Friedrich Heyer: Predigt als Weg in die Zukunft

Michael Plathow | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

heyerFriedrich Heyer (Foto: wikicommons)

Friedrich Heyer:

Geboren am 21. Januar 1908 in Darmstadt; gestorben am 10. April 2005 in Schleswig

1964-1976 Professor für Konfessionskunde in Heidelberg, Prediger im Universitätsgottesdienst

 

1. Friedrich Heyer war Professor für Konfessionskunde an der Universität Heidelberg von 1964 bis zur Emeritierung 1976, lehrte aber auch danach – mit nicht geringem Erfolg bei Studierenden – bis zum 90. Geburtstag 1998. In Forschung, Lehre und Leben, in Kooperation mit der „Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ in Stuttgart und dem „Konfessionskundlichen Institut“ in Bensheim knüpfte er als Brückenbauer Kontakte zwischen Kirchen und Konfessionen. Die Liste der Veröffentlichungen zu den Kirchen der östlichen und der westlichen Tradition sowie zu „religiösen Gemeinschaften“ zeigt die vielfältige Forschungstätigkeit des ökumenisch denkenden und lebenden Gelehrte. Zudem begeisterte er durch seine mit Erzählungen angereicherte Lehrveranstaltungen und seine Exkursionen nach Israel, Griechenland (Athos), Rumänien und Äthiopien viele Studierende für orthodoxe Spiritualität und altorientalische Frömmigkeit.

Durch sein Engagement und sein kirchliche Grenzen übergreifendes Ansehen konnte Heyer in den „Südosteuropa-Seminaren“ schon vor 1989 Theologen und Kirchenvertreter aus konfessionell und national angespannten Konflikten mit Dozenten der Theologische Fakultät Heidelberg zusammenbringen: Griechisch- und Bulgarisch-Orthodoxe, katholische Kroaten und orthodoxe Serben, reformierte Ungarn und orthodoxe Rumänen usw. Mit dem Balkankrieg endete dieser Versöhnungsbeitrag. Seine Reisen und damit verbundenen Feldforschungen zur altorientalischen Kirche von Äthiopien initiierten 1976 die diakonische Hilfe der „Tabor Society zur Unterstützung äthiopischer Kirchenschulen“. Diese Aufgabe begleitet die Peterskirche bis heute; die Kollekte der wöchentlichen Mittwochmorgengottesdienste ist bestimmt für die „Tabor Society“. Mit diesem Abendmahlsgottesdienst war Fr. Heyer geistlich verbunden; er predigte hier immer wieder. Ebenso gestaltete er häufig die Sonntagsgottesdienste der Universitätsgemeinde.

 

2. Freundlich lächelnd, oft begleitet von äthiopischen Doktoranden, von rumänisch-orthodoxen Studenten oder griechisch-orthodoxen Priestern, begegnete Fr. Heyer den Mitmenschen. Charismatisch, wie er war, zog er dann oft den Gesprächspartner in seine Ideen und Pläne hinein. Gern war er Gastgeber in seiner Wohnung Plöck 66 und später Landfriedstraße 12. Er selbst kochte dann die obligatorische Tomatensuppe zur Eröffnung der Mahlzeit nach einem orthodoxen Gotteslob. Das meist konfessionell bunte Zusammensein war gewürzt mit Erzählungen und Anekdoten aus Heyers Reiseerlebnissen und Begegnungen mit Äbten und Kirchenoberen.

 

3. Prägend für Fr. Heyer als ökumenischem Konfessionskundler waren zunächst seine Wanderungen durch südosteuropäische Länder über Saloniki bis zum Athos 1932 und in den folgenden Jahren die Begegnungen mit Christen der West- und der Ostkirche. Während des II. Weltkrieges – er war Offizier der „geheimen Feldpolizei“ in Belgien und Sowjetunion (Ukraine), ohne dass dazu Näheres bekannt ist – wurde sein Interesse geweckt für russisch-orthodoxe Spiritualität, für die vorchalcedonensische Armenische Kirche (1971 wurde er Präsident des Deutsch-Armenischen Vereins) und für die orthodoxe Kirche in der Ukraine (2003: Kirchengeschichte in der Ukraine im 20. Jahrhundert). Durch seine Reisen nach Äthiopien entstand seine Liebe zu Land und Leuten und zum gelebten Glauben dieser Menschen. Aus den Kriegserfahrungen wuchs – als Mitglied der Bekennenden Kirche – sein apologetischer Widerspruch und innerer Widerstand gegen alle totalisierenden Ideologien und Weltanschauungen.

 

4. Diese Prägungen von Fr. Heyers theologischer und geistlicher Existenz spiegeln sich in der ausgewählten Pfingstpredigt von 1978 zu 1 Thess 1, 1.4.5; 5, 23.24 wider (als Manuskript veröffentlicht in: Heidelberger Universitätspredigten, Heidelberg 1977-1978 [vorhanden in der Fakultätsbibliothek der Theol. Fakultät Heidelberg]).

Damals war der Zeitgeist der Heidelberger 1970er Jahre bestimmt oder durchmischt von sozialutopischen Ideen und politischen Zukunftsideologien. Vermengt war er nicht selten mit einer Diffamierung der Kirche als bloße Institution eines überalterten Erbes.

Da, so der Prediger, ist es der Apostel Paulus, der mit dem Anfang und Schluss des 1. Briefes an die Gemeinde in Saloniki bezeugt: Der Heilige Geist erwählt und erhält die Kirche Jesu Christi. Das geistgewirkte Evangelium schafft den Glauben.

Für dieses lebendige „Erbe“ des „Erbstücks“ Kirche ist Saloniki seit fast 2000 Jahren Exempel, wie der Konfessionskundler betont: Hier wirkten der heilige Demetrius, die Slavenmissionare Kyrill und Method, Gregor Palamas, der Lehrer orthodoxer Spiritualität. Ein „kostbares Erbe“. Dieses „geerbte Erbe“ des Evangeliums Jesu Christi wird – anders als sonstige „Erbstücke“ – vererbt je neu als persönlich vom Heiligen Geist „verlebendigtes“ und „verpflichtendes“ Erbe. Andernfalls würde sich die Kirche als „totes Erbe“ erweisen, wie ein Flugblatt des „Komitees Konfessionslos“ von 1910 proklamierte. Aber das, was als Heil schenkendes Erbe zu uns kommt, schafft allein die Zukunft Jesu Christi, und zwar gegen verführerische Utopien und von Menschen gemachte Hoffnungen. Zukunftsmächtig, über die „tödlichen Endpunkte“ von uns Menschen „hinwegsehend“, schafft Gott sein Reich in Christi Kreuz und Auferstehen. Paulus wagt dies, mit der Bitte an Gott, der Kirche in Saloniki zuzusagen. Und die Zukunft, die Hoffnung, „die uns Gott macht, hält Stich“.

Zugleich soll unser Weg auf diese Zukunft „ausgefüllt sein mit unserer Heiligung“. Wohl ist es „Gottes Sache“, zugleich aber „traut Gott es uns zu“ entsprechend dem Segen des Paulus: „Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch“.

Das geschieht, wie Fr. Heyer aus eigenen Erfahrungen erzählt, etwa im Jesus-Gebet der Athosmönche. Er weist auf die persönliche Verbundenheit mit dem lebendigen Erbe der Kirche, wo in Taufe, Predigt, Abendmahl „zukunftsverbürgende Vergangenheit für uns gegenwärtig wird“. Er erzählt andringend von einem Schulinternat auf Lesbos, wo bei den Mahlzeiten mit dem Zwischenruf des Christusnamens „Christus in die Gegenwart hineingeholt“ wird. „Gott macht ganze Sache“.

Gott ist der Initiator des Heiligungsgeschehens und bezieht zugleich die Menschen als Mittler ein. Unvergesslich ist dem Prediger, als im Aufkommen der Hitler-Ideologie der Leiter der „Apologetischen Zentrale“ in den Stundengottesdiensten den Besuchern vollmächtig zusprach den Schluss dieses Briefes an die Gemeinde in Saloniki als Segenswort des Paulus: „Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch und euer Geist samt Seele und Leib müsse bewahrt werden auf die Zukunft unseres Herrn Jesus Christus“. Orientierung auf Christi Zukunft durch den heiligen Geist wurde erfahren. So möge Paulus Segenswort auch hier und heute die Gemeinde erreichen.

 

Friedrich Heyers Pfingstpredigt über Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Saloniki bindet das Pfingstfest der Kirche heute dynamisch in den Horizont der Zukunft des Reiches Christi ein. Der ökumenische Ostkirchenkundler erinnert dabei an das lebendige Erbe des Evangeliums als das vom heiligen Geist verlebendigte und verpflichtende Erbe der Kirche. Erzählungen von eigenen Erlebnissen und Erfahrungen orthodoxer Spiritualität und apologetische Abgrenzungen zum Kleingeist weltanschaulicher Enge einerseits und zum Ungeist totalitärer Ideologie werden zum persönlichen Zeugnis.

 

Predigt über 1 Thess 1, 1.4.5; 5, 23.24 am 14. 5. 1978 (Pfingsten) in der Peterskirche Heidelberg

 

LITERATURHINWEISE

Friedrich Heyer, Die katholische Kirche von 1648 – 1830, Göttingen 1963; Konfessionskunde, Berlin 1977; Kirchengeschichte des Heiligen Lande, München 2000; Kirchengeschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert, Göttingen 2003; Autobiographie: Die Hügelstraße in der Erinnerung eines Theologen (photokopierter Eigendruck), Heidelberg 2002

Adolf Martin Ritter (Hg.), Zur Kulturwirkung des Christentums im südeuropäischen Raum. VI. Theologisches Südosteuropa-Seminar in Bukarest, Heidelberg 1984

Jan-Gerd Beintke, In memoriam Professor Dr. Friedrich Heyer, in: Kirche und Schule in Äthiopien, H. 58, September 2005, 10 - 14

Helmut Schwier, Friedrich Heyer zum Gedenken, in: ThLZ 130 (2005), 722


 

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Letzte Änderung: 25.11.2022
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