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Aus der Stiftung Universität Heidelberg

Vom 10. bis 12. April 1997 fand im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität ein Joseph Roth-Symposion unter dem Thema „Journalismus und Literatur“ statt, veranstaltet vom Germanistischen Seminar (Organisation und Leitung: Prof. Dr. Dietrich Harth und Dr. Gerhard vom Hofe zusammen mit Dr. Fritz Hackert, Tübingen) und finanziert von der DFG und der Österreichischen Botschaft. Der Einladung nach Heidelberg folgten namhafte Roth-Forscher aus dem europäischen Ausland (Polen, Ungarn, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Spanien, der Schweiz und Österreich) sowie aus Israel. Neben deutschen Wissenschaftlern aus Berlin, Leipzig, Tübingen und Heidelberg zählten auch Repräsentanten der Literaturkritik, der Zeitung und des Verlags zu den Referenten; hatte man doch als thematischen Schwerpunkt die Frage nach dem Verhältnis von Journalismus und Literatur (mit dem Fokus Joseph Roth) gewählt.

Gerade Roth, der sich als „Grenzgänger“ und „Bürger zweier Welten“, der Publizistik wie der Erzählkunst, profiliert hat; der in den verschiedenen Gattungen journalistischer Texte (Reisebericht, Feuilleton, Reportage, Essay) und gleichermaßen in der Poesie (als Erzähler und Romancier) längst als ein Autor von hohem Rang gilt, kam als ein für die Problemstellung des Symposions exemplarischer Schriftsteller in Betracht. Provozieren doch dessen Selbstzweifel, dessen ambivalentes Selbstverständnis und die Versuche einer Legitimierung besonders seiner journalistischen Arbeiten Fragen nach möglichen Vermittlungen. Roths postulierter „Einbruch des Journalisten in die Nachwelt“, in die vermeintliche Domäne des Dichters; seine immer wieder thematisierte und problematisierte Grenzüberschreitung, paradigmatisch für viele Autoren des 20. Jahrhunderts, nötigt zum kritischen Überdenken historisch gewachsener und oft noch dogmatisch fixierter Rollen des Journalisten und des Schrifstellers. Gibt es eine „Personalunion“ von Dichter und Zweckprosaist? Gibt es die Möglichkeit einer theoretischen Begründung von „journalistischer Literatur“? Solche Fragen beleuchteten aus literaturtheoretischer Perspektive wie aus der Optik des Zeitungsreporters und Feuilletonisten Roth alle die Vorträge, die im strikten Sinne die zentrale Thematik dieses Symposions betrafen. Flankiert wurden diese einschlägigen Referate durch Beiträge, welche den Rothschen Porträts und seinen osteuropäischen Reisebildern (Galizien, Polen, Rußland, Albanien) oder Südfrankreich galten. Daran interessierten Aspekte einer Fiktionalisierung von Sachberichten („Die Flucht ohne Ende“) und des poetischen Stils; ferner der Evokation einer „fremden Heimat“ des Kosmopoliten im Lichte des Vergangenen und der poetischen Gestaltung mythisierender Tendenzen. Komplementär dazu wurde Roths Orientbild unter dem Gesichtspunkt märchenhafter Stilisierung und deren gesellschaftskritische Intention analysiert.

Einen anderen Themenkomplex bildeten Roths jüdische Herkunft, Roths Darstellungen der Juden und sein Verhältnis zu den jüdischen Sprachen im Dienste der Versöhnung. Eine eigene Vortragssequenz widmete sich Beziehungsfragen und Rezeptionsproblemen. Die gemeinsame politische Opposition (des Juden Roth gegen den Zionismus und den Nationalsozialismus) als das Roth mit Ernst Krenek und Karl Kraus Verbindende und ihre jeweilige Darstellung wurde herausgearbeitet. Zwei Vorträge beschäftigten sich mit der Roth-Aufnahme in Ungarn und in Spanien, wobei Übersetzungsprobleme in den Blick kamen.

Einer abschließenden Gesprächsrunde über Editionsfragen, an der die mit Herausgeberaufgaben betrauten Roth-Experten beteiligt waren, ging ein Informationsreferat über das Kommentieren von Roth-Texten voraus. Am Beispiel des „Hiob“-Romans wurden neue technische Möglichkeiten des Einsatzes elektronischer Medien für ein forschendes (synoptisches und intertextuelles) Lesen demonstriert. Für eine künftige historisch-kritische Roth-Ausgabe – davon wurden die Teilnehmer des Symposions überzeugt – müßten solche Chancen der Gestaltung des Kommentars und dessen Präsentation unabhängig vom Lesetext unbedingt genutzt werden. Angesichts der auch von der Kritik eingeklagten Mängel der bisherigen Roth-Ausgaben, darin war man einig, sei eine neue Edition ein notwendiges Unternehmen. Projektiert wurde eine kritische Werkausgabe in Einzelbänden. Zu beginnen wäre mit einer kommentierten Briefausgabe. Die Symposionsteilnehmer sprachen sich für die Gründung einer Joseph Roth-Gesellschaft aus, deren Sitz in Heidelberg sein könnte. Diese Organisation wäre für die Realisation einer historisch-kritischen Gesamtausgabe nur förderlich. Das Heidelberger Symposion fand ein freundliches Echo auch in der Öffentlichkeit. Der Hessische Rundfunk war zu Gast, hat Aufnahmen und Interviews gemacht, die auf HR 1 (im Kulturprogramm „5 nach 12“) gesendet wurden. Mehrere Zeitungen (RNZ, FAZ, TAZ) haben über das Symposion berichtet.

Gerhard vom Hofe
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