Wasser als zentrales Politikum
20. Oktober 2014
Foto: Marcus Nüsser
Indische Truppen am Zoji La, KaschmirWasser ist eine lebenswichtige, in vielen Regionen der Welt rare Ressource. Die Geographen Prof. Dr. Hans Gebhardt und Prof. Dr. Marcus Nüsser untersuchen am Beispiel des Vorderen Orients sowie Süd- und Zentralasiens, welches Konfliktpotential Wassermangel in sich trägt. Ihre Forschungsarbeiten an der Universität Heidelberg zeigen: Hinter vermeintlich politischen und religiös begründeten Konflikten stecken oft knappe Wasserressourcen – sei es physischer Wassermangel, auch aufgrund des globalen Klimawandels, oder struktureller Wassermangel, also die durch politische Machtkonstellationen bedingte ungleiche Verteilung von Wasser.
„Knappe Wasserressourcen können vor allem dann zum Konflikt führen, wenn große Ströme oder wichtige Grundwasserleiter Grenzen überschreiten“, so Prof. Gebhardt. Solche „transboundary waters“ sind ein weltweit verbreitetes Phänomen: 263 Seen und Flüsse sind grenzüberschreitend, 145 Nationen haben gemeinsam Anteil an Wasserflächen, 13 internationale Wasserressourcen werden von mehr als zwei Nationen genutzt. „Bei transnationalen Strömen sind zumeist die ‚Oberlieger’ im Vorteil, weil sie die Abflüsse kontrollieren können“, erläutern die Wissenschaftler. Beispiele sind der Euphrat, dessen Wasser in zunehmendem Maße vom „Great Anatolian“-Projekt (GAP) in der Osttürkei genutzt wird – zum Nachteil der Unterlieger Syrien und Irak – sowie die Staudammkaskaden Chinas am oberen Mekong, die die Wassernutzung in den Staaten Laos und Thailand sowie Kambodscha und Vietnam beeinträchtigen.
Eines der ruhenden Gewässer, das an der Universität Heidelberg untersucht wird, ist der unterirdische Disi-Aquifer, der sich auf rund 320 Kilometern Länge vom Süden Jordaniens bis in die Nordregion Saudi-Arabiens erstreckt. Es handelt sich um einen fossilen Wasservorrat, auf den sowohl Agrarunternehmen Jordaniens als auch Saudi-Arabiens zugreifen. Beide Staaten streiten um die Nutzungsrechte des Disi-Aquifers, dessen Vorräte nach internationalen Schätzungen in 30 bis 50 Jahren erschöpft sein werden. Auch den Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan haben die Forscher unter dem Aspekt knapper Wasserressourcen analysiert. Teil des Konflikts ist ein seit 30 Jahren währender aufwändiger und kostenintensiver Stellungskrieg um den Besitz des Siachen-Gletschers im Norden Kaschmirs. „Die Auseinandersetzungen werden durch geostrategische Erwägungen, nationales Prestigedenken sowie den Wunsch nach Ressourcenzugängen motiviert und sind Erbe der Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947“, erklärt Prof. Nüsser.
An den unterschiedlichen Fallbeispielen zeigt sich, dass die Problemfelder Wassermangel und Wasserkonflikte in Entwicklungs- und Schwellenländern einen integrativen Forschungsansatz erforderlich machen, in dem natur- und gesellschaftswissenschaftliche Methoden kombiniert werden. Daher umfasst das methodische Spektrum der Heidelberger Wissenschaftler nicht nur etablierte empirische Methoden der Sozialforschung, sondern reicht von der satellitengestützten Kartierung bis zur Diskursanalyse.
Hans Gebhardt ist seit dem Jahr 1996 am Geographischen Institut der Universität Heidelberg mit dem Schwerpunkt Anthropogeographie tätig. Zu seinen zentralen Forschungsinteressen gehören die politische Geographie und die Kulturgeographie im Vorderen Orient sowie in Südost- und Ostasien. Prof. Gebhardt betreut als Herausgeber eine Reihe von Standardwerken der Geographie sowie die Geographische Zeitschrift.
Marcus Nüsser forscht und lehrt seit 2006 am Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Zu den Forschungsschwerpunkten des Geographen zählen die Mensch-Umwelt- und Hochgebirgs-Forschung, Politische Ökologie sowie Landnutzungssysteme und Ressourcenmanagement in den Ländern Südasiens und des subsaharischen Afrikas. Prof. Nüsser ist Mitherausgeber der Zeitschriften „Mountain Research and Development“ und „Journal of Mountain Science“ sowie Herausgeber der Buchreihe „Advances in Asian Human-Environmental Research“.
Originalpublikationen:
Baghel, R. & Nüsser, M. (2010): Discussing Large Dams in Asia after the World Commission on Dams: Is a Political Ecology Approach the Way Forward? In: Water Alternatives 3 (2): 231-248
Bonn, T. (2013): Wasserpolitik in Jordanien. Das Spannungsfeld zwischen Behörden und Geberorganisationen im jordanischen Wassersektor. Berlin: LIT-Verlag (= Univ. Diss.)
Bonn, T. (2013): On the political sideline? The institutional isolation of donor organizations in Jordanian Hydropolitics. In: Water Policy 15, 728-737 (doi: 10.2166/wp.2013.007)
Gebhardt, Hans (2013): Ressourcenkonflikte und nachhaltige Entwicklung – Perspektiven im 21. Jahrhundert. In: Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft, Bd. 59, S. 1-12
Gebhardt, Hans und Eva Ingenfeld (2011): Die Arktis im Fokus geoökonomischer und geopolitischer Interessen. In: Geographische Rundschau, Jg. 63, H. 11, S. 26-33
Nüsser, M. (2014): Technological Hydroscapes in Asia: The Large Dams Debate Reconsidered. In: Nüsser, M. (ed.): Large Dams in Asia: Contested Environments between Technological Hydroscapes and Social Resistance. Dordrecht, Heidelberg, London, New York (= Advances in Asian Human-Environmental Research): 1-14
Nüsser, M. & Baghel, R. (2014): The Emergence of the Cryoscape: Contested Narratives of Himalayan Glacier Dynamics and Climate Change. In B. Schuler (ed.), Environmental and Climate Change in South and Southeast Asia: How are Local Cultures Coping? Leiden, Boston (= Climate and Culture 2): 138-156
Nüsser, M., Schmidt, S. & Dame, J. (2012): Irrigation and Development in the Upper Indus Basin: Characteristics and Recent Changes of a Socio-Hydrological System in Central Ladakh, India. In: Mountain Research and Development 32 (1): 51-61