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UniversitätStudentischer Protest in der Revolution 1848

21. Juli 2023

Der Auszug der Heidelberger Studenten vor 175 Jahren

Die Revolution von 1848 hat auch in der Heidelberger Universitätsgeschichte Spuren hinterlassen. Dies gilt zum einen für den Lehrkörper, denn keine Universität war in der Paulskirche so stark vertreten wie Heidelberg mit sieben Professoren als Abgeordneten. Zum anderen begnügten sich auch die Studenten nicht damit, das Zeitgeschehen bloß zu beobachten, sondern traten in größerer Zahl selbst als politische Akteure in Erscheinung. Der Höhepunkt war dabei ein kollektiver Protest, mit dem die Studentenschaft Mitte Juli 1848 auf die Aktionsform des Auszugs aus der Stadt zurückgriff. Mit den Ereignissen vor 175 Jahren befasst sich Prof. Dr. Frank Engehausen, der am Historischen Seminar der Universität Heidelberg zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts forscht.

Als Ende Februar 1848 die revolutionären Unruhen sich von Frankreich nach Deutschland ausbreiteten und sehr früh auch Heidelberg erreichten, waren Studenten von Anfang an an den politischen Debatten und Kontroversen in der Stadt beteiligt. Einzelne von ihnen profilierten sich sogleich als radikale Demokraten, die die Fürstenherrschaft beenden wollten. Das Gros der Studenten hielt es aber zunächst mit der liberalen Professorenpartei, deren gemäßigtes Programm auf eine Modernisierung der bestehenden monarchischen Ordnungen und auf die Gründung eines nationalen Verfassungsstaats zielte. Ungefähr 100 Studenten ließen sich auch ganz praktisch für die Zwecke der Ordnungspartei einspannen, als sie im April als Studentenwehr in die neu gebildete Heidelberger Bürgerwehr eintraten. Für den Kauf von Gewehren und Munition stellte die Universität beträchtliche Geldmittel zur Verfügung, und Kommandeur der Truppe wurde der Physikprofessor Philipp Jolly.

Das weitgehend einträchtige Miteinander von Universitätsleitung und Studenten endete jedoch mit Beginn des Sommersemesters 1848, als die Fortsetzung des unzeitgemäß erscheinenden Immatrikulationsverfahrens mit einem Gelübde auf die akademischen Gesetze und der Anerkennung des Verbots nicht genehmigter studentischer Zusammenschlüsse Anstoß erregte. Am 12. Mai fand eine erste allgemeine Studentenversammlung statt, und eine Woche später wurde der Heidelberger Studentenverein gegründet, dem es – allerdings unter Verzicht auf ein festes Programm und mit einer kollektiven Leitung in einem größeren Ausschuss – gelang, alle Studentenverbindungen inklusive der exklusiven Corps unter ein Dach zu bringen.

Sie müssen vielmehr die Vorkämpfer sein für die Sache der Freiheit und der Humanität.

Einer kleineren Gruppe von Studenten erschien es jedoch nicht ausreichend, sich lediglich als Interessenvertretung gegenüber der Universitätsleitung zu formieren: Etwa zwei Dutzend Radikale gründeten Mitte Juni einen Demokratischen Studentenverein, der sich von dem allgemeinen Verein explizit abgrenzte, da er über die studentischen Anliegen hinaus auch politische Ziele anstrebte – und zwar die Republik, um deren Verwirklichung die Mitglieder sich nach Kräften, aber ausschließlich mit gewaltlosen Mitteln bemühen wollten. Im Gegensatz zu dem allgemeinen gab sich der Demokratische Studentenverein mit einer detaillierten Satzung eine straffe Organisation und begann rasch, für seine Anliegen zu werben. Dies geschah zunächst mit einem Aushang am Schwarzen Brett der Universität, der die Kommilitonen dazu aufrief, „dem Vaterlande und der Sache der Freiheit alle seine Kräfte zu widmen. Vor allem darf derjenige Theil des Volkes, welche der intelligentere ist, die Hände nicht in den Schooß legen, und am allerwenigsten diejenigen, welche mit der Intelligenz den Muth und die Kraft der Jugend verbinden; die Vorkämpfer vielmehr müssen sie sein für die Sache der Freiheit und der Humanität“.

Anstatt die Mitstudenten aufzurütteln, bewirkte der Aufruf in erster Linie eine scharfe Reaktion der badischen Regierung, die von der Universitätsleitung über Vereinsgründung und Aushang umgehend in Kenntnis gesetzt wurde. Argwohn mochte die Aufforderung erregt haben, sich an den Studenten in Wien und in Berlin, wo im März bewaffnete Unruhen aufgeflammt waren, ein Beispiel zu nehmen; vor allem aber griff die badische Regierung hart durch, weil noch überall die Nachwehen des von Friedrich Hecker und Gustav Struve angeführten republikanischen Umsturzversuchs vom April in Südbaden zu spüren waren. Dass von dem Heidelberger Demokratischen Studentenverein mit seinen gut 30 Mitgliedern, die er Anfang Juli hatte, eine ernsthafte Bedrohung kaum ausgehen konnte, spielte keine Rolle. Vier Tage nach der Veröffentlichung des Aufrufs, am 11. Juli, wurde der Verein verboten.

Im Streit um die Entfernung des Aushangs vom Schwarzen Brett, dem ein zweiter, ebenfalls prompt vom Universitätsamtmann kassierter gefolgt war, und um die Verbotsanordnung, die am 14. Juli in Heidelberg allseits bekannt wurde, solidarisierte sich der allgemeine mit dem Demokratischen Studentenverein, da er durch das rigorose Vorgehen die Rechte der Studentenschaft insgesamt beeinträchtigt sah und zudem meinte, die Universitätsleitung hinge am Gängelband der Regierung in Karlsruhe. Diese versuchte noch, zwischen den Studenten und dem zuständigen Innenministerium zu vermitteln, scheiterte aber damit, als eine studentische Generalversammlung mit mehr als 300 Teilnehmern beschloss, eine Delegation mit einem Ultimatum nach Karlsruhe zu schicken: Wenn das Verbot des Demokratischen Studentenvereins nicht binnen 24 Stunden aufgehoben werde, würden die Studenten Heidelberg geschlossen verlassen. Als der Auszug unmittelbar bevorstand, weil die Regierung sich nicht erpressen ließ, appellierte der Senat der Universität noch in einem Aufruf an die Studenten, einzulenken und „ein nahezu vollendetes Semester“ nicht wegzugeben und „dem Willen Eurer Eltern“ nicht entgegenzuhandeln.

In einem über die Presse verbreiteten Aufruf erklärten die Studenten, dass von einer Rückkehr nach Heidelberg nicht eher die Rede sein könne, „als bis das freie Associationsrecht wiederhergestellt“ sei.

Der allgemeine Studentenverein ließ sich von dem Vorhaben aber nicht abbringen: Am Vormittag des 17. Juli versammelten sich 350 Studenten – dies waren ungefähr zwei Drittel der Immatrikulierten – auf dem Karlsplatz und zogen unter Begleitung einer großen Menschenmenge und unter Vorantragen einer schwarz-rot-goldenen Fahne zum Bahnhof. Mit dem Zug fuhren sie zunächst nach Mannheim, wo sie von der Polizei argwöhnisch beobachtet wurden, und von dort nach Neustadt (an der Weinstraße, damals: an der Haardt), einen in zweifacher Hinsicht symbolischen Ort: 1578 hatten dort die nach einem Konfessionswechsel des Landesherrn aus Heidelberg geflohenen calvinistischen Universitätsangehörigen Zuflucht gesucht, und 1832 hatte auf dem Hambacher Schloss die erste Massendemonstration gegen die restaurative Politik des Deutschen Bundes stattgefunden.

Unmittelbar nach dem Auszug der Studenten begannen in Heidelberg die Bemühungen um Schadensregulierung. Die Universitätsleitung forderte die Ausgezogenen zu einer raschen Rückkehr auf, stellte in Aussicht, auf scharfe Strafen zu verzichten, verhängte aber, um ihrer Haltung Nachdruck zu verleihen, eine Stipendiensperre. Die städtischen Behörden nahmen, wohl auch in Sorge um materielle Schäden für die Bürgerschaft durch das Wegbleiben der Studenten, eine vermittelnde Position ein, und sandten eine Delegation nach Karlsruhe, die von der Regierung eine Rücknahme oder wenigstens eine Milderung des Vereinsverbots erbat. Das gleiche Anliegen verfolgten, allerdings in forderndem Ton, die Studenten in Neustadt, die in einem über die Presse verbreiteten Aufruf erklärten, dass von einer Rückkehr nach Heidelberg nicht eher die Rede sein könne, „als bis das freie Associationsrecht wiederhergestellt“ sei.

Postkarte: Auszug der Heidelberger Studenten im Juli 1848.

Entscheidend für das Weitere war die Haltung der badischen Regierung, die an dem Verbot des Demokratischen Studentenvereins festhielt, aber durch zwei Beschlüsse den Ausgezogenen einen leidlich gesichtswahrenden Abbruch der Protestaktion ermöglichte: Zum einen verhängte sie nun ein allgemeines Verbot demokratischer Vereine im ganzen Land, so dass sich die Studenten nicht länger als unter ein diskriminierendes Sonderrecht gestellt betrachten mussten, und zum anderen setzte sie eine mehrtätige Frist zur straffreien Rückkehr nach Heidelberg, die es den Studenten erlaubte, ihren Abschied aus Neustadt noch gebührend zu inszenieren – inklusive des Drucks eines Flugblattes, in dem den Bürgern für ihre Gastfreundschaft gedankt wurde in der „Zufluchtsstätte gegen die Willkühr der badenschen Regierung“.

Die Studenten kehrten am 25. Juli nach Heidelberg zurück, wollten sich von den dort in großer Zahl versammelten Bürgern aber nicht feiern lassen, sondern zogen mit eingerollten Fahnen und Trauerflor in die Stadt ein. Erneut formulierten sie ihre Position in einer Proklamation, die unter anderem betonte, dass es selbstverständlich nicht ihr Ziel gewesen sei, nun durch eine allgemeine Rechtsverschlechterung mit den Bürgern gleichgestellt zu werden, und dass sie sich dafür einsetzen würden, dass „jenes Verbot der demokratischen Vereine baldmöglichst wieder aufgehoben“ werde. In den Folgetagen war politische Unruhe unter den Studenten noch bemerkbar: Am 27. Juli hielt der allgemeine Studentenverein eine stark besuchte Versammlung ab, in der eine Petition an die Nationalversammlung in Frankfurt gegen „jede Verkümmerung des Associationsrechts“ beschlossen wurde, und am 30. Juli sprach der Vorsitzende des verbotenen Demokratischen Studentenvereins, Adolf Hirsch, in prominenter Gesellschaft, als im Schlosshof anlässlich des Besuchs einiger Paulskirchenabgeordneter, unter ihnen Robert Blum, eine Volksversammlung stattfand. Konkrete Folgen für die Situation der Heidelberger Studenten, die sich kurz darauf in die Semesterferien begaben, hatten diese Nachhutgefechte des Auszugs nach Neustadt nicht.

Text: Frank Engehausen

Zum Autor

Prof. Dr. Frank Engehausen lehrt und forscht am Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und dort insbesondere auf der Revolution von 1848/49 und der Zeit des Nationalsozialismus. Vor kurzem ist von ihm das Buch „Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49“ erschienen.

Literaturhinweis

Robert Zepf: Mit dem Resultat einer Seifenblase? Der Auszug der Heidelberger Studenten nach Neustadt an der Weinstraße im Juli 1848, in: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 3/1998, S. 65-105.