Nachruf auf Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Schäfer

jörg schäfer bw

*25. April 1926 – †1. Januar 2021

Jörg Schäfers archäologische Reise, die sein ganzes Leben prägte, begann kurz nach den schweren Kriegsjahren. Im Sommersemester 1948 nahm er ein Studium der Klassischen Archäologie, Alten Geschichte sowie der Griechischen und Lateinischen Philologie an der Universität Tübingen in Angriff. Dort promovierte er 1955 bei Bernhard Schweitzer mit einer Arbeit zum Thema „Studien zur frühgeschichtlichen Reliefkeramik“. Unmittelbar darauf erhielt er das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts. 1963 folgte die Habilitation an der Universität Heidelberg zum Thema „Hellenistische Keramik aus Pergamon“. Er verließ Heidelberg für Athen, wo er von 1963 bis 1968 Referent am Deutschen Archäologischen Institut war und dann wieder Athen für Heidelberg, um hier endgültig bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand (1990) zu bleiben: zuerst als Dozent, dann als außerplanmäßiger Professor und schließlich ab 1978 als Professor. Jörg Schäfer wurde der erste Professor in Deutschland mit einem Schwerpunkt auf der Ägäischen Frühzeit und hat in Lehre und Forschung eine Brücke zwischen griechischer Vorgeschichte und Klassischer Archäologie geschlagen. Der zeitliche Horizont seines forschenden Blickes umspannte dabei einen beeindruckend langen Zeitraum, vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis in den Hellenismus. Sein weit gefächertes wissenschaftliches Interesse spiegelte sich auch im Kreis seiner Schüler wieder, deren Dissertationen ebenfalls nahezu alle Perioden der griechischen Kultur abdeckten. Jörg Schäfer’s Leidenschaft für die archäologische Praxis führte ihn bereits seit seiner Studienzeit zu zahlreichen bedeutenden Orten und umfasste nicht nur das Land, sondern auch das Meer. Er war einer der Pioniere bei der Erforschung von antiken Häfen in der Klassischen Archäologie und hat als Leiter eines internationalen und interdisziplinären Forscherteams zwei wichtige Publikationen zu Phaselis, einer der bedeutendsten Hafenstädte im lykisch-pamphylischen Küstengebiet, und zu Amnisos, dem wichtigsten Hafen von Knossos in der Antike, vorgelegt. Seiner unermüdlichen Beschäftigung mit der antiken griechischen Kultur ging eine große Leidenschaft für das Land und seine Menschen voraus, eine Leidenschaft, die jeder, der ihn kannte, sofort spürte. Er hat einen großen Teil seines Lebens in Griechenland verbracht, eine Griechin geheiratet und gelernt, Griechisch so perfekt wie ein Grieche zu sprechen. In jahrelanger Arbeit hat er die Gedichte von Konstantinos Kavafis, einem der bedeutendsten griechischen Dichter, nicht nur akribisch, sondern auch sehr kunstvoll ins Deutsche übersetzt. Für all diese herausragenden Leistungen für Griechenland und die Erforschung der griechischen Kultur wurde er mit der Ehrendoktorwürde der Universität Athen (2003) und dem griechischen Staatspreis für literarische Übersetzung (2004) geehrt. Jörg Schäfer gehörte einer Generation von Altertumswissenschaftlern an, deren Erziehung und Wirken ganz stark vom Ideal einer humanistischen Bildung geprägt war, die nicht nur innerhalb der engen Grenzen seines Faches, sondern auch in seiner Leidenschaft für die schönen Künste und insbesondere für die Musik Ausdruck gefunden hat. Er starb in der Silvesternacht im Alter von 94 Jahren.

 

Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos.

Zuerst veröffentlicht in der Rhein-Neckar-Zeitung, 9. Januar 2021

 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 18.01.2021
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