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Schalter so klein wie Moleküle

Das vielleicht einfachste elektronische Gerät kennt jeder von uns. Es ist der elektrische Schalter an der Wand. Man drückt den Knopf, und sofort setzen sich Milliarden und Abermilliarden von Elektronen in Bewegung: Es fließt Strom in den Kabeln, der zum Beispiel die Tischlampe mit Energie versorgt. In unserer gewohnten „großen“ Makrowelt werden die elektrischen Ströme durch eine so große Anzahl von Elektronen getragen, dass man sie wie Wassermoleküle in einem Fluss nicht mehr ausmachen kann. Was passiert aber, wenn wir es schaffen, unsere Schalter, Stromkreise, Kabel und so weiter extrem zu verkleinern? So klein, dass es für die stromtragenden Elektronen so eng wird, dass sie nur nacheinander durch die Kabel laufen können. Ist das überhaupt möglich?

In der Nanowelt regiert die Quantenmechanik
von Andreas Komnik

 

Sehr lange Zeit war das eine rein akademische Frage, denn die Größenordnungen der Geräte, in denen so etwas realisierbar wäre, bewegen sich im Bereich einiger Nanometer, also einiger Millionstel von Millimeter (zum Vergleich ist ein menschliches Haar etwa 10 000 Mal dicker). Die beste Miniaturisierungstechnologie, die der Wissenschaft bisher zur Verfügung stand, war die Mikroelektronik. Sie war imstande, Geräte mit Abmessungen im Bereich von Mikrometern, also Tausendstel von einem Millimeter, herzustellen. Die Mikroelektronik ist derzeit die sich vielleicht am schnellsten entwickelnde Technologie überhaupt. Denn im Laufe ihrer  fünfzigjährigen Geschichte halbierte sich die typische Abmessung der Geräte alle zwei bis drei Jahre.

Während die ersten Computer-Herzen, die Mikroprozessoren, im Jahr 1971 nur 2300 Komponenten pro Chip enthielten, waren es in den letzten Jahren selbst auf relativ schwachen Laptops bereits über 700 Millionen pro Chip. Das entspricht der typischen Größe der Schaltelemente von ungefähr 45 bis 60 Nanometern. In vielleicht zehn bis 20 Jahren wird also die magische Grenze von zehn Nanometern überschritten werden. Dann wird der Übergang von der Mikroelektronik zur Nanoelektronik vollzogen sein. Aber was unterscheidet die Nanoelektronik so wesentlich von der Mikroelektronik?

Das erste Phänomen haben wir bereits oben erwähnt: Die Elektronen laufen einzeln und hintereinander durch die Kabel, wie Schrotkugeln durch ein enges Rohr. Und ebenso wie Schrotkugeln ein Rauschen erzeugen, wenn sie irgendwo ankommen (zum Beispiel wenn sie ein Blechdach treffen), erzeugen auch einzelne Elektronen das sogenannte Schrotrauschen. Das aber ist ein rein quantenmechanisches Phänomen. Der Grund: Die elektrische Ladung ist quantisiert, das heißt, es gibt eine kleinstmögliche Ladungseinheit, nämlich die eines Elektrons. Sie wird mit e bezeichnet. In der Tat ist es möglich, durch Messung dieses Rauschens und des Stroms die Elementarladung e zu bestimmen.

 

Selbst in grafischer Form faszinieren die Transporteigenschaften eines Molekül-Quantenpunktes: Dargestellt ist der Strom durch eine solche Struktur in Abhängigkeit von Steuerspannungen.  
Selbst in grafischer Form faszinieren die Transporteigenschaften eines Molekül-Quantenpunktes: Dargestellt ist der Strom durch eine solche Struktur in Abhängigkeit von Steuerspannungen.


Wenn Elektronen in einem Messgerät eintreffen, handelt es sich um einen stochastischen Prozess: Beobachtet man die Zahl der Elektronen, die während eines festen Zeitintervalls eintreffen, so schwankt sie von einer Messung zur anderen. Das ähnelt der Anzahl von Zugvögeln, die eine Landesgrenze im Herbst überqueren: Von Jahr zu Jahr weicht die Zahl voneinander ab. Der Mittelwert ergibt dann die Stromstärke, und die Abweichungen davon kann man in Rauschen umrechnen. Jedoch anders als die Zugvögel, die eben einen Flug im Zug mit mehreren Artgenossen dem individuellen Wandern vorziehen, sind die Elektronen Einzelgänger. Außerdem stoßen sie sich elektrostatisch ab, was in den Geräten, wo es für die Elektronen besonders „eng“ wird, zu signifikanten Veränderungen ihrer Transporteigenschaften führen kann.

Die Quantenmechanik lehrt uns außerdem, dass einzelne Elektronen Welleneigenschaften aufweisen. Sie können also wie Licht komplexe Interferenzmuster erzeugen (ähnlich denen, die auf einer Wasseroberfläche entstehen, wenn sich die Wellen von zwei hineingeworfenen Steinen treffen) und an vielen Orten gleichzeitig sein, was eine Folgerung der berühmten quantenmechanischen Unschärferelation ist. Ein Elektron kann also gleichzeitig in der Zuleitung und im Schaltelement sein, was sich ebenfalls nicht nur im Strom, sondern auch im Rauschen bemerkbar macht.

 

Das Bild zeigt einen Benzol-Ring der mithilfe zweier Schwefel-Brücken in einen Schaltkreis integriert ist.  
Das Bild zeigt einen Benzol-Ring der mithilfe zweier Schwefel-Brücken in einen Schaltkreis integriert ist.

In meiner Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns mit den Transportphänomenen in nanoskaligen Systemen und vor allem mit ihren Rauscheigenschaften. Die Quantendrähte und Quantenpunkte, die nichts anderes sind als Kabel und Schalter im Nanoformat, erwiesen sich dabei als äußerst interessant. Es hat sich herausgestellt, dass im Elektronentransport durch Quantenpunkte nicht nur einzelne Elektronen, sondern auch Elektronenpaare beteiligt sind. Spektakuläre Effekte im Rauschen konnten bereits teilweise experimentell nachgewiesen werden: Unter bestimmten Bedingungen wird der Strom durch Quasiteilchen mit der gebrochenzahligen Ladung 5/3e getragen. Das ist sehr spannend, denn normalerweise würde man als Stromträger nur Quasiteilchen mit der ganzzahligen Ladung erwarten, also e, 2e, 3e und so fort.

Bis Ende der 90er Jahre schien die Zukunft der Nanoelektronik und der Mikroelektronik auf dem Gebiet der Halbleiterphysik zu liegen. In den letzten 15 Jahren gab es jedoch viele eindrucksvolle Fortschritte in der Materialwissenschaft. Es wurden sehr exotische und bisher für unmöglich gehaltene Kohlenstoff-Varianten wie Graphene und Nanoröhrchen hergestellt – eine nur ein Atom dicke Kohlenstoff-Schicht, die man zu einem Röhrchen zusammenrollen kann. Ihre Transporteigenschaften sind sehr ungewöhnlich und werden momentan detailliert untersucht. Auch eine direkte Ankopplung von einzelnen Molekülen, deren Abmessungen jenseits der Ein-Nanometer-Grenze liegen, an Metallelektroden ist heutzutage in vielen Fällen möglich. Diese Anordnung trägt den Namen Molekül-Quantenpunkt und ist das kleinstmögliche Schaltelement überhaupt. Im Gegensatz zu den Halbleiterstrukturen können
solche Moleküle schwingen oder „atmen“. Das führt zu einer Reihe von interessanten Aspekten, die wir gerade eingehend untersuchen.

Wer weiß, vielleicht wird es bald gelingen, neue Phänomene zu entdecken, die die Entwicklung einer ganz neuen, noch leistungsfähigeren Computergeneration ermöglichen.

 

 

Prof. Dr. Andreas Komnik  

Prof. Dr. Andreas Komnik studierte Physik in Moskau und Freiburg. Nach seiner Promotion im Jahr 1999 und Forschungsaufenthalten am „Imperial College“, London, und an der „CEA Saclay“ in Frankreich habilitierte er sich im Jahr 2005 an der Universität Freiburg. Seit 2008 leitet er eine Nachwuchsgruppe im Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg.
Kontakt: komnik@uni-heidelberg.de

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 05.10.2010