragestellungen zu beraten oder die Kinderbetreuung in den Flüchtlingswohnheimen zu unterstützen.

Sissy Geider

Die »Offene Uni«, die von Studierenden im vergangenen Herbst ins Leben gerufen wurde, setzt sich für diejenigen Flüchtlinge ein, die ein Studium in Deutschland beginnen oder fortsetzen wollen. »Diese Menschen, die fast alles zurücklassen mussten, sollen auch hier ihre Ziele weiter verfolgen können«, erklärt Sissy Geider. Die größte Hürde ist dabei zunächst die Sprachbarriere. Probleme bereiten darüber hinaus die geringen finanziellen Mittel, manches Mal auch fehlende Zeugnisse und Bescheinigungen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung eines Studiums benötigt werden. An den vier Informationsveranstaltungen, die die »Offene Uni« bislang ausgerichtet hat, nahmen insgesamt 90 Interessierte teil, zudem wird die Initiative regelmäßig von Flüchtlingen aus ganz Deutschland angeschrieben.

Auch im Asylarbeitskreis Heidelberg ist Sissy Geider seit vielen Jahren aktiv und verantwortet hier die Workshops für Ehrenamtliche: Die angehende Lehrerin organisiert Seminare zum Thema Asylrecht oder auch zur psycho­sozialen Situation der Geflüchteten und leitet regelmäßig die Einführungsworkshops. Im vergangenen Jahr platzt en diese dank einer großen Welle an Hilfsbereitschaft förmlich aus allen Nähten. Inzwischen ist die Skepsis größer geworden – eine Zunahme an Gerüchten sei zu beobachten, erzählt die 28-Jährige. Als große Chance empfindet sie, dass durch die Flüchtlingsbewegungen auch gesellschaftliche Diskurse in den Fokus rücken, die schon lange schwelen – Diskurse zur Integration von Zugewanderten, aber auch zum Thema Gewalt gegen Frauen oder zu den Bildungschancen sozial Benachteiligter.

Es wird dringend Zeit, dass wir bessere Voraussetzungen schaffen, damit diese Menschen auch wirklich ankommen können – zumal wir nicht erst seit letztem Sommer wissen, dass immer mehr Menschen sich gezwungen sehen, ihr Herkunftsland zu verlassen.

Sissy Geider

»Die Integrationsbereitschaft ist aufseiten der Zugewanderten viel stärker, als es in der Öffentlichkeit oft dargestellt wird.« Julia Campos, Dozentin für Deutsch als Fremdsprache am Internationalen Studienzentrum der Universität, weiß, wovon sie spricht. Seit fünf Jahren engagiert sie sich in ihrer Freizeit für Geflüchtete und unterrichtet Deutsch in verschiedenen Heidelberger Flüchtlingsunterkünften. Seit November vergangenen Jahres ist die 30-Jährige zudem als Koordinatorin für das Projekt »Sprachbrücken« zuständig, das vom Asylarbeitskreis Heidelberg mit Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung durchgeführt wird. Hier kümmert sie sich um den Einsatz und die Fortbildung ehrenamtlicher Lehrkräfte, um den großen Bedarf an Sprachkursen zu decken. Oft sei es nicht mangelnder Wille, sondern mangelndes Wissen, das die Integration verzögere und zu Missverständnissen führe.

Julia Campos

Ich wünsche mir von deutscher Seite mehr Geduld und ein stärkeres Bewusstsein dafür, was es etwa bedeutet, die Landessprache nicht zu beherrschen

Julia Campos

Zu den Hilfsangeboten in Heidelberg gehören auch freizeitpädagogische Angebote für Flüchtlingskinder – ­organisiert vom Deutschen Roten Kreuz, kirchlichen Trägern oder auch dem Asylarbeitskreis. Im Patrick Henry Village (PHV), dem zentralen Registrierungszentrum Baden-Württembergs, in dem aktuell mehr als 6.000 Flüchtlinge untergebracht sind, finden unter der Woche mittlerweile täglich Betreuungsabende für die Kinder statt. Zwei-, oft auch dreimal wöchentlich, und das inzwischen seit zehn Monaten, fährt Mert Serce ins PHV im Stadtteil Kirchheim – für den Medizintechniker am Universitätsklinikum Heidelberg eine Herzensangelegenheit.

Mert Serce

Ich habe mich dermaßen über einige fremdenfeindliche und pauschale Kommentare aus meinem Bekanntenkreis geärgert, dass ich mir die Situation selbst anschauen wollte.

Mert Serce

Auf Deutsch, Englisch, Türkisch sowie mit Händen und Füßen verständigt er sich mit den Kindern, spielt mit ihnen Fußball oder Basketball und versucht, ihnen zumindest zwei Stunden am Tag so viel Freude und Ablenkung zu verschaffen, wie irgend möglich. Dennoch frage er sich manchmal: »Bringt das überhaupt etwas, was ich hier mache?« Denn die Unsicherheit, die erzwungene Untätigkeit und fehlende Tagesstruktur seien eine enorme Belastung für die Geflüchteten – und das abendliche Betreuungsangebot nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wie Sissy Geider und Julia Campos fühlt sich Mert Serce oft hilflos, aber wie sie lässt er sich nicht entmutigen. Als Sohn türkischer Einwanderer habe er selbst jahrelang mit seiner Identität gekämpft, erzählt Serce, sich weder in der deutschen Heimat noch in der Türkei voll und ganz akzeptiert gefühlt. »Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie es ist, nur nach seinem Äußeren beurteilt zu werden. Mir ist es wichtig, diesen Menschen das Gefühl zu vermitteln: Ihr seid jemand – egal, woher ihr kommt, und egal, welche Hautfarbe ihr habt.«

Dieser Artikel ist in der UNISPIEGEL 1/2016 (Seite 8) erschienen.