Edmund Schlink: "Kein Prediger kommt von seiner Biografie los!"

Klaus Engelhardt | Adobe Den Beitrag als PDF downloaden

 

 

Edmund SchlinkEdmund Schlink

Edmund Schlink:

Geboren am 06. März 1903 in Darmstadt; gestorben am 20. Mai 1986 in Heidelberg

1946-1971 Professor für Systematische Theologie in Heidelberg und Prediger im Universitätsgottesdienst

 

 

„Wenn Peter Brunner in der Peterskirche predigt, würde ich zu Fuß von Rom nach Heidelberg gehen“, erklärte Edmund Schlink in einer abendlichen Runde. Alle waren überrascht. Das Wandern gehörte nicht zu seinen Leidenschaften. Wie kam er zu diesem Bekenntnis? Vielleicht waren es Erinnerungen an die 1960er Jahre, als er in Rom Beobachter der EKD beim II. Vatikanischen Konzil war und sich in dem vatikanischen Milieu nach reformatorischer Predigt sehnte. Ganz gewiss war es Ausdruck der menschlichen und theologischen Nähe zu seinem Freund Peter Brunner. Und dann mögen es die Universitätsgottesdienste in der Heidelberger Peterskirche gewesen sein, für die er sich nach seiner Berufung nach Heidelberg stark gemacht hatte. Sie spielten für seine theologische Arbeit eine wichtige Rolle. Theologie, wie er sie in Vorlesungen und Seminaren die Woche über reflektierte, hatte vor allem dem Gottesdienst der Gemeinde zu dienen. Als 1968 Werner Krusche, sein ehemaliger Heidelberger Assistent, Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen wurde, schrieb er ihm: „Ich bin immer wieder glücklich darüber, dass Du in diesem Amt stehst, und halte alle Ehren und alle Arbeit an der Universität für gering gegenüber dem Dienst des Hirten in der Gemeinde“. Auf seinem beruflichen Weg hatte Schlink die Arbeit in Gemeinden kennengelernt. Nachdem 1938 die Theologische Schule Bethel von den Nationalsozialisten geschlossen wurde und Schlink seine dortige Stellung als Dozent verlor, war er etliche Jahre Hilfspastor in der Westfälischen Landeskirche in Dortmund und Bielefeld. Gegen Kriegsende übernahm er die Leitung des Predigerseminars der Westfälischen Landeskirche im „Kupferhammer“ (bei Brackwede). Das waren für ihn keine Umwege, sondern prägend für seine wissenschaftliche Arbeit an der Universität.

Die Freundschaft zu Peter Brunner war für Beide auch durch die gemeinsame innere Bindung an das lutherische Bekenntnis begründet. Schlink war solche Bindung nicht in die Wiege gelegt worden. Sein Vater, Hochschullehrer für Luftfahrtmechanik in Braunschweig und später in Darmstadt, war bis zu seiner Heirat katholisch gewesen, die Mutter kam aus pietistischem Milieu.

Edmund Schlink ist am 6. März 1903 in Darmstadt geboren. Nach dem Abitur studierte er zunächst naturwissenschaftliche Fächer, vor allem Psychologie. Nach einer Lebenskrise sattelte er auf Theologie um, schloss zuvor das Psychologiestudium an der Universität Gießen ab und wurde 1927 mit einer religionspsychologischen Untersuchung zum Dr. phil. promoviert. Zum Theologiestudium ging er nach Münster. Dort lehrte seit 1926 Karl Barth. Schlink zog die Radikalität des theologischen Denkens bei Barth an, die herausfordernde „Wort-Gottes-Theologie“. Er verfasste bei Barth eine theologische Dissertation: „Emotionale Gotteserlebnisse“. Ihn interessierte die Frage: Was geht in einem Menschen vor, wenn er sagt: „Ich glaube!“ Wie kann die biblische Botschaft den Menschen erreichen und ins Gewissen treffen? Diese Fragen begleiteten Schlink lebenslang: Als Vikar in Buchschlag und Sprendlingen, als Hochschulpfarrer in Darmstadt, bei der Seelsorge an behinderten Menschen in Bethel, in Bielefelder Gemeinden, in der wissenschaftlichen Arbeit an der Theologischen Schule in Bethel und später an der Universität Heidelberg, im intensiv geführten ökumenischen Dialog und bei der Arbeit an seiner „Ökumenischen Dogmatik.

Im Kirchenkampf wurde ihm die Bindung an das lutherische Bekenntnis wichtig. Es war kein dogmatischer oder konfessioneller Historismus, sondern die aktuelle Auseinandersetzung mit den „Deutschen Christen“, die in der nationalsozialistischen Bewegung Elemente von Gottesoffenbarung zu entdecken vorgaben. Das musste als Neuheidentum entlarvt werden, und dafür sind für Schlink die Bekenntnisschriften unentbehrlich. Sie sind vor allem auch eine homiletische Hilfe fürs Predigen. Sie leiten an, konzentriert auf Gottes Wort zu hören, sie bewahren vor subjektiver Beliebigkeit bei der Auslegung der Bibel. Sie sind Sprachhilfe für die Verkündigung, um der Gemeinde Zuspruch zu geben und ins Gewissen zu reden.

Nach dem Krieg hielt Schlink bei einer Pfarrkonferenz einen Vortrag: „Vom Gericht Gottes in unserer Zeit“. Er sprach von der großen „Schuld der Pfarrer und der Kirchenführer, die die Gebote Gottes dem Totalitätsanspruch des Staates angepasst haben, die dem politischen Handeln eine Eigenständigkeit zuerkannt haben, die ihm nicht gebührte“. Er forderte nach 1945 in Predigten und Vorträgen die Gemeinden zur Buße auf. Das Thema „Buße“ ist für ihn zentrales Thema geblieben. Die Erfahrungen des Kirchenkampfes waren aber auch Grund, Gott zu danken für das Gericht, durch das er zur Umkehr rufe, und Gott zu loben, weil er durch alle Schrecknisse hindurch uns sein Wort erhalten und an unerwarteter Stelle zum Leuchten gebracht habe. Für die Gemeinden wurde das gemeinsame Bibellesen eine wichtige Lebensäußerung, für den Gottesdienst war die Liturgie in ihrer geistlichen Kraft neu entdeckt worden. Schlink war in der westfälischen Kirchenleitung und später als Synodaler in der Badischen Landeskirche am Neuaufbau der beiden Landeskirchen beteiligt.

1946 wurde Schlink auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg berufen. Ihn reizte die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fakultäten. In der Schlink’schen Wohnung traf sich regelmäßig die „Sozietät“, ein Kreis von Kollegen aus verschiedenen Fakultäten. Nach der nationalsozialistischen Katastrophe suchten sie im interdisziplinären Gespräch ein gemeinsames Aufgabenbewusstsein für den Neuaufbau der Universität. Schlink fand Vertrauen über Fakultätsgrenzen hinweg und wurde 1953/1954 zum Rektor der Universität gewählt. In der Absicht, auch Studierenden das interdisziplinäre Gespräch zwischen den Wissenschaften zu führen und Ökumene real zu erleben, betrieb er die Errichtung des Ökumenischen Instituts mit angeschlossenem Studentenwohnheim. Studierende verschiedener Fakultäten und aus verschiedenen Ländern sollten im alltäglichen Leben, in Diskussionen über ihre Fachgebiete und Studienerfahrungen, in den Andachten in der Hauskapelle vita communis praktizieren.

Schon bald nach Kriegsende wurde der sog. Jaeger-Stählin-Kreis gegründet, der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen. Edmund Schlink war von Anfang an dabei und hat über viele Jahre die wissenschaftliche Leitung auf evangelischer Seite übernommen. Für die EKD war er in den Jahren 1962-1965 der Beobachter beim II. Vatikanischen Konzil. In allem ökumenischen Engagement blieb ihm wichtig, dass Kirchen im ökumenischen Gespräch als Erstes nicht die Defizite bei anderen Kirchen aufzeigen, sondern das eigene Versagen bekennen und Umkehr und Neuanfang mit Christus wagen.

Ein Jahr vor seinem Tod erschien die „Ökumenische Dogmatik. Grundriss“. Er hatte lange daran gearbeitet. In einem anschaulichen Bild zeigt er, wo sein Herz schlägt. Er spricht von der kopernikanischen Wende in der Ökumene. Die anderen Kirchen seien „nicht mehr so anzusehen, als ob sie sich um unsere Kirche als Mitte bewegen, so wie vor Kopernikus die Planeten als sich um die Erde drehend verstanden worden waren, sondern wir müssen erkennen, dass wir mit anderen Gemeinschaften zusammen gleichsam wie Planeten um Christus als die Sonne kreisen und von ihm das Licht empfangen“.

Am 20.Mai 1984 ist Edmund Schlink im Alter von 81 Jahren gestorben.

 

Zur Predigt

 

Kein Prediger kommt von seiner Biografie los! Edmund Schlinks Predigt über Jes.63,15-16 und 64,1-3 ist vom ersten Satz an auf den Bibeltext konzentriert und wird am 1. Adventssonntag 1958 zu einer eindringlichen Botschaft über das Kommen Christi. So hatte er in Münster bei Karl Barth gelernt, Theologie zu treiben, mit dieser Theologie erlebte er den Kirchenkampf. Die Predigt über den Jesajatext verzichtet auf Anknüpfungspunkte an aktuelles Geschehen. Sie beschreibt die Situation des Volkes Israel in dürftiger Zeit. Sie spricht die damalige Anfechtung an, die Glaubenden bis heute, ja, heute erst recht zusetzen kann. Gleich im 2. Absatz wird von der Not des damaligen Volkes Israel kurz und bündig gesagt: „Sie erleben sich preisgegeben an die Immanenz dieser Welt“. Wenn sich in diesem Schlüsselsatz nicht auch unsere heutige geistliche Not ausdrückt! Der Prediger fragt: Hat Gott sein Volk preisgegeben? „Die eigentliche Not bestand darin, dass diese Menschen wussten um Gottes Allmacht,- aber er setzte sie nicht ein für sie“. Bleiben also Gebete unerhört? Hat Gott die leidenschaftliche Bitte seines Volkes „Ach, dass du den Himmel zerrissest“ erhört? „Ja, Gott hat dieses Gebet seines alttestamentlichen Bundesvolke erhört im Kommen Jesu Christi“. Gegen Ende der Predigt dann der lapidare Satz: „Alles ist schon Christus unterstellt, ob die Welt es wahrhaben will oder es bestreitet“. Eine Steilvorlage für den Prediger aus der Schule der dialektischen Theologie!

Der Zuspruch der Predigt geht über das Individuelle hinaus. Gleich zu Beginn wird gesagt, dass der biblische Text das Gebet eines Volkes ist und nicht nur das Gebet eines Einzelnen. Am Ende heißt es noch umfassender, dass es auch nicht nur das Gebet für das Volkes Israel und das Gebet für die Kirche ist, sondern sich auf die ganze Welt ausweitet. „Es ist nun nicht mehr ein Gebet nur für die Unterdrückten eines Volkes, sondern für die Leidenden, Zertretenen, unter Gottesferne Seufzenden in der ganzen Welt“. Christus – die Hoffnung der Welt! Wenige Jahre, bevor Schlink die Predigt hielt, hatte er bei der Weltkirchenkonferenz in Evanston seinen Vortrag zu diesem Thema gehalten.

Homiletisch findet der Prediger Zugang zum biblischen Text und zur Gemeinde, indem er durch stets weiterführende neue Fragen den Gedankengang entfaltet. „Was tun sie in ihrem Gebet? … Hat Gott dieses Gebet erhört? … Aber was heißt hier: Gott hat erhört? … Aber geht nicht alles so weiter in der Welt wie zuvor?“ Die Fragen werden nicht von außen an den Text herangetragen. Sie ergeben sich aus dem Text und sind gleichzeitig Fragen an den Text. Es sind auch unsere aktuellen Glaubensfragen, ohne dass sie durch heutige Aktualitäten veranschaulicht werden.

Die Sprache der Predigt ist an den entscheidenden Stellen, auf die es dem Prediger ankommt, von einem „Überbietungspathos“ geprägt, wie es für dialektisches Denken und Formulieren charakteristisch ist. „Was heißt hier: Gott hat dieses Gebet erhört? Gott hat es erhört, so wie eben Gott erhört, nämlich in der Souveränität seines Willens, in der Unfassbarkeit seiner Herrlichkeit, in einer Machttat, in der er alle menschlichen Vorstellungen von seiner Macht und alle Erwartungen menschlicher Gebete überbietet … Was Gott in Jesus Christus getan hat, ist nicht weniger als erbeten wurde, sondern unendlich viel mehr … Die scheinbare Nichterhörung ist in Wahrheit die Überschwänglichkeit des göttlichen Erbarmens …Gott wird kommen in seiner unverhüllten Herrlichkeit und alles, alle neu machen“.

Eine Predigt mit steilen Gedanken und Formulierungen. Es ist keine abstrakte Dogmatik, sondern Verkündigung der biblischen Botschaft, geprägt von reflektierter Theologie und erlebter Kirche. Kein Prediger kommt von seiner Biografie los!

 

Predigtbeispiel: Predigt über Jesaja 63,15-16 und 64,1-3 am 1. Advent 1958.


 

 

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Letzte Änderung: 27.06.2022
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