Interview mit Frauke Melchior, der neuen Rektorin der Universität Heidelberg „Heidelberg University – the place to be“
Mit Beginn des Wintersemesters hat die Molekularbiologin Prof. Dr. Frauke Melchior ihr Amt als neue Rektorin der Universität Heidelberg übernommen. Sie folgt damit dem Geographen Prof. Dr. Bernhard Eitel nach, der 16 Jahre lang als Rektor der Ruperto Carola gewirkt hat. Im Interview spricht sie über Herausforderungen im Exzellenzstrategie-Wettbewerb, die drei neuen Schwerpunktbereiche Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Diversität sowie die wohl dringlichste Aufgabe ihres Rektorats – die Verbesserung der baulichen Infrastruktur.
Ihre Bewerbungsrede anlässlich der Rektorwahl im März haben Sie unter das Motto „Heidelberg University – the place to be“ gestellt. Was genau verstehen Sie darunter?
Melchior: Egal ob Sie hier studieren, forschen oder in den unterstützenden Einheiten wie der Verwaltung beschäftigt sind – ich wünsche mir, dass für alle gilt: Die Universität Heidelberg ist der Ort, an dem ich am richtigen Platz bin. Idealerweise sprechen wir von einem gemeinsamen „spirit“, der von allen Mitgliedern der Ruperto Carola geteilt wird. Da, wo das noch nicht so ausgeprägt ist, müssen wir noch etwas tun.
Zu den besonderen Herausforderungen, so hat es Ihnen Ihr Vorgänger nach der Wahl mit auf den Weg gegeben, gehört es, „die künftigen Schwerpunkte in der Exzellenzstrategie zu entwickeln und in der Universität breit zu verankern“. Wie werden Sie dabei vorgehen?
Melchior: Die Universität Heidelberg hat sich mit Beginn der Exzellenzinitiative auf einen langen strategischen Weg gemacht. Ich persönlich bin seit dem zweiten Exzellenzwettbewerb dabei, habe das Konzept mitgetragen und in verschiedenen Funktionen mitgestaltet – sei es als stellvertretende Sprecherin des Exzellenzclusters CellNetworks, als Mitglied der Graduiertenschule HBIGS oder als Teil der Vortragenden bei der Vorstellung des Zukunftskonzepts. Insofern werden Sie in dieser Sache von mir keine dramatischen Verschiebungen oder Veränderungen zu erwarten haben. Was den aktuellen Exzellenzstrategie-Wettbewerb angeht, so habe ich vor meinem Wechsel an das Forschungszentrum Jülich zumindest noch die Anfänge bei der Findung neuer Themen für Cluster-Skizzen mitbekommen. Die zwölf Skizzen liegen nun vor, und ich kann sagen, dass das eine sehr gute Auswahl ist. Meine Aufgabe wird es sein, die Skizzen bei den Begutachtungsschritten bis hin zu möglichen Vollanträgen zu begleiten. Die zweite, ganz wesentliche Aufgabe ist die anstehende Evaluation der Exzellenzstrategie. Da müssen wir noch viel programmatische Arbeit leisten, gemeinsam mit der Forschungs- und Strategiekommission, dem Senat, den Fields of Focus und den Fakultäten.
Die Universität Heidelberg hat sich mit Beginn der Exzellenzinitiative auf einen langen strategischen Weg gemacht.
Frauke Melchior
Das klingt nach Kontinuität…
Melchior: Ja, aber natürlich gibt es auch einige strategische Themenschwerpunkte, die ich stärker akzentuieren möchte. Das spiegelt sich im Zuschnitt der Prorektorate und in der Wahl der Personen wider. So haben wir das Prorektorat für Forschung um das Thema Digitalisierung erweitert. Das ist ein Bereich, den wir deutlich weiterentwickeln müssen. In der Forschung betrifft das zum Beispiel das Forschungsdatenmanagement, das Software Engineering oder auch Dinge wie Quantencomputing oder neuromorphes Computing. Digitalisierung spielt aber auch in der Lehre eine wichtige Rolle sowie in Verwaltungsprozessen, die vereinfacht werden sollen. Da gibt es noch viele Baustellen. Auch die Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz sind hier zu nennen. Dem müssen wir uns stellen.
Welche weiteren Schwerpunkte stehen auf dem Programm?
Melchior: Ein zweites, großes Querschnittsthema wird der Bereich Nachhaltigkeit sein, den wir im Prorektorat für Qualitätsentwicklung angesiedelt haben. Mit Fragen der Nachhaltigkeit möchten wir uns möglichst umfassend beschäftigen – in Forschung und Lehre, aber auch in unserem eigenen Handeln als Institution. Mit der Gründung des Heidelberg Center for the Environment vor mehr als zehn Jahren haben wir als erste Universität in Baden-Württemberg die Umweltwissenschaften disziplinenübergreifend in einem Zentrum gebündelt. Solche Aktivitäten wollen wir weiter stärken und ausbauen. Im Prorektorat für Internationales haben wir schließlich noch das Thema Diversität verankert. Diese Zuordnungen, das möchte ich allerdings betonen, sind eher organisatorischer Natur. Die drei großen Schwerpunktbereiche Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Diversität werden inhaltlich vom gesamten Rektorat getragen und entwickelt.
Das Prorektorat für Innovation und Transfer, bislang von einem Physiker geleitet, haben Sie nun mit einer Historikerin besetzt. Eine bewusste Entscheidung?
Melchior: In diesem noch sehr jungen Rektoratsbereich ist in den vergangenen Jahren unheimlich viel passiert, etwa mit der Etablierung der universitären Transferagentur hei_INNOVATION. Nachdem wir in den vergangenen Jahren den Blick des Naturwissenschaftlers auf diesem Bereich hatten, war es mir tatsächlich ein besonderes Anliegen, mit einer Geisteswissenschaftlerin die Perspektive zu wechseln. Denn der Transfer-Begriff ist ein sehr breiter. Er meint eben nicht nur Technologietransfer, sondern ebenfalls den Transfer von Wissen in die Gesellschaft, wie er sich zum Beispiel in der Politikberatung manifestiert. Im Bereich der Wissenschaftskommunikation wollen wir das, was es alles schon Schönes gibt, noch erweitern und sichtbarer machen.
Die drei großen Schwerpunktbereiche Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Diversität werden inhaltlich vom gesamten Rektorat getragen und entwickelt.
Frauke Melchior
Wie wird es mit der Vernetzung der Lebenswissenschaften in Form der Health + Life Science Alliance Heidelberg Mannheim weitergehen?
Melchior: Die Alliance ist eine ganz wunderbare und logische Fortsetzung dessen, was hier seit mehr als 15 Jahren versucht wurde zu erreichen. Die Strahlkraft der Lebenswissenschaften am Standort Heidelberg und Mannheim ist geprägt durch die enge Zusammenarbeit der Universität mit den beiden Medizinischen Fakultäten Heidelberg und Mannheim, den Fakultäten für Biowissenschaften und neuerdings für Ingenieurwissenschaften mit ihren außeruniversitären Partnern wie dem Deutschen Krebsforschungszentrum, dem Max-Plack-Institut für medizinische Forschung oder dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie. Hinzu kommen die beiden Universitätsklinika, das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim sowie zahlreiche Unternehmen in der Gesundheitswirtschaft. Eine Bündelung dieser Kräfte und eine noch stärkere Vernetzung kommt der Forschung, aber auch der Krankenversorgung und dem Transfer in die Gesundheitswirtschaft zugute. Insofern werde ich alles dafür tun, diesen Prozess erfolgreich weiterzuführen.
Die bauliche Weiterentwicklung der Universität – zwischen Sanierungsstau, stark gestiegenen Energiepreisen und politischen Anforderungen an Klimaneutralität – dürfte eine der kompliziertesten Aufgaben in den nächsten Jahren sein. Wie gehen Sie dieses Thema an?
Melchior: Das ist sicherlich einer der dringlichsten Aufgaben. Der Sanierungstau ist immens, was deutschlandweit natürlich für alle Universitäten und auch für außeruniversitäre Einrichtungen gilt. Mein erster Schritt wird sein, alle Beteiligten kennenzulernen und mich insbesondere mit den anderen baden-württembergischen Universitäten zusammenzusetzen. Wir können das nicht allein aus eigener Kraft stemmen. Wir können auch nicht nur auf Sanierung setzen. Wir brauchen auch den einen oder anderen Neubau, nicht zuletzt deswegen, weil man nicht immer im Bestand sanieren kann. Insofern denke ich, dass wir auch ganz gut beraten wären, Ersatzbauten auf den Weg zu bringen. Was Sanierungsproblematik bedeutet, kenne ich aus eigener Anschauung am Beispiel des ZMBH. Dort hat bekanntlich ein Wasserrohrbruch das Haus zum Sanierungsfall mit riesigen Konsequenzen gemacht. Solche Katastrophen, das sollte uns bewusst sein, können sich auch bei anderen Gebäuden ereignen.
Sie haben zu Beginn des Gesprächs bereits auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den unterstützenden Einheiten wie der Verwaltung oder den Werkstätten hingewiesen. Wie sieht Ihr Blick auf diese Gruppe aus?
Melchior: Wir müssen noch stärker daran arbeiten, dass die Universität Heidelberg auch für nicht-wissenschaftliches Personal ein besonders attraktiver Arbeitgeber ist. Und das müssen wir noch deutlicher kommunizieren. Da geht es also sowohl um Arbeitgeber-Branding, als auch um konkrete Angebote wie beispielsweise Weiterbildungsmaßnahmen. Denn der aktuelle Fachkräftemangel betrifft auch uns und stellt uns vor Probleme. Ein guter „spirit“ spricht sich herum und hilft bei der Gewinnung engagierter und motivierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und deshalb ist es mir so wichtig, mit meinem Motto „Heidelberg University – the place to be“ wirklich alle Universitätsmitglieder miteinzubeziehen. Wenn Sie so wollen, auch die zukünftigen.
Zur Person
Frauke Melchior studierte Chemie an der Universität Marburg und der University of Bristol (Großbritannien) und wurde 1990 in Marburg zu einem biochemischen Thema promoviert. Als Postdoktorandin forschte sie auf dem Gebiet der molekularen Zellbiologie zunächst am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und von 1992 an am Scripps Research Institute in La Jolla (USA). Dort untersuchte sie die Proteinsortierung in menschlichen Zellen und entdeckte dabei das sogenannte SUMO-Protein – Namensgeber für einen Mechanismus der post-translationalen Proteinmodifikation, der zu einem Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit wurde. Ihre erste eigene Forschungsgruppe startete die Wissenschaftlerin 1998 an einem weiteren Max-Planck-Institut, dem MPI für Biochemie in Martinsried bei München. Sechs Jahre später übernahm sie an der Universität Göttingen im Bereich Humanmedizin eine Professur für Biochemie. 2008 wurde Frauke Melchior an die Fakultät für Biowissenschaften der Universität Heidelberg berufen, um als Professorin für Molekularbiologie am Zentrum für Molekulare Biologie (ZMBH) zu forschen. Zum April 2021 wechselte sie als Mitglied des Vorstands an das Forschungszentrum Jülich, eine Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft. Mit ihrer Wahl zur neuen Rektorin kehrte sie zum aktuellen Wintersemester an die Universität Heidelberg zurück.
Das neue Rektorat
Das Amt des Prorektors für Forschung und Digitalisierung hat der Chemiker Prof. Dr. Andreas Dreuw übernommen. Die Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Silke Hertel befasst sich als Prorektorin mit dem Bereich Studium und Lehre. Prorektorin für Innovation und Transfer ist die Historikerin Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern. Die Biologin Prof. Dr. Karin Schumacher ist im Rektorat für den Bereich Qualitätsentwicklung und Nachhaltigkeit zuständig, das Prorektorat Internationales und Diversität liegt bei dem Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Marc-Philippe Weller; beide gehörten bereits dem Rektorat von Prof. Dr. Bernhard Eitel an. Als hauptamtliches Mitglied ist zudem der Kanzler der Universität Heidelberg, Dr. Holger Schroeter, Teil des Rektorats.