Einblick in den ägyptischen Alltag der früharabischen Zeit
9. Februar 2015
Foto: Institut für Papyrologie, Uni Heidelberg
Für die Forschung zur Entstehung des Islams ist die früharabische Zeit in Ägypten von großer Bedeutung. Einblicke in den Alltag dieser frühislamischen Welt des 7. und 8. Jahrhunderts bieten zahlreiche aus dieser Zeit stammende Dokumente aus der Papyrussammlung der Universität Heidelberg, die zu den größten derartigen Sammlungen in Deutschland gehört. In einem neuen Forschungsprojekt werden diese bisher wissenschaftlich nicht erschlossenen Papyrusdokumente entziffert, übersetzt und kommentiert. „Über diese Alltagszeugnisse erhalten wir wichtige Einblicke in die erste Phase der Transformation einer christlichen in eine muslimisch geprägte Gesellschaft“, erklärt Lajos György Berkes vom Institut für Papyrologie. Die VolkswagenStiftung unterstützt das auf drei Jahre angelegte Projekt „Zeugnisse einer multikulturellen Gesellschaft: Papyri zum Zusammenleben von Christen und Muslimen im früharabischen Ägypten“ mit 264.000 Euro.
Mit rund 11.000 Objekten ist die Heidelberger Sammlung nach der Papyrussammlung in Berlin die zweitgrößte derartige Einrichtung in Deutschland. Alle Dokumente stammen aus Ägypten, hauptsächlich aus dem Zeitraum vom 3. Jahrhundert vor Christus bis in das Mittelalter. Sie gelangten vor allem durch den Antikenhandel und die badischen Grabungen in Qarara und El-Hibeh nach Heidelberg. In dem Forschungsprojekt befasst sich Lajos Berkes mit Papyri aus dem 7. und 8. Jahrhundert, der Zeit nach der arabischen Eroberung Mitte des 7. Jahrhunderts. „Bis dahin gehörte das ursprünglich von Alexander dem Großen eroberte Ägypten zum römischen Reich, wobei ab dem 4. Jahrhundert das Christentum eine bedeutende Wirkung ausübte“, erklärt der Wissenschaftler. „So entwickelte sich eine komplexe, multikulturelle und multilinguale Gesellschaft mit altägyptischen, griechischen, römischen und christlichen Traditionen. Mit der Eroberung durch muslimische Truppen begann Ägyptens langsame Entwicklung zu einem arabischsprachigen und muslimischen Land, was sich in den zu untersuchenden Papyri widerspiegelt.“
Bei den Dokumenten handelt es sich unter anderem um Briefe, Verträge, Quittungen und Zahlungslisten, die Einblick in den damaligen Alltag und den Beginn der Transformation Ägyptens von einer christlichen in eine muslimische Gesellschaft geben. „Die Papyri dokumentieren zum Beispiel, wie allmählich Araber und Muslime in den ägyptischen Städten und Dörfern auftauchten. Sie zeigen aber auch das Verhältnis zwischen den arabischen Herrschern und ihren Untertanen und bezeugen detailliert die Verwaltung des früharabischen Staates und deren Wirkung auf die lokale Bevölkerung. So mussten beispielsweise christliche Gemeinden Seeleute für Angriffe gegen Byzanz oder verschiedene Handwerker für den Bau von Moscheen in Jerusalem oder Damaskus stellen“, erläutert Lajos Berkes.
Im Rahmen des Forschungsprojekts wird der Wissenschaftler die Papyri entziffern, übersetzen und ausführlich historisch und linguistisch kommentieren. Ziel ist ein Editionsband Heidelberger Papyri aus früharabischer Zeit, zudem sollen die Ergebnisse in eine Open-Access-Datenbank eingehen. Außerdem soll die Erwerbs- und Sammlungsgeschichte der antiken Archive nachgezeichnet werden. Als weiteres Ergebnis ist in Kooperation mit der Sammlung des Ägyptologischen Instituts und dem Universitätsmuseum eine Ausstellung über das Zusammenleben von Christen und Muslimen in früharabischer Zeit geplant. Die VolkswagenStiftung fördert das Forschungsprojekt im Rahmen ihrer Initiative „Forschung in Museen“.