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Zelltherapie für zerstörten Knorpel

Die Arthrose, der schmerzhafte Abbau des Gelenkknorpels, ist ein weit verbreitetes Leiden. Einmal geschädigt, kann Knorpel nicht mehr heilen. Diese Erkenntnis ist 300 Jahre alt – und auch heute noch eine der größte Herausforderungen orthopädischer Forschung. Die Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg hat sich dieser Herausforderung gestellt und erarbeitet derzeit neue Therapieansätze auf der Basis molekularbiologischer Forschung. Wiltrud Richter erläutert den aktuellen Stand der Entwicklungen auf dem Weg zu einer effizienten Zelltherapie zerstörter Gelenke mit Hilfe von Stammzellen erwachsener Spender.

Knorpelzellen
Gesunder Knorpel hat eine glatte Oberfläche. Proteoglykane – Moleküle, die sich aus Wasser und Zucker zusammensetzen, und dem Knorpel seine stoßdämpfenden Eigenschaften verleihen – sind in seinem Innern gleichmäßig verteilt (rot angefärbt). Ein arthrotischer Knorpel hat eine raue, von Rissen und Spalten durchsetzte Oberfläche, Proteoglykane sind kaum noch vorhanden.

Knorpel ist ein besonderes Gewebe. In dünnen Schichten überzieht er die Gelenkflächen unserer Knochen und sorgt so dafür, dass sie – geschmiert von der Gelenkflüssigkeit – auch unter hohem Druck reibungslos aneinander vorbeigleiten. In der Wirbelsäule bildet knorpelartiges Gewebe kleine Kissen zwischen den Wirbelkörpern, die Bandscheiben. Sie sind für die Beweglichkeit und für das Abfedern von Stößen beim Laufen und Springen unabdingbar. Wie diese beiden Beispiele zeigen, braucht Knorpel eine reibungsarme Oberfläche und stoßdämpfende Eigenschaften, um seine Funktion im Körper zu erfüllen. Diese Eigenschaften verleiht ihm die so genannte hyaline Matrix. Sie besteht vorwiegend aus Proteinen, Proteoglykanen (Moleküle, die aus Eiweiß und Zucker zusammengesetzt sind) und Wasser. Die Knorpelzellen selbst scheiden die hyaline Matrix aus. Anders als im Knochen wird diese außerhalb der Zelle gelegene (extrazelluläre) Matrix nicht verkalkt. Als einziges Gewebe des Körpers ist Knorpel nicht durchblutet – eine Anpassung an seine Aufgabe, die Stoßdämpfung, und die damit einhergehenden hohen Drücke und Scherkräfte. Den Abtransport von Stoffwechselprodukten und die Zufuhr von Nährstoffen kann deshalb nicht das Blut übernehmen; sie erfolgen ausschließlich über Diffusion (den passiven Transport von Molekülen von Orten höherer zu solchen mit niedriger Konzentration). Wechselnde Druckverhältnisse bei Be- und Entlastung von Gelenkflächen und Bandscheiben verbessern die Diffusion. Regelmäßige Bewegung ist daher für die optimale Versorgung der Knorpelzellen günstig.

Eingebettet in eine dichte, voluminöse extrazelluläre Matrix und nicht an den Blutkreislauf angeschlossen sind Knorpelzellen einsame Gesellen: Anders als die Zellen des Knochens und anderer Gewebe im Körper haben sie keinen direkten Kontakt zu ihren Nachbarn. Sie werden auch nicht regelmäßig von Immunzellen aufgesucht, die den Körper durchstreifen, um schädliche Fremdsubstanzen und gealterte Zellstrukturen aufzuspüren. Die sie umgebende, undurchdringliche Matrix macht es den Knorpelzellen selbst dann unmöglich, ihren Platz aufzugeben, wenn sie längst abgestorben sind.

Hieraus ergibt sich eine besondere Situation: Wird Knorpel an einer bestimmten Stelle geschädigt, "bemerken" die Zellen in der Nachbarschaft des zerstörten Areals den Schaden zunächst nicht. Sie leiten deshalb nicht sofort Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ein, sondern möglicherweise erst dann, wenn sie selbst bereits in Gefahr geraten sind, beispielsweise weil sich die mechanischen Belastungen durch den Schaden verändert haben oder weil als Folge davon ein ungünstiges Stoffwechselmilieu entstanden ist. Auf ihren angestammten Platz verbannt, bleiben ihnen nur wenige Möglichkeiten, auf die Gefährdung zu reagieren. Sie könnten zum Beispiel schützende Substanzen in die extrazelluläre Matrix ausschütten. Doch ihre sowieso nur geringe Stoffwechselaktivität lässt sich nur begrenzt ankurbeln, weil die Knorpelzellen lediglich über Diffusion – und damit sehr langsam – mit Nährstoffen versorgt werden. Eine weitere mögliche Maßnahme wäre die rasche Teilung in Tochterzellen. Insgesamt sind die Reaktionsmöglichkeiten der Knorpelzelle jedoch derart begrenzt, dass selbst winzige Defekte von ein bis zwei Millimetern nicht wieder geschlossen werden können: Die Diffusion kann nur kurze Strecken überbrücken; durch Teilung neu entstandene Knorpelzellen können nicht in den Defekt gelangen. Die Folge ist, dass sich selbst kleine Schäden langfristig ausweiten können, weil nicht nur die direkt betroffenen, sondern auch die Zellen im Randbereich des Defektes nach und nach absterben. Aus kleinsten, etwa durch Reibung oder Überlastung entstandenen Knorpelverletzungen kann auf diese Weise eine großflächige Abnutzung des Gelenks, die Arthrose, entstehen. Doch nicht nur die beschriebene mechanische Knorpelschädigung, auch chemische, stoffwechselbedingte und genetische Faktoren werden als Ursache für die krankhaften Veränderungen des Gelenkknorpels diskutiert.

Ist Knorpel einmal geschädigt, kann er nicht mehr heilen. Diese Erkenntnis ist mehr als 300 Jahre alt und nach wie vor eine der größten Herausforderungen der orthopädischen Forschung. Die Therapie beschränkt sich noch immer vorwiegend darauf, die begleitenden schmerzunterhaltenden Veränderungen zu reduzieren. Greift diese Art der Behandlung nicht mehr, weil der Schaden weiter fortgeschritten ist, bleibt als einziger Ausweg der künstliche Gelenksersatz oder die operative Versteifung des Gelenks. Der Forschungsschwerpunkt Arthrose der Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg versucht derzeit, die zellulären und molekularbiologischen Vorgänge der Arthrose aufzuklären. Das Ziel ist, Möglichkeiten zu finden, der Erkrankung wirksam vorzubeugen und neue ursächliche Therapie- und Heilungsansätze zu erarbeiten.

Bislang wurden arthrotische Gelenke vorwiegend mikroskopisch untersucht. Diese Untersuchungen machten es möglich, die Knorpeldegeneration detailliert zu beschreiben und in aufeinanderfolgende Stadien einzuteilen. Am Anfang des destruktiven Geschehens steht stets ein Verlust an Proteoglykanen, jenen wichtigen Bestandteilen der hyalinen Matrix. Als Folge davon erweicht der Gelenkknorpel, vor allem in den am stärksten belasteten Gelenkanteilen. Es bilden sich Risse und Spalten, die mit der Zeit bis in die Tiefe der Knorpelsubstanz reichen. Die Oberfläche raut auf, der Knorpel wird immer dünner. Nach und nach geht schließlich der gesamte Knorpelüberzug der knöchernen Gelenkfläche verloren.

Knorpelzellen
Es ist bislang schwierig, Knorpelzellen für die Behandlung von Knorpeldefekten zu gewinnen. Einfacher wäre es, ließen sich die Knorpelzellen im Labor aus so genannten Stammzellen züchten. Solche Vorläufer von Knorpelzellen – die Wissenschaftler nennen sie "mesenchymale Stammzellen" – können tatsächlich aus dem Knochenmark und Bindegewebe erwachsener Menschen gewonnen werden. Das Bild zeigt eine Zellkultur von Knorpelzellen.

Verglichen mit den morphologischen, sind die zellbiologischen und biochemischen Veränderungen, die sich im Laufe der Arthrose im Knorpel ereignen, weit weniger gut charakterisiert. Es wird angenommen, dass abbauende (destruktive) Faktoren und aufbauende (protektive) Faktoren im Gelenkknorpel in ein Ungleichgewicht geraten. Unklar ist jedoch, ob sich zuerst die Zellen verändern, dadurch die Matrix schlechter versorgt oder abgebaut wird und somit der Knorpelzerstörung Vorschub leisten oder ob äußere Einflüsse die Matrix so verändern, dass die Zellen mit ihren Reparaturbemühungen nicht mehr nachkommen, schließlich in Mitleidenschaft gezogen werden und absterben, womit die aufbauenden Faktoren zum Erliegen kommen.

Die Suche nach den molekularen Ursachen der Arthrose ist bislang wenig erfolgreich verlaufen. Dies beruht zum Einen darauf, dass die Anzahl analysierbarer Zellen ausgesprochen klein ist. Zum Anderen beeinflussen die Moleküle, welche die mächtige Knorpelmatrix aufbauen, viele gängige molekularbiologische Untersuchungsmethoden, die bei anderen Geweben erfolgreich angewendet werden können.

Wir konnten in unserem Labor inzwischen bestimmte molekularbiologische Methoden soweit an die besonderen Gegebenheiten des Knorpels anpassen, dass es möglich wurde, auch aus wenigen Milligramm Gewebe genügend Ausgangssubstanz (= Ribonukleinsäure) zu gewinnen, um die "Benutzung" von Genen in gesunden und arthrotischen Knorpelproben zu untersuchen. Will man sich ein einigermaßen umfassendes Bild von den Genen machen, die im Knorpel aktiv sind, muss mit den klassischen Methoden der Molekularbiologie für jedes einzelne Gen eine zeitaufwendige Untersuchung erfolgen. Eine Effizienzsteigerung wird durch Techniken wie die "DNA-Array-Analyse" möglich. Sie erlaubt es, Experimente, die bislang nur hintereinander ablaufen konnten, nebeneinander auszuführen. Mehrere hundert oder sogar Tausende von Genen können gleichzeitig daraufhin untersucht werden, ob sie in gesundem Knorpel häufiger oder seltener benutzt werden als in arthrotischem Knorpel.

Wir haben in unserem Labor einen speziellen Knorpel-Array (einen "Knorpel-Chip") entwickelt, der Gene umfasst, die für die Knorpelmatrix wichtig sind. Darunter sind die Gene für die faserbildenden Kollagene des Knorpels wie Kollagen 2, 9 und 11. Sie verleihen dem Knorpel – eingebettet wie Stahl in Stahlbeton – seine Festigkeit. Darunter sind auch die Gene für die Glykoproteine. Sie sind für die stoßdämpfenden Eigenschaften des Knorpels entscheidend, weil sie Wasser anziehen, binden und dem Knorpel so einen Quelldruck verleihen können. Schließlich enthält unser Knorpel-Chip Gene für typische Enzyme (Proteasen), welche die hyaline Matrix abbauen, so genannte Metalloproteasen. Auch deren Gegenspieler – sie hemmen die Metalloproteasen und sind wesentlich am Stoffwechselgleichgewicht der extrazellulären Matrix beteiligt – sind in unserem Chip enthalten.

Um ein möglichst vollständiges Bild von den genetischen Vorgängen der Knorpeldegeneration zu zeichnen, wird unser Knorpel-Chip gegenwärtig weiter aufgestockt. Dazu wählten wir knorpelrelevante Gene aus 30000 Gen-Arrays, die im Resourcenzentrum des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg zur Verfügung stehen. Erste Ergebnisse zeigen uns, dass das Gen für das wichtigste Faserprotein des Knorpels, das Kollagen Typ II, bei Arthrose wesentlich häufiger "abgeschrieben" (also in Protein übersetzt) wird als im gesunden Knorpel. Das heißt, die Zellen reagieren mit vermehrter Faserbildung. Typische Füllmoleküle der hyalinen Grundsubstanz der Matrix waren teilweise unverändert, Matrix-abbauende Enzyme im arthrotischen Knorpel kaum aktiv. Dies bedeutet: Die Knorpelzellen stellen mehr Knorpelmatrix her; außerdem bremsen sie natürlicherweise ablaufende Abbauvorgänge, indem sie die Bildung Matrix-abbauender Enzyme einstellen. Die Zellen versuchen also, das Gleichgewicht vom Abbau der Matrix hin zum Aufbau der Matrix zu verschieben – eine Anstrengung, die ihnen über die Jahre hinweg offensichtlich nicht im notwendigen Maße gelingt. Bedenkt man, wie wenig Knorpelzellen es gibt – sie machen im reifen Knorpel lediglich fünf Prozent des Gewebevolumens aus – verwundert es nicht, dass sie irgendwann versagen, zumal wenn sie sich in einer Umgebung befinden, in der Entzündungen dem Knorpel zusätzlich zusetzen. Das Vermeiden übermäßiger Belastung und das Verhindern von Entzündungen kann die Reparaturmaßnahmen des Knorpels unterstützen. Dabei sollten die vom Körper natürlicherweise ausgesandten Warnzeichen, die Schmerzen, respektiert werden. Denn völlig unterdrückte Schmerzen können den Patienten dazu veranlassen, das Gelenk unkontrolliert weiter zu belasten. Der arthrotische Prozess wird dadurch beschleunigt. Die medikamentöse Behandlung der Arthrose muss daher sorgfältig erwogen und dem einzelnen Patienten individuell angepasst werden.

Wo wenige Zellen des Guten nicht genug tun können, ist zellulärer Nachschub gefragt. Neue Ansätze, um Knorpeldefekte zu behandeln und der Arthrose vorzubeugen, rücken deshalb die Therapie mit neuen Knorpelzellen und Wachstumsfaktoren in den Vordergrund. Bei lokal begrenzten Knorpelschäden im Kniegelenk hat das Einbringen von körpereigenen knorpelähnlichen Zellen – die so genannte autologe Chondrozyten-Transplantation – bereits Einzug in die klinische Praxis gehalten. Obwohl mittlerweile viel versprechende Ergebnisse von mehreren hundert Patienten vorliegen, stehen klinische Studien zum Langzeitverlauf noch weitgehend aus. Auch vom Ansatz her ist diese erste Zelltherapie des Knorpels noch verbesserungsbedürftig: Um die Knorpelzellen für die Transplantation zu gewinnen, müssen Knorpeldefekte – wenn auch an weniger belasteten Stellen – desselben Gelenks gesetzt werden. Die derart gewonnenen Zellen müssen danach mehrere Wochen lang im Labor vermehrt werden, bis sie zur Transplantation – für die ein weiterer Eingriff notwendig wird – verfügbar sind.

Eine alternative Quelle, um Knorpelzellen zur Behandlung von Knorpeldefekten zu erhalten, wird dringend benötigt. Eleganter wäre es beispielsweise, Knorpelzellen im Labor aus regenerationsfähigen Stammzellen zu züchten. Solche Vorläuferzellen für Knorpelzellen – man nennt sie auch "mesenchymale Stammzellen" – können zum Beispiel aus dem Knochenmark und dem Bindegewebe erwachsener Menschen gewonnen werden.

Wir untersuchen zurzeit, wie man aus diesen mesenchymalen Stammzellen in Zellkultur Knorpelzellen herstellen kann. Dazu isolieren wir mesenchymale Stammzellen aus dem Mark des Hüftknochens. Anschließend geben wir ausgewählte Wachstums- und Differenzierungsfaktoren zur Zellkultur hinzu. Dadurch können wir die mesenchymalen Stammzellen innerhalb von zwei bis sechs Wochen gezielt so verändern, dass sie typische Gene anschalten, die sie zu Knorpelzellen heranreifen lassen. Mit Hilfe des bereits beschriebenen Knorpel-Chips lässt sich das Entwicklungsstadium der Stammzellen auf dem Weg zur Knorpelzelle prüfen und optimieren. Dazu setzen wir auch die dreidimensionale Kulturform ("tissue engineering") und mechanische Faktoren als weitere Variablen ein.

Vergleichende Untersuchungen der unterschiedlichen Zellpopulationen haben es uns mittlerweile möglich gemacht, ein bisher unbekanntes Gen (CEP-68) zu identifizieren, das ausschließlich von kultivierten Knorpelzellen benutzt wird. Das Gen eignet sich deshalb hervorragend, um verschiedene Typen von Zellen in der Zellkultur zu unterscheiden. Das Produkt des Gens ist wahrscheinlich ein neues Protein der extrazellulären Matrix, das mit keinem der bisher beschriebenen Moleküle verwandt ist und dessen genaue Funktion es noch aufzuklären gilt. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeiten ist der neue Ansatz, mesenchymale Stammzellen aus Fettgewebe zu isolieren und anschließend im Labor zu Knorpelzellen ausreifen zu lassen. Dies wäre eine besonders elegante, einfache und patientenfreundliche Art, Knorpelzellen für Transplantationen zu gewinnen.

Noch sind wir in der Phase der Grundlagenforschung und zielen zunächst auf die Therapie umgrenzter Knorpelschäden. Verlaufen diese Arbeiten erfolgreich, müssen sich die neuen Therapieansätze im Tiermodell bewähren, bevor daran gedacht werden kann, sie beim Menschen einzusetzen. Feststeht, dass die Zelltherapie in der Orthopädie zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen wird, nicht nur zur Behandlung von Knorpeldefekten, sondern auch von Knochen-, möglicherweise auch Bandscheibenschäden. Unsere Ergebnisse zeigen schon heute, dass wir hervorragend mit den Stammzellen erwachsener Spender arbeiten können, um neue Therapien für Krankheiten des Bewegungsapparates zu entwickeln, – die ethisch umstrittene Nutzung embryonaler Stammzellen können wir getrost zurückstellen.

Autorin:
Privatdozentin Dr. Wiltrud Richter
Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Schlierbacher Landstraße 200a, 69118 Heidelberg,
Telefon (06221) 96 92 54, Fax: (06221) 96 92 88, e-mail: wiltrud.richter@ok.uni-heidelberg.de

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