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ForschungVerdampfungskühlung für Anionen

4. Juli 2023

Physiker aus Heidelberg und Innsbruck entwickeln Verfahren zur Kühlung von negativ geladenen Molekülen

Molekulare Anionen, negativ geladene Moleküle, lassen sich aufgrund ihrer besonderen elektronischen Struktur nur schwer kühlen. Ein Team aus Physikern um Prof. Dr. Matthias Weidemüller vom Physikalischen Institut der Universität Heidelberg und Prof. Dr. Roland Wester vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck (Österreich) haben nun eine neue Methode entwickelt, mit der Molekül-Anionen in kurzer Zeit auf unter drei Kelvin, das heißt auf etwa minus 270 Grad Celsius, heruntergekühlt werden können. Dies ermöglicht nach Angaben der Wissenschaftler zum Beispiel neue Untersuchungen von chemischen Reaktionen im Weltraum.

Radiofrequenzfalle

Die Kühlung von Atomen und Ionen auf nahezu den absoluten Nullpunkt – er liegt bei null Kelvin oder minus 273,15 Grad Celsius – ist heute in vielen Laboren Routine. Da sich die Teilchen bei diesen Temperaturen sehr gut kontrollieren lassen, bieten solche Systeme eine ideale Plattform für die Erforschung vieler wissenschaftlicher Fragestellungen. Darüber hinaus sind sie die Basis für Präzisionsuhren oder Quantenbits, die unter anderem die Grundlage für Quantencomputer bilden. Negativ geladene Ionen, sogenannte Anionen, lassen sich jedoch nur schwer kühlen und damit in ihrer Bewegung kontrollieren. Forscher der Universitäten Heidelberg und Innsbruck haben nun gemeinsam eine Technik weiterentwickelt, mit der die jeweils wärmsten Teilchen aus einer Wolke von Molekül-Ionen gezielt aussortiert und auf diese Weise die verbleibenden Molekül-Ionen auf unter drei Kelvin gekühlt werden können.

Bei dem Experiment sind die Ionen in einer Radiofrequenzfalle eingeschlossen und verteilen sich entlang der Längsachse der Falle. Dabei können sich Ionen mit höherer Energie weiter vom Zentrum der Falle weg entfernen. „Das nutzen wir aus, um diese Ionen gezielt aus dem Spiel zu nehmen“, erklärt Dr. Eric Endres vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck. „Mit einem fokussierten Laserstrahl, der auf den Rand der Ionenwolke zielt, neutralisieren wir die wärmeren Ionen. Die Photonen des Lasers lösen dabei ein Elektron aus dem Anion, wodurch ein neutrales Molekül entsteht, das aus der Falle fällt.“ Nachdem die hochenergetischen Ionen verdampft sind, kühlen sich die verbleibenden Ionen auf eine niedrigere Temperatur ab. „Durch langsames Bewegen des Laserlichts in Richtung des Fallenzentrums werden die Anionen mit der höchsten Energie nacheinander verdampft, was in weniger als vier Sekunden zu einer Temperatur von 2,2 Kelvin führt“, sagt Saba Hassan, Doktorandin in der Forschungsgruppe von Prof. Weidemüller am Physikalischen Institut der Universität Heidelberg.

Bisher eingesetzte Techniken erlauben es, Anionen bis auf drei Kelvin herunterzukühlen. „Mit der von uns weiterentwickelten Methode kann diese Schranke nun im Prinzip für jede Art negativ geladener Moleküle durchbrochen werden, was viele neue Untersuchungen über die Grundlagen der Natur oder zum Beispiel von chemischen Reaktionen im Weltraum erlaubt“, so die Forschungsgruppenleiter Matthias Weidemüller und Roland Wester.

Unter anderem haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der Österreichische Wissenschaftsfonds (FWF) sowie das Exzellenzcluster STRUCTURES der Universität Heidelberg die Forschungsarbeiten unterstützt. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ veröffentlicht.

Originalpublikation

J. Tauch, S. Z. Hassan, M. Nötzold, E. S. Endres, R. Wester and M. Weidemüller: Laser-induced forced evaporative cooling of molecular anions below 4 K. Nature Physics (15 June 2023).