Wie die „biologische Zündkerze“ in biomolekularen Motoren funktioniert
4. August 2014
Mit Hochleistungsrechnern und quantenmechanischen Methoden haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg Vorgänge simuliert, die aufklären, wie die „biologische Zündkerze“ in den biomolekularen Motoren von Zellen funktioniert. Im Mittelpunkt der Untersuchungen unter der Leitung von Dr. Stefan Fischer stand das sogenannte Motorprotein Myosin, das unter anderem für Muskelbewegungen verantwortlich ist. Die umfangreichen Simulationen der Heidelberger Forscher zeigen, wie dort die Energiefreisetzung ausgelöst wird, um den komplexen Motor in Gang zu bringen. Die Ergebnisse der am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen durchgeführten Forschungsarbeiten wurden in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.
Biomolekulare Motoren sind Eiweißmoleküle, die in Zellen für mechanische Bewegung verantwortlich sind. Als kleinste bekannte Motoren verwenden sie als Treibstoff das Molekül Adenosintriphosphat (ATP), das alle Lebewesen als Energiequelle für energieverbrauchende Prozesse nutzen. Um zu verstehen, wie diese Zellmotoren mit Hilfe des Moleküls ATP funktionieren, kann zum Vergleich der Automotor herangezogen werden, bei dem die Energie durch die Verbrennung von Benzin freigesetzt wird. Da Benzin sich nicht von selbst entzündet, muss Energie zugeführt werden, um die Verbrennungs-Reaktion auszulösen. Dies geschieht mit Hilfe der Zündkerze. Erst durch die Zuführung der Hitze-Energie des Funkens kann die Energiebarriere der Benzin-Verbrennung überwunden werden, um die Energiefreisetzung in Gang zu bringen. Bezogen auf biomolekulare Motoren gibt es hier eine Reihe von Parallelen, wie Stefan Fischer betont. Bei ATP handelt es sich um ein stabiles Molekül, das seine Energie ebenfalls nicht spontan freisetzt. Obwohl es nicht wie Benzin verbrannt, sondern gespalten wird, muss auch in diesem Fall die Energiebarriere überwunden werden, um die als Hydrolyse bezeichnete Spaltung des ATP in Gang zu bringen.
Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten hat sich das Team um Dr. Fischer mit der Frage beschäftigt, wie genau das Auslösen der Energiefreisetzung in biomolekularen Motoren funktioniert. „Wir wollten herausfinden, auf welche Weise die im ATP gespeicherte Energie gezielt und zeitgenau freigesetzt wird“, erläutert der Heidelberger Forscher, der am Interdisziplinären Zentrum für wissenschaftliches Rechnen (IWR) die Arbeitsgruppe Biologische Makromoleküle leitet. Als Ausgangsbasis für die Untersuchung der „biologischen Zündkerze“ verwendeten die Wissenschaftler den biomolekularen Motor Myosin. Dabei handelt es sich um eine Familie von Motorproteinen, die mit Hilfe von ATP zum Beispiel Bewegungsvorgänge in Muskeln antreibt. Das ATP wird in einer Art „Tasche“ im Protein gebunden. Diese Tasche senkt die Energiebarriere für die ATP-Spaltung – dieser Vorgang der Absenkung wird als Katalyse bezeichnet – und sorgt so dafür, dass die gewünschte chemische Reaktion erfolgt und letztendlich Energie freigesetzt wird. Die „katalytische Tasche“ ist nach den Worten von Dr. Fischer das biologische Äquivalent zur Zündkerze des Verbrennungsmotors.
Die Existenz einer solchen „biologischen Zündkerze“ ist zwar seit mehr als 50 Jahren bekannt. Ihre Funktionsweise konnte die Forschung bisher jedoch nie vollständig aufklären, wie Stefan Fischer betont: „Die Reaktion findet in ungefähr einer Trillionstel Sekunde statt, so dass experimentelle Untersuchungsmethoden in diesem Fall an ihre Grenzen stoßen. Erst die computergestützten Methoden des Wissenschaftlichen Rechnens erlauben die Erforschung des genauen Ablaufes.“ Die Wissenschaftler mussten zunächst aus den fast 6.000 Atomen des Myosins diejenigen bestimmen, die für die Katalyse unerlässlich sind. In umfangreichen und mehrere Jahre dauernden Simulationen konnten die Forscher die Rolle von rund 200 relevanten Atomen bestimmen. Da sich während der Spaltung des ATP sowohl die Atome des Myosins als auch die des ATP bewegen müssen, ergeben sich unzählige Möglichkeiten an Bewegungen im dreidimensionalen Raum – wobei allerdings nur ein Weg zur niedrigsten Energiebarriere führt. „Wir mussten die Wege aller rund 200 beteiligten Atome in drei Dimensionen berechnen, insgesamt also ein Problem in 600 Dimensionen“, sagt Dr. Fischer.
Für ihre komplexen Berechnungen kombinierten die Wissenschaftler Methoden aus der Quantenmechanik mit dem Einsatz von Hochleistungsrechnern. Damit konnten sie aufklären, wie die Interaktionen zwischen ATP und dem Myosin organisiert sind, damit die Energiebarriere zur ATP-Spaltung gesenkt wird. Nach den Worten von Stefan Fischer sind elektrostatische Ladungen auf den Atomen des Proteins um das ATP so aufgestellt, dass sie die Elektronendichte dieses Moleküls derart verändern, dass sich der Treibstoff ATP dann leichter spalten lässt. Der Heidelberger Wissenschaftler: „Wir konnten auf diese Weise genau quantifizieren, wie viel jedes in diesem Prozess relevante Atom des Myosins zur Verringerung der Energiebarriere beiträgt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse ist es uns gelungen, die ,katalytische Strategie‘ des Proteins klar zu formulieren.“
Der von den IWR-Forschern beschriebene Mechanismus der „biologischen Zündkerze“ findet nicht nur in Zellmotoren statt, sondern kommt vermutlich auch in allen anderen Eiweißmolekülen, die ATP als Energiequelle benutzen, zur Anwendung, wie Dr. Fischer betont. „Da ATP die grundlegende Energiewährung für Zellen ist, sind fast alle biochemischen Prozesse im Körper betroffen. In der praktischen Anwendung können unsere Erkenntnisse möglicherweise einen Beitrag dazu leisten, an neuen Medikamenten zur Therapie von Herzmuskelerkrankungen zu forschen. Vorstellbar sind aber auch Impulse für neue therapeutische Ansätze bei Erkrankungen, in denen die ATP-Spaltung ein Teil der Biochemie des pathologischen Systems ist.“
Originalpublikation:
Farooq Ahmad Kiani and Stefan Fischer: Catalytic Strategy Used By The Myosin Motor To Hydrolyze ATP. PNAS (published online 8 July 2014), doi:10.1073/pnas.1401862111