Michael Plathow: Predigt über Offb 15,2-4 am 18. Mai 2014

Und ich sah,

und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt;

und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild

und über die Zahl seines Namens,

die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen

und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes,

und das Lied des Lammes:

Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!

Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.

Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?

Denn du allein bist heilig!

Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir,

denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

 

Liebe Gemeinde des Sonntags Kantate!

 

1. "Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun eine Schrecken", habe wir gerade an diesem Sonntag in der Freudenzeit nach Ostern gesungen. So wird im heutigen Bibelabschnitt zur Predigt das Lied des Lebens und nicht das "Lied des Todes" inmitten des Sturms apokalyptischer Unheilsvisionen gesungen: das Lied der Sänger am gläsernen Meer mit Feuer vermengt. Die Grundelemente Wasser und Feuer werden versöhnt. Die dunklen Chaoskräfte des Abgrunds in und durch Menschen sind gezähmt und durchsichtig, das verstrahlende Feuer ist gedämmt vom alles offenbarenden Licht Gottes. Der kristallklare und kristallhelle Blick für die letztgültige Wirklichkeit Gottes ist frei.

Der Prophet Johannes sieht durch die bedrängenden Unglücksszenarien - Unter¬¬drückung und Verfolgung durch die totale Herrschaft Roms - den Horizont von Rettung und Erlösung. Dieses teilnehmende Schauen des Sehers hat seinen Grund: es ist die dramatische Wende von Karfreitag und Ostern, die sein Herz brennen macht, die ihn gewiss sein lässt "nicht ich, sondern Christus lebt in mir" (Phil 2, 12), die den Blick für die Wirklichkeit Gottes auftut.

Im Privaten, etwa wenn Krankheit überfällt, ein geliebter Mensch stirbt, das Alter gewohnte Dinge nicht mehr tun lässt, der persönliche Glaube an die Kinder nicht vermittelt werden kann, öffnet sich da der Mund zum "Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand." (Ps 73,23).

Das Lied der Sänger am gläsernen Meer zeugt von Hoffnung, atmet Freiheit. So sang Mose nach vielen Irrwegen und dunklen Tagen zusammen mit seiner Schwester Mirjam am Schilfmeer. So taucht das Leiden Christi im eigenen Schicksal auf; "und wie er aufersteht, erwächst aus unserem Chaos der Grund, auf dem wir neu leben können. Das visionär Geschaute und Gehörte erklingt in unseren Liedern" und eröffnet die neue Wirklichkeit Gottes.

 

2. In apokalyptischen Szenarien, liebe Gemeinde, malt der Seher Johannes den Hinter¬grund der bedrückenden Heimsuchungen: Sieben Engel schütten die Schalen des Zornes Gottes aus. Zorn Gottes - wir blenden ihn leicht als vermenschlichende Rede von und über Gott aus. Die biblischen Zeugnisse des Alten und Neuen Testaments sprechen immer wieder in fremder und befremdender Weise vom Zorn Gottes. Die Erfahrung, dass Gott die Menschen ganz ernst nimmt auch in ihrem Nein zu Gott, ihrer Gemeinschafts¬losigkeit mit Gott und ihrer Selbstverschließung gegen den guten Willen Gottes spricht sich so aus. Der Riss mit Gott hat Folgen: Zerrissenes Miteinander und zerstörte Mitwelt des in und um sich selbst kreisenden Menschen; das ist dem Willen Gottes zum Leben zuwider. Die Rede vom Zorn Gottes spricht nicht vom Sein Gottes, sondern von seinem ihm eigentlich fremden Heimsuchen der Menschen. Nur mit Zittern und Zagen, in Bildern und Metaphern darf der Versuch unternommen werden. Der Grat zur Gottesvergiftung ist schmal. Gottes eigentliches Sein und Wesen erweist sich als Liebe, wird im gekreuzigten Auferstandenen offenbar.

Das Lied der Sänger am gläsernen Meer ruft so zunächst in die Kehre und zur Umkehr, zum Bekenntnis eigener Sünde und Schuld, und lässt das "Lied des Lebens" und den Lobpreis Gottes erschallen, denn die Zeit des Zorns ist vorbei: "Gott, Allmächtiger im Himmel, gerecht und deutlich sind seine Wege, Herr über die Völker" (Übersetzung W. Jens). Freiheit atmet der Gesang; von den ängstenden Bedrängungen der Sänger wegwendet er sich Gott zu. Die großen Taten Gottes werden gepriesen: Gott, der Schöpfer, erhält seine Erde trotz der Abkehr der Menschen von seinem Willen, um der Errettung und Erlösung willen in Jesus Christus durch den heiligen Geist, um immer neu zu zeigen, wer er eigentlich ist: der Liebende, der sich bewahrheitet im Christusgeschehen durch sein Zukommen im heiligen Geist jetzt und in Zukunft. Die Welt unter dem "Schatten seiner Flügel" liegt in Gottes gnädigen Händen. Davon singen die Lieder der Kirche; dem dient die Kirchenmusik: Singet dem Herrn, wie M. Luther in seiner Sprache sagte - "denn Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer solches mit Ernst glaubet, der kanns nicht lassen, er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, dass es andere auch hören und herzukommen".

 

3. Solches Singen, liebe Gemeinde, zeigt wirklichkeitsbildende Kraft. Es ist ein Voraussingen, das Erhofftes schon präsent werden, das gegenwärtige Leben aus dem Zu-Kommen Gottes bestimmt sein lässt. Solches Singen erweist sich als Gewissheit des Kommens Christi, der jetzt da ist, um alles Leidvolle, alles Fragmentarische zu vollenden - auch unser Singen.

Singend unser Leben, singend unsere Tage zu bestehen meint, bei allem Fragmentarischen unseres Lebens unsere Tage hoffend vorauszusingen, neue Möglichkeiten und neue Wirklichkeit zu ersingen. So erleben wir das frühmorgendliche Zwitschern der Vögel, die im Dämmern der Nacht den Tag voraus- und herbeisingen, der kommt.

Das "Lied des Lebens" der Sänger am gläsernen Meer anstimmen, bedeutet bei aller

Bruchstückhaftigkeit und allem Stückweisen: "Im Angesicht des Schreckens ist Gottes Kraft uns Schwachen nah, im Angesicht des Schreckens ist sein Reich für uns da". Wie das Befreiungslied des Mose am Schilfmeer mit dem Lied des "Lammes" von der neuen Schöpfung im auferstandenen Christus erfährt unser schwaches Singen "aus der Tiefe" Kraft. Bei aller ästhetischen Schönheit bleibt unser doch fragmentarisches Voraussingen zur Ehre des dreieinen Gottes nur Vorklang und Hinweis auf die Vollkommenheit der himmlischen Chöre.

D. Bonhoeffer verglich in diesem Sinn unser Leben mit der Kunst der Fuge (Brief vom 23. 2. 1944): Unser Leben - also auch unsere Musik am Sonntag Kantate - "bleibt ein Torso. Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war, ... so dass schließlich nach dem Abbrechen höchstens noch der Choral ‚Vor Deinem Thron tret' ich allhier’ intoniert werden kann, dann wollen wir uns über fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden".

So hat unser Voraussingen teil am "Lied des Lebens" der Sänger am gläsernen Meer und an der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat an Ostern.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen, unseren Verstand und unser Tun im Glauben an Jesus Christus, unseren lebendigen Herrn. Amen.

 

 

Zurück zum Portrait: 
Michael Plathow: Den Glauben denkend bezeugen

 

Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

Webmaster: E-Mail
Letzte Änderung: 01.07.2022
zum Seitenanfang/up