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Das komplexe Problem der Verbrennung

Verbrennungsvorgänge sind für die Menschheit besonders wichtig, gewinnen wir doch derzeit etwa 90 Prozent unserer Energie aus solchen komplexen "chemisch reaktiven Strömungen". Ihre Komplexität ist so groß, daß sie sich bislang nur sehr schwer berechnen ließen. Jürgen Warnatz vom Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen stellt eine Möglichkeit vor, wie Verbrennungsvorgänge quantitativ erfaßt werden können. Dies ist die Voraussetzung, um sie zu optimieren oder die Schadstoffbildung zu reduzieren.

Chemisch reaktive Strömungen spielen eine wichtige Rolle in Wissenschaft und Technik. Ihre rechnerische Behandlung ist jedoch sehr schwierig, da sie aus einem komplexen Wechselspiel von Strömung, Transport und chemischer Reaktion entstehen. Erst in den letzten zwanzig Jahren ist es möglich geworden, diese komplexen Vorgänge zu simulieren. Die Voraussetzungen waren schnelle Rechner mit großen Speichern, reaktionskinetische Daten und ausgefeilte mathematische Algorithmen zur effizienten Lösung der auftretenden sehr großen partiellen Differentialgleichungs-Systeme.

Charakteristische Beispiele für chemisch reaktive Strömungen sind Verbrennungsvorgänge, etwa in Motoren oder Feuerungen, Prozesse in der Chemietechnik, Hyperschallströmungen, wie sie beim Wiedereintritt von Raumfahrzeugen in die Erdatmosphäre entstehen, oder Vorgänge in der Atmosphäre, unter anderem die Bildung des Ozonlochs und das Auftreten von photochemischem Smog.

Besondere Beachtung verdienen die Verbrennungsprozesse, versorgen sie doch die Menschheit derzeit mit etwa 90 Prozent ihres Energiebedarfs (Transportwesen, Kraftwerke, Feuerungen); eine wesentliche Änderung ist für die nächsten Jahrzehnte nicht vorhersehbar. Beachtung verdienen sie auch, weil Verbrennungsprozesse unter den reaktiven Strömungen das anspruchsvollste und komplizierteste Problem darstellen: Sie werden in der Liste der "großen Herausforderungen" (grand challenges) für künftige Rechner-Generationen geführt.

Die in diesem Beitrag vorgestellte quantitative Erfassung von Verbrennungsvorgängen wird in naher Zukunft die Möglichkeit einer Optimierung – insbesondere in bezug auf die Schadstoffbildung – erlauben.

Ein einfaches Beispiel ist das Gefährdungspotential durch Stickoxide. Stickoxide (NOx mit x = 1,2) werden zumeist in der Form von Stickstoff-Monoxid, NO (d. h. x = 1), gebildet. Bei Kontakt mit Luft-Sauerstoff O2 setzt sich NO gemäß der Reaktionsgleichung NO + NO + O2 —> NO2 + NO2 weitgehend zu Stickstoff-Dioxid NO2 um (Abb.1). Das gebildete NO2 ist an seiner intensiven braunen Farbe leicht zu erkennen.

Natürliche Quellen von NO sind unter anderem Blitze oder bakterielle Prozesse im Boden. In dichtbesiedelten Industrielandschaften wird dieses natürlich erzeugte NO jedoch bei weitem von anthropogenen (aus menschlichen Aktivitäten herrührenden) Quellen überlagert. Hier sind insbesondere die Verbrennungsprozesse zu nennen, auf denen heute die weltweite Energieversorgung (Verkehr, Stromversorgung, Haushaltsheizung und industrielle Prozesswärme) überwiegend beruht. Verbrennungsforschung bedeutet hauptsächlich, Schadstoffe wie NOx (daneben sind Ruß, Kohlenmonoxid CO und unverbrannte Kohlenwasserstoffe zu nennen) zu mindern. Dies kann entweder durch entsprechend optimierte Verbrennungsführung (primäre Minderungsmaßnahmen) oder – insbesondere bei Altanlagen – durch eine nachgeschaltete Behandlung der Abgase (sekundäre Minderungsmaßnahmen) geschehen.

Ein typisches Beispiel für die Emission von Stickoxiden ist in Abbildung 2 wiedergegeben. Sie zeigt ein NOx-Emissionskataster des Landes Baden-Württemberg mit einer örtlichen Auflösung in Bereiche von 5 km x 5 km, wobei die NOx-Bildung in doppelt-kodierter Weise wiedergegeben ist: über die Höhe der entsprechenden Balken und durch die Farbe. Es fällt sofort auf, daß die Bereiche hoher NO-Emission der Autobahnkarte des Landes entsprechen und somit Emissionen aus dem Straßenverkehr zuzuordnen sind. Außerdem ergeben sich hohe Spitzenwerte in den städtischen Ballungsgebieten (die Städte Mannheim, Karlsruhe und Stuttgart sind deutlich zu sehen); hier sind außer dem Straßenverkehr auch noch Industrie und Haushalte als Emittenten zu betrachten.

Die Stickoxide sind Atemgifte, die schon in kleinen Konzentrationen zu merklichen Beschwerden führen. Schlimmer jedoch sind indirekte Auswirkungen bei der Bildung des Atemgiftes Ozon (O3) und des sogenanntem photochemischen Smogs. Zu deren Bildung kommt es, wenn in einer austauscharmen Lage außer NOx auch unverbrannte Kohlenwasserstoffe und intensives Sonnenlicht vorhanden sind. Das ist regelmäßig der Fall, wenn starker Autoverkehr oder Emissionen von Haushaltsheizungen in einer Talkessel-Lage bei Sonnenschein zusammentreffen (Los Angeles-Smog; auch im Rheintal).

Die Hauptschwierigkeit bei der quantitativen Beschreibung von Verbrennungsprozessen ist, einen Reaktionsmechanismus bereitzustellen, der den Ablauf der chemischen Reaktion beschreibt. Schon die Behandlung des einfachsten technischen Brennstoffs H2 (Wasserstoff) führt zu einem Mechanismus, der 38 Reaktionen von acht chemischen Spezies einschließt. Nur wenige dieser Reaktionen sind jedoch wirklich wesentlich. Um die Darstellung einfach zu halten, sollen nur sie beschrieben werden.

Die Umsetzung von Wasserstoff (H2) mit dem Sauerstoff der Luft (21 Vol-% O2, der Rest der Luft besteht hauptsächlich aus Stickstoff, N2) zum Reaktionsprodukt Wasser (H2O) erfolgt nicht auf dem einfachen direkten Wege 2H2 + O2 —> H2O (Abb. 3).

Es läuft vielmehr eine sogenannte Kettenreaktion ab. Dabei wird das Teilchen mit der schwächsten chemischen Bindung, nämlich H2, durch eine lokale Zündquelle (zum Beispiel einen Funken oder ein Streichholz) stark aufgeheizt. Durch diese Energiezufuhr kann es in sehr reaktionsfähige (angedeutet durch die Bindungs-Striche) und daher sehr kurzlebige Wasserstoff-Atome, H, zerfallen (Abb. 4a):

H2 —> H- + -H . (a)
Diese reaktionsfreudigen Zwischenprodukte greifen nun den Luft-Sauerstoff, O2, an ( Abb. 4b):
H- + O2 —> HO- + -O . (b)
Die dabei gebildeten kurzlebigen und ebenfalls reaktionsfreudigen Sauerstoff-Atome, O, reagieren dann mit dem Brennstoff Wasserstoff, H2 (Abb. 4c):
O- + H2 —> --OH + -H . (c)
Schließlich reagieren die OH-Radikale ebenfalls mit Wasserstoff; das Endprodukt Wasser, H2O, (Abb. 4d) entsteht:
HO- + H2 —> H2O + -H . (d)

Die aus den Reaktionen (b), (c) und (d) bestehende Reaktionskette kann nun beliebig viel Brennstoff, H2 , in das Endprodukt Wasser, H2O, umsetzen, bis zufällig einmal ein Kettenabbruch erfolgt, der hochreaktive Teilchen wieder in stabile Moleküle überführt, z. B. H- + H- —> H2. (siehe Abb. 4e).

Das typische Charakteristikum der Reaktionskette ist das lawinenartige Anwachsen der Zahl von hochreaktiven Zwischenprodukten H, O und OH in den Reaktionen (b) und (c), in denen jeweils ein reaktives Teilchen in zwei neue reaktive Teilchen umgesetzt werden. Zusammen mit der exponentiellen Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeit dieser Reaktionen ist das die Ursache der plötzlichen und damit sehr gefährlichen Zündungs- und Verbrennungsphänomene.

Bei der Verbrennung von einfachen Kohlenwasserstoffen wie Methan, CH4, (Hauptbestandteil des Erdgases) erhöhen sich die Zahlen auf rund 500 Reaktionen zwischen etwa 50 Spezies. Betrachtet man flüssige Kohlenwasserstoffe wie Oktan, C8H18 (im Benzin), oder Cetan, C16H34 (im Diesel-Kraftstoff), so hat man Tausende von Reaktionen zwischen Hunderten von Spezies in Betracht zu ziehen.

Um zu einem Gesamtbild einer reaktiven Strömung zu gelangen, müssen neben der chemischen Reaktion die Strömungs- und Transportprozesse betrachtet werden. Um zu einem Verständnis dieser Prozesse zu gelangen, sollen diese Vorgänge einzeln betrachtet werden.

Aus dem Alltagsleben ist bekannt, daß ein Strömungsvorgang (Konvektion) vorhandene Strukturen in einer Flüssigkeit oder in einem Gas mit einer gewissen Strömungsgeschwindigkeit verschiebt. In Abbildung 5 ist das anhand einer Temperaturfront, wie sie bei Verbrennungsprozessen auftritt, schematisch dargestellt (Temperatur T in Abhängigkeit vom Ort z).

Die mathematische Beschreibung eines Konvektionsvorganges erhält man durch die in der Abbildung aufgeführte Gleichung. Sie besagt, daß an einem bestimmten Punkt der dargestellten Temperaturfront die zeitliche Änderung T/t (Temperaturänderung T pro Zeiteinheit t) proportional zum Anstieg T/z ist (Zunahme von T um T bei Vergrößerung der Ortskoordinate z um z; mathematisch: 1. Ableitung von T nach z).

Dort, wo dieser Anstieg Null ist (ganz rechts, ganz links und im Maximum der Temperaturfront), findet keine zeitliche Änderung statt. Dort, wo der Anstieg positiv ist (rechter Teil der Front), findet eine durch Pfeile gekennzeichnete Zunahme statt; wo der Anstieg negativ ist (linker Teil der Front), erfolgt eine durch Pfeile gekennzeichnete Abnahme. Insgesamt verschiebt sich die Front mit der Strömungsgeschwindigkeit v.

Aus dem Alltagsleben ist ebenfalls bekannt, daß Wärme nicht nur dadurch übertragen werden kann, daß ein warmer Körper bewegt wird (beispielsweise durch Konvektion in einer Flüssigkeit), sondern daß ein Transport von Wärme auch von einem heißen auf einen kalten Bereich – also angetrieben von einer Temperaturdifferenz – stattfindet (Wärmeleitung). In Abbildung 6 ist dieser Vorgang anhand einer Temperaturfront dargestellt.

Eine mathematische Beschreibung eines Transportvorganges erhält man wieder durch die in der Abbildung aufgeführte Gleichung. Sie besagt, daß an einem bestimmten Punkt der dargestellten Temperaturfront die zeitliche Änderung T/t proportional zur Krümmung 2T/z2 (mathematisch: 2. Ableitung von T nach z) ist.

Dort, wo diese Krümmung Null ist (ganz rechts, ganz links und in der Mitte der Flanken der Front), findet keine zeitliche Änderung statt. Dort, wo die Krümmung positiv ist (an den Füßen der Front), findet eine durch Pfeile gekennzeichnete Zunahme statt und dort, wo die Krümmung negativ ist (oberer Teil der Front), erfolgt eine durch Pfeile gekennzeichnete Abnahme. Insgesamt verbreitert und verflacht sich die Front. Dies fällt um so stärker aus, je größer die Temperaturleitfähigkeit a der vorliegenden Gasmischung ist.

Konvektion und Transport allein würden wegen der Transport-Verbreiterung dazu führen, daß eine Flammenfront erlischt, wenn nicht die chemische Reaktion immer wieder die Flamme anfachen würde. Die Geschwindigkeit chemischer Reaktionen nimmt normalerweise mit der Temperatur sehr stark (exponentiell) zu. Die chemische Reaktion besorgt also ein Aufsteilen einer Flammenfront, wie es in Abbildung 7 wieder anhand einer Temperaturfront dargestellt ist.

Eine mathematische Beschreibung der chemischen Reaktion erfolgt durch den in der Abbildung aufgeführten Zusammenhang. Er besagt, daß an einem bestimmten Punkt der dargestellten Temperaturfront die zeitliche Änderung T/t nur von der Wärmefreisetzungsgeschwindigkeit q durch chemische Reaktion an dieser Stelle abhängt, jedoch nicht (wie Konvektion und Transport) über Ableitungen von der Umgebung; cp ist dabei ein Umrechnungsfaktor, der Wärme- und Temperaturänderung verknüpft (Wärmekapazität der Gasmischung).

Insgesamt ergibt sich durch Aufaddieren der oben geschilderten Beiträge von Konvektion, Transport und chemischer Reaktion die Gleichung (Abbildung !!! / Scan)

Eine exakte Ableitung dieser Gleichung für das Temperaturfeld bekommt man, indem man eine Energiebilanz aufstellt. In analoger Weise kann man eine Impulsbilanz zur Bestimmung des Geschwindigkeitsfeldes und eine Massenbilanz für jede beteiligte Teilchensorte H, OH, H2, O2 usw. aufstellen, um die Gemischzusammensetzung zu bestimmen. Es ergeben sich jeweils Differentialgleichungen, die der oben gezeigten für die Temperatur ähnlich sind. Die Gesamtheit dieser Gleichungen vermag einen reaktiven Strömungsvorgang vollständig zu beschreiben: Sie bilden ein mathematisches Modell der betrachteten chemisch reaktiven Strömung.

Simulation ist die Lösung der mathematischen Modell-Gleichungen, wie sie oben in groben Zügen beschrieben ist. Dazu teilt man das betrachtete Rechengebiet (beispielsweise einen chemischen Reaktor oder den Brennraum eines Motors) in viele kleine Zellen. In Abbildung 8 ist auf der linken Seite die Diskretisierung eines Reaktionsrohres mit Hilfe von zehn Stützpunkten gezeigt, die das Rohr in neun Zellen zerlegen. In der fünften Zelle zwischen z5 und z6 kann man nun angenähert für den Temperaturanstieg schreiben: T/z = (T6 – T5)/(z6 – z5). Man hat also das Problem der Bildung der 1. Ableitung von T nach z auf eine einfache Division zweier Differenzen zurückgeführt.

In analoger Weise kann man auch die anderen, in den oben beschriebenen Differentialgleichungen auftretenden Ableitungen durch einfache Differenzenquotienten numerisch approximieren. Man gelangt so zu einfach zu lösenden (wenn auch recht großen) linearen Gleichungssystemen. Je mehr dieser Zellen man benutzt, desto besser kann diese Diskretisierung den betrachteten Vorgang beschreiben, desto größer wird aber auch der Rechenaufwand (siehe Beispiel in Abbildung 8 rechts).

Ergebnisse einer Simulation für die Verbrennung einer Wasserstoff-Sauerstoff-Mischung sind in Abbildung 9 wiedergegeben. Eine Flammenfront – mit einer Dicke von nur einem viertel Millimeter – frißt sich, wie an der Temperaturänderung zu sehen ist, von rechts nach links in das unverbrannte Gemisch hinein. Die unregelmäßige Gestalt dieser Flammenfront resultiert aus einer vorgegebenen Turbulenz des Geschwindigkeitsfeldes, wie sie in fast allen Anwendungsfällen gegeben ist. Schnitte durch eine Flammenfront (Abb. 10) ermöglichen den Vergleich mit entsprechenden Experimenten; dabei ist der Druck stark reduziert, damit sich eine größere Flammendicke und damit eine bessere örtliche Auflösung der experimentellen Profile ergibt. Berechnungen wie die in Abbildung 9 sind – selbst mit tagelangen Rechnungen auf Super-Computern – auf wenige Quadratzentimeter beschränkt: Wegen der abrupten Änderungen in den Flammenfronten müssen extrem viele Rechenzellen zur Verfügung gestellt werden (im obigen Beispiel sind es 262 000).

Sogenanntes thermisches NO entsteht aus den in Flammenabgasen allgegenwärtigen O-Atomen durch die Elementarreaktionen O + N2 —>NO + N mit der schnellen Folgereaktion N + O2 —>NO + O. Die typische Konzentration dieses thermischen NO in Abgasen von Motoren oder Feuerungen ist größenordnungsmäßig 0,1 Prozent. Die Simulation des Temperaturfeldes und die (thermische) NO-Bildung im Brennraum eines Motors sind in Abbildung 11 wiedergegeben. Dazu wird das Gitter aus Abbildung 8 verwendet, das mit rund 59 000 Zellen um mehrere Größenordnungen weniger Zellen enthält, als es nach den zu Abbildung 9 genannten Kriterien notwendig wäre. Das wird dadurch möglich, daß man hier nur grobe Strukturen berechnet und über die feinen – in der technischen Anwendung nicht interessierenden – Strukturen mit Hilfe eines sogenannten Turbulenzmodells hinwegmittelt. Deutlich ist zu erkennen, wie die Stellen starker NO-Bildung an Bereiche hoher Temperatur gekoppelt sind.

Die Kenntnis des Bildungsweges des thermischen NO ermöglicht es, NO zu minimieren, nämlich durch Minimierung der Geschwindigkeit der ersten Reaktion (das heißt, die Temperatur wird verringert), der Reduzierung der O-Atom-Konzentration in der Flammenfront (ebenso durch Verringerung der Temperatur) oder der Reduzierung der Konzentration des Luft-Stickstoffs N2 (zum Beispiel durch Verbrennung mit Sauerstoff statt Luft). Bekannte technische Konzepte zur Reduktion des thermischen NO sind die Abgas-Rückführung oder Flammenkühlung durch eingebrachte Kühlrippen oder Strahlungselemente. Wenn diese Maßnahmen nicht möglich sind, kann man auch darauf zurückgreifen, die Abgase katalytisch zu reinigen, was wesentlich aufwendiger ist.

Auch wenn das thermische NO auf diese Weise zum Verschwinden gebracht werden kann, tritt weiterhin das sogenannte prompte NO auf. Es verdankt seine Entstehung dem in Flammenfronten intermediär gebildeten Radikal CH, das mit Luftstickstoff zur Blausäure (HCN) reagiert, welche dann schnell zu NO umgesetzt wird. Eine bewährte Methode, um das prompte NO zu unterdrücken, ist die Magerverbrennung (Abb. 12). In modernen Haushaltsbrennern oder Gasturbinen-Kraftwerken ist dann eine NO-Emission von größenordnungsmäßig nur 10 ppm (= 0,001 Prozent) möglich. Ein Vergleich mit Kraftwerksemissionen von 0,1 Prozent NO, wie sie vor zwanzig bis dreißig Jahren noch üblich waren, zeigt hier einen enormen Fortschritt.

Die katalytische Oxidation eröffnet eine ganz neue Möglichkeit, NO zu reduzieren. Denn hier kann bei sehr niedrigen Temperaturen gearbeitet werden, bei denen die Radikalreaktionen, die in der Gasphase zur Schadstoff-Bildung führen, praktisch nicht mehr auftreten können. Auch hier hat man es wieder mit chemisch reaktiven Gasströmungen zu tun. Zusätzlich ergibt sich die Komplikation, daß schon bei viel niedrigeren Temperaturen auch auf Oberflächen (zum Beispiel der Gefäßwände) chemische Reaktionen ablaufen können (heterogene Katalyse), wie sie in Abbildung 13 für die Wasserstoff-Oxidation skizziert sind. Dabei werden zuerst die Ausgangsstoffe H2 und N2 an die katalytisch aktive Wand transportiert und dann unter Zerfall in die Atome adsorbiert (dissoziative Adsorption). Danach findet auf der Oberfläche die Reaktion zu adsorbiertem OH und dann das Endprodukt Wasser (H2O) statt, das schließlich desorbiert und in die Gasphase zurücktransportiert wird.

Eine anderer (exotischerer) Fall einer chemisch reaktiven Strömung ergibt sich beim Wiedereintritt eines Raumfahrzeuges. In etwa 80 Kilometer Höhe hat das Fahrzeug eine Geschwindigkeit von etwa 25 000 km/h. Das ist so schnell, daß der Luft vor dem Bug keine Zeit bleibt, zur Seite auszuweichen. Es bildet sich eine Bugstoßwelle. Sie komprimiert die Luft stark und heizt sie dabei auf etwa 15 000 Grad auf. Bei dieser extrem hohen Temperatur zerfallen auch sonst recht stabile Moleküle wie der Stickstoff N2 und der Sauerstoff O2 in der Luft schnell zu den Atomen N und O. Diese energetischen Teilchen können dann – zusammen mit der hohen Temperatur – zur Zerstörung des Hitzeschildes und zu fatalen Änderungen der Lenkbarkeit des Raumfahrzeugs führen, wenn diese Komplikationen nicht berücksichtigt werden, was beinahe den Absturz des ersten amerikanischen Space Shuttle verursacht hätte.

Autor:
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Warnatz
Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR), Im Neuenheimer Feld 368, 69120 Heidelberg,
Telefon: (0 62 21) 54 82 48

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