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„Ruperto Carola 2/08“: Die Melodie macht die Musik

19. September 2008
Um das Konzert des Lebens zu verstehen, muss sich die wissenschaftliche Denkweise ändern – so Bioinformatikerin Ursula Kummer in der Titelgeschichte des soeben erschienenen Forschungsmagazins „Ruperto Carola 2/2008“ der Universität Heidelberg – Weitere Themen aus Sinnesphysiologie, Europäischer Kunstgeschichte, Molekularer Alkoholforschung, Umweltphysik und dem Marsilius-Kolleg
 
Lehrbücher beschreiben biochemische Prozesse in der Zelle zumeist als einfache lineare Ereignisketten. Das wird den wahren Verhältnissen kaum gerecht, war aber bislang die einzige Möglichkeit, sich dem komplexen zellulären Geschehen anzunähern. Bioinformatikerin Ursula Kummer aus dem Institut für Zoologie der Universität Heidelberg beschreibt in der Titelgeschichte des soeben erschienenen Forschungsmagazins „Ruperto Carola 2/2008“, wie neue Methoden es heute erlauben, in die lebende Zelle hineinzusehen, und wie Computer dabei helfen, die Datenflut der verschiedenen Disziplinen zu bändigen. So wird es möglich, auf solider Datenbasis Modelle zu entwickeln, die sich zu experimentellen Zwecken gezielt verändern und im Detail analysieren lassen. Die Ergebnisse lassen darauf hoffen, irgendwann nicht nur einzelne Tonfolgen, sondern die komplette Partitur des Lebens zu verstehen. „Ruperto Carola 2/2008“ bringt zudem Beiträge aus der Sinnesphysiologie, Europäischen Kunstgeschichte, Molekularen Alkoholforschung, der Umweltphysik und dem Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg.

Prorektor Roth im Editorial: Gibt es letztendliche Grenzen für Wissen?

Vornehmliches Ziel einer Universität ist das Wissen um die Welt im Allgemeinen und den Menschen im Speziellen. Meist sind wir dabei über einen winzigen Aspekt dieses großen Werkes gebeugt, nur selten für einen Überblick aufschauend. Das Editorial von Prorektor Prof. Dr. Kurt Roth ist ein solch kurzes Aufschauen, Reflexionen der Frage: Gibt es letztendliche Grenzen für dieses Wissen? Der Leser kann das Editorial in der Art von Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ lesen.

Tausendfache Geruchsfänger

Wie das Riechsystem Informationen verarbeitet, beschreibt Stephan Frings in seinem Text der „Ruperto Carola 2/08“. Die Evolution hat sich während der Entwicklung des Menschen für das Sehen und weniger für das Riechen entschieden. Nichtsdestotrotz ist auch die menschliche Nase ein tausendfacher Geruchsfänger und imstande, höchst komplexe Duftmischungen wahrzunehmen. Was auf molekularer Ebene geschieht, wenn wir riechen, ist nach wie vor ein Rätsel. Eine Schlüsselrolle scheinen die Duftstoffrezeptoren zu spielen. Sie sitzen in den Membranen von Sinneshärchen, die gebündelt zu einem Schopf aus dem Riechepithel der Nase herausragen. Die zierlichen Haarbüschel stellen den Kontakt zur Außenwelt her, empfangen chemische Duftbotschaften – und wandeln sie mithilfe zahlloser Proteine in elektrische Reize um.

Nichts als nackte Mauern?

Monumente von herausragender Bedeutung werden von der UNESCO in die Welterbeliste aufgenommen. Seit dem Jahr 1993 zählt auch die ehemalige Zisterzienserabtei Maulbronn im Kraichgau dazu. Eine qualifizierte restauratorische Betreuung und das wissenschaftliche Erforschen der Objekte sind wesentliche Kriterien für die Aufnahme. An der Erforschung von Maulbronn sind seit 2001 auch Heidelberger Wissenschaftler beteiligt. Matthias Untermann schildert in dem neuen Heft, wie sie Stein für Stein und Balken für Balken das Gebäude untersuchen, ohne dabei die originale Substanz zu gefährden. Viele überraschende Funde treten zu Tage, die über Maulbronn hinaus neues Licht auf die Baukunst des Zisterzienserordens werfen.

Verhängnisvolle Signale

Ein molekularer Schalter wacht über das Wohl und Wehe von Leberzellen – so Nadja Meindl-Beinker und Steven Dooley in ihrem Text. Die Liste möglicher Gesundheitsrisiken, die mit einem chronisch überhöhten Alkoholkonsum einhergehen, ist lang. Besonders gefährdet ist die Leber, das wichtigste Stoffwechselorgan des Körpers. Unter dem stetigen Einwirken des Alkohols wandeln sich Leberzellen – Topspezialisten mit überlebenswichtigen Aufgaben – in funktionsloses Bindegewebe um. An diesem verhängnisvoll endenden Prozess ist ein Botenstoff maßgeblich beteiligt, der natürlicherweise für das Gesunderhalten der Leber unerlässlich ist, in der geschädigten Leber aber zum „bad guy“ wird, der das Organ verkümmern lässt. Detaillierte Kenntnisse über die Funktion dieses Botenstoffes und die von ihm angestoßenen molekularen Signalwege versprechen eine bessere Diagnose und Therapie.

Vielfalt in Einheit

Nach dem ersten Rektor der Universität Heidelberg, Marsilius von Inghen, ist das Marsilius-Kolleg, eines der zentralen Projekte der Exzellenzinitiative, benannt. Es will herausragenden Forscherinnen und Forschern die Möglichkeit bieten, nicht nur sporadisch, sondern konzentriert und zielgerichtet grenzüberschreitende wissenschaftliche Probleme zu lösen. Wolfgang Schluchter skizziert die Grundideen des Kollegs. Bereits zwei konkrete Marsilius-Vorhaben zu den Themen „Menschenbild und Menschenwürde“ sowie „Perspektiven des Alterns“ sind auf den Weg gebracht. In den nächsten fünf Jahren sollen pro Jahr 12 bis 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen gemeinsam im Kolleg arbeiten. Das Ziel ist, die Wissenschaftskulturen miteinander zu verknüpfen. Aus bloßer Vielheit ohne Einheit soll so im Sinne einer zeitgemäß verstandenen Volluniversität Vielfalt in Einheit entstehen.

Jahrtausende alte Wasser

Wie man im Grundwasser die Vergangenheit und die Zukunft sehen kann, beschreibt Werner Aeschbach-Hertig in der „Ruperto Carola“. Grundwasser ist eine wichtige, aber nur beschränkt erneuerbare Ressource. Die intensive Landwirtschaft in der dicht besiedelten nordchinesischen Tiefebene beruht wesentlich auf der Nutzung des Grundwassers zur Bewässerung. Dieses Jahrtausende alte Wasser wird kaum erneuert. Deshalb sinkt der Wasserspiegel teilweise dramatisch ab. Das alte Grundwasser ist aber nicht nur eine begehrte Ressource – es ist auch ein interessantes Archiv vergangener Umweltbedingungen. Im Wasser enthaltene Edelgase und Isotope verraten, wann das Wasser im Boden versickerte und welches Klima damals herrschte.

Wo Sprache unser Denken formt

Eine Wegauskunft geben, Erlebtes erzählen, den Hergang eines Unfalls schildern, das Aussehen einer Person oder eines Gegenstandes beschreiben – all das sind alltägliche sprachliche Aufgaben, die jeder Sprecher mehr oder weniger virtuos beherrscht. Bei näherer Betrachtung aber sind sie von erstaunlicher Komplexität. Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, muss der Sprecher Informationen unterschiedlicher Art aus dem Gedächtnis abrufen, sie zu einer kohärenten konzeptuellen Repräsentation ordnen, geeignete Wörter und grammatische Konstruktionen auswählen, diese auf den Adressaten und sein mutmaßliches Wissen abstimmen und schließlich eine geordnete Folge von wohlstrukturierten Sätzen – einen gesprochenen oder geschriebenen Text – produzieren. Hiervon handelt von Barbara Schmiedtovás „Kurzbericht“.

Im Hochtechnologiestandort Deutschland gibt es im Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften zurzeit etwa 100 000 offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Man muss also grundsätzlich über die Nutzung des „Humankapitals“ Wissenschaftler nachdenken. Warum nicht „Retirement“ wörtlich übersetzen und an der Altersgrenze „neue Reifen aufziehen“? Forschen und Lehren, auch jenseits der Altersgrenze – mit diesem Thema setzt sich Jürgen Wolfrum in seinem Meinungsbeitrag auseinander.

Verlag des Forschungsmagazins ist der Universitätsverlag Winter Heidelberg. Ein Einzelheft kostet 5 Euro plus Versand. Es kann, ebenso wie das Förderabo für 30 Euro (vier Ausgaben), bestellt werden bei: Pressestelle der Universität Heidelberg, Postfach 10 57 60, 69047 Heidelberg. Kostenlose Ansichtsexemplare früherer Hefte liegen im Foyer der Alten Universität aus. Weitere Informationen und Volltexte früherer Ausgaben:
http://www.uni-heidelberg.de/presse/publikat.html

Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de

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