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Geballte Strahlkraft

Im Jahr 2006 wird das Universitätsklinikum Heidelberg über eine Anlage zur Schwerionentherapie von Krebspatienten verfügen, die international neue Maßstäbe setzt. Jürgen Debus, Leiter der "Klinischen Kooperationseinheit Strahlentherapeutische Onkologie" im Deutschen Krebsforschungszentrum und Leitender Oberarzt an der Radiologischen Universitätsklinik, erklärt das Prinzip der Strahlentherapie mit schweren Ionen und erläutert die Vorteile, die krebskranke Menschen von der geballten Kraft der Strahlen erwarten können.

 Beispielhafte Dosisverteilung bei einem Patienten mit Schädelbasistumor

Beispielhafte Dosisverteilung bei einem Patienten mit Schädelbasistumor. Der besondere Vorteil der Schwerionen-Behandlung ist die Präzision und Schonung der Nachbargewebe.

Die ersten Arbeiten für ein ebenso großes und ehrgeiziges wie erfolgversprechendes Projekt haben begonnen: der Bau der europaweit ersten, ausschließlich klinisch genutzten Anlage zur Schwerionentherapie von Krebspatienten. Bis zum Ende des Jahres 2006 soll in Heidelberg neben der Radiologischen Universitätsklinik eine Bestrahlungsanlage entstehen, die international richtungsweisend ist. Mit ihr wird es möglich sein, die klinische Forschung mit Teilchenstrahlung intensiv voranzutreiben und in Deutschland zu etablieren. "Die Entwicklung der Schwerionentherapie", urteilt Prof. Michael Wannenmacher, Direktor der Radiologischen Klinik, "ist ein Quantensprung in der Strahlentherapie von Krebserkrankungen".

Doch zunächst ein Blick zurück: Im Dezember 1997 wurden erstmals in Europa Krebspatienten am Schwerionensynchrotron der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt (GSi) mit schweren Ionen bestrahlt. Schon bald zeigte sich, dass die guten klinischen Ergebnisse, die mit dieser Bestrahlung bei Patienten in Berkeley, Kalifornien, in den Jahren von 1957 bis 1992 erzielt worden waren, in Darmstadt noch verbessert werden konnten. Während des seit 1994 laufenden gemeinsamen Projektes mit der Radiologischen Universitätsklinik Heidelberg, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Forschungszentrum Rossendorf bei Dresden wurden bis heute 153 Patienten bei der GSi in Darmstadt bestrahlt – alle im Rahmen von klinischen Phase I/II-Studien, die demonstrieren sollen, dass eine Therapie klinisch wirksam und durchführbar ist. Dieses Ziel wurde rasch erreicht. Wegen der überlegenen physikalischen und biologischen Eigenschaften der Schwerionen und wegen eines technisch einzigartig ausgestatteten Bestrahlungsgerätes werden in Darmstadt seither überaus erfolgreiche klinische Ergebnisse erzielt.

Bestrahlt werden Patienten mit strahlenresistenten Tumoren der Schädelbasis, so genannte Chordome, Chondrosarkome und adenoidzystische Karzinome. Tumoren der Schädelbasis wachsen in enger Nachbarschaft zu sehr strahlenempfindlichen Organen wie Hirnstamm, Hirnnerven, Augen und Sehnerven. Weil die Gefahr zu groß ist, dass diese sensiblen Strukturen zu Schaden kommen, ist es häufig nicht möglich, den Tumor mit einer ausreichend hohen Dosis von Photonen – sie werden bei herkömmlichen Strahlentherapien eingesetzt – zu bestrahlen.

Anders bei Schwerionen. Wegen ihrer großen Masse sind Schwerionenstrahlen scharf begrenzte Strahlenkegel: Sie "streuen" nicht in die Umgebung. Im Gegensatz zur Photonenstrahlung, bei der die Energieabgabe nach einem Maximum, das bei etwa drei Zentimetern Gewebetiefe erreicht ist, allmählich abfällt, erreichen Schwerionen erst am Ende ihrer Bahn ihre maximale Dosis, in der Fachsprache "Bragg-Peak" genannt. Danach fällt die Dosis jäh auf nahezu null ab: Hinter einem Tumor gelegenes gesundes Gewebe bekommt von der zellzerstörenden Strahlung nichts ab. Wenn man Strahlen verschiedener Reichweiten überlagert, gelingt es zudem, den Bragg-Peak beliebig zu verbreitern. Auf diese Weise können Tumoren nahezu jeder Größe "abgedeckt" werden. Weil nicht zu befürchten ist, dass gesundes Nachbargewebe von den Strahlen getroffen wird, kann die Dosis im Tumor verglichen mit der Photonenbestrahlung um 15 bis 35 Prozent erhöht werden. Die Konsequenz: Der Tumor kann "kompromisslos" mit der erforderlichen hohen Dosis bestrahlt werden.

 Patient mit bösartigem Tumor an der Schädelbasis

Patient mit bösartigem Tumor an der Schädelbasis, der zu starken Schmerzen im Gesicht führt.

Für Tumoren der Schädelbasis ist charakteristisch, dass sie langsam wachsen und meist große Bereiche enthalten, die schlecht durchblutet und deshalb mit Sauerstoff unterversorgt sind. Das ist der Grund dafür, warum diese Tumoren auf die konventionelle Photonenbestrahlung kaum reagieren; zudem sind Zellen, die sich nicht teilen, weniger strahlenempfindlich.

Auch das ist bei Schwerionen anders. Wegen ihres wesentlich höheren Energieübertrags im Bragg-Peak sind sie in ihrer biologischen Wirksamkeit den Photonen deutlich überlegen: Sie zerstören Tumorzellen generell mit größerer Wahrscheinlichkeit, weil sie die Erbsubstanz DNS aggressiver schädigen. Sie wirken außerdem auch auf sauerstoffunterversorgte sowie langsam wachsende Tumoren.

Schwerionen, die all diese physikalischen und biologischen Vorteile am besten auf sich vereinen, sind die Kohlenstoffionen. Sie werden bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt in einem Pilotprojekt zur Bestrahlung von Patienten eingesetzt.


 Bereits sechs Wochen nach der Therapie stellt sich eine komplette Rückbildung und Schmerzfreiheit ein

Bereits sechs Wochen nach der Therapie stellt sich eine komplette Rückbildung und Schmerzfreiheit ein.

Das Projekt prüft, ob sich die strahlenphysikalischen Eigenschaften der Schwerionen und die sich daraus ableitenden strahlenbiologischen Hypothesen am Patienten nachweisen lassen. Ein erster Vergleich der strahlenbiologischen Wirksamkeit von Photonen und Schwerionen zeigte einen deutlichen Nachteil der Photonentherapie: Selbst wenn ein Tumor der Schädelbasis chirurgisch entfernt werden konnte, tritt er nach konventioneller Photonentherapie bei 50 Prozent der Patienten nach fünf Jahren erneut auf.

In Darmstadt werden Patienten mit nicht operierbaren oder nur teilweise operierten Tumoren mit Schwerionen bestrahlt. Die Phase I/II-Studie mit Schädelbasistumoren ist bereits abgeschlossen. Die Ergebnisse, die in Studien bei den 75 behandelten Patienten erzielt werden konnten, sind hervorragend. Bei 87 Prozent der Chordom- und bei allen Chondrosarkom-Patienten kam es zu keinem erneuten Tumorwachstum in den ersten drei Jahren nach Beginn der Studie innerhalb des bestrahlten Areals ("lokale Kontrolle"). Die Überlebenszeit nach drei Jahren lag bei 100 Prozent für Chondrosarkom-Patienten und bei 89 Prozent für Chordom-Patienten. Der Tumor verkleinerte sich in diesem Zeitraum bei 31 Prozent der Chordom-Patienten und bei 17 Prozent der Chondrosarkom-Patienten – teilweise beeindruckend schnell. Die Bestrahlungen wurden von den Patienten allgemein sehr gut vertragen.

Zurzeit laufen zwei klinische Phase I/II-Studien: Eine prüft die Wirksamkeit der Schwerionenbestrahlung bei sakralen und paraspinalen niedriggradigen Chondrosarkomen. In der zweiten Studie wird eine kombinierte Photonen- und Schwerionenbestrahlung bei fortgeschrittenen adenoidzystischen Karzinomen angewendet. Zwei Drittel der Patienten, die an dieser Studie teilnehmen, sind bereits mit exzellenten Ergebnissen bestrahlt worden. Demnächst soll eine ebensolche Studie für Patienten mit Prostatakrebs beginnen.

 Der Schwerionenstrahl kann im Körper des Patienten durch die Positronenemissionstomographie sichtbar gemacht werden

Der Schwerionenstrahl kann im Körper des Patienten durch die Positronenemissionstomographie sichtbar gemacht werden. Dadurch erhöht sich die Sicherheit der Therapie.

Der Erfolg der Bestrahlung mit Schwerionen ist nicht zuletzt auf einzigartige technische Neuheiten des Bestrahlungsgeräts zurückzuführen. Mit dem so genannten intensitätsmodulierten Rasterscan-Verfahren ist beispielsweise möglich, die Strahlendosis in nie zuvor erreichter räumlicher Präzision an den Tumor anzupassen. Dazu wird der Tumor am Computer in einzelne Schichten zerlegt, die dann nacheinander vom Strahl rasterförmig abgetastet werden. Der Strahl verweilt dabei so lange auf einem Punkt, bis die zuvor berechnete maximale Strahlendosis erreicht ist. Jedes Tumorvolumen kann so präzise mit jeder vorgegebenen Dosisverteilung bestrahlt werden. Intensität und Position des Strahls werden 10 000 mal pro Sekunde geprüft. Bei geringsten Abweichungen wird die Bestrahlung innerhalb von einer halben Millisekunde gestoppt – das ist 1 000 mal schneller als ein Mensch reagieren kann.

Außerdem wird erstmals eine "Online-Therapiekontrolle" eingesetzt. Mit ihr kann während der gesamten Bestrahlungszeit überwacht werden, wie der Strahl im Körper des Patienten verläuft. Hierfür wurde ein modernes bildgebendes Verfahren, die so genannte Positronen-Emissionstomographie (PET), zur Kamera umfunktioniert. Die PET-Kamera – eine Entwicklung des Forschungszentrums Rossendorf – kann den Ionenstrahl im Körper des Patienten sichtbar machen. Wissenschaftler vom Forschungsschwerpunkt Radiologische Diagnostik und Therapie des Deutschen Krebsforschungszentrums, der GSi und der Radiologischen Klinik konnten in das Projekt ihre Erkenntnisse aus nahezu 20 Jahren Forschung einfließen lassen. Das im Krebsforschungszentrum entwickelte Programm zur Bestrahlungsplanung -"Voxelplan" – gilt als eines der modernsten und schnellsten der Welt. Auf der Grundlage computertomografischer und magnetresonanztomografischer Aufnahmen ist Voxelplan in der Lage, Körperregionen dreidimensional darzustellen. Die Bestrahlung kann mit Hilfe von Voxelplan vorab simuliert und die Verteilung der Dosis im menschlichen Gewebe präzise vorausberechnet werden.

Ebenfalls von Wissenschaftlern in Heidelberg wurden so genannte stereotaktische Methoden zur Positionierung des Patienten entwickelt Diese Methoden garantieren, dass die Position der Patienten bei jeder der rund 20 aufeinander folgenden Einzelbestrahlungen stets gleich ist. Individuell für jeden Patienten angefertigte Kopfmasken umschließen den Schädel und werden an die Patientenliege montiert. Die Liege ist drehbar und in alle drei Koordinatenrichtungen beweglich. Der Patient kann so in die erforderlichen Bestrahlungspositionen gefahren werden – damit der Strahl millimetergenau trifft. Wie genau die Positionierung ist, wird zusätzlich vor jeder Einzelbestrahlung mit Hilfe von Röntgenaufnahmen überprüft.

Über alle diese technischen Innovationen wird auch die derzeit im Bau befindliche Heidelberger Anlage verfügen. Das "Herz" der Anlage ist der Beschleuniger. Er besteht aus einem Linearbeschleuniger als Injektor und einem Synchroton, mit dem die Teilchen auf die gewünschte Therapieenergie zwischen 50 und 430 Megaelektronvolt beschleunigt werden können. Dies entspricht Strahlen-Eindringtiefen zwischen zwei und 30 Zentimetern. Der mit Hilfe des Beschleunigers erzeugte Therapiestrahl wird in drei Behandlungsräume gelenkt. Einer dieser Räume ist mit einer drehbaren Strahlführung ausgestattet, so dass der Strahl um den Patienten rotieren kann.

 Mit Schwerionen können Rückbildungen auch bei Tumoren erreicht werden, die auf die herkömmliche Therapie nicht reagieren.

Mit Schwerionen können Rückbildungen auch bei Tumoren erreicht werden, die auf die herkömmliche Therapie nicht reagieren.

Wie notwendig der Bau der Heidelberger Anlage ist, um alle Patienten nach dem derzeit gültigen strahlentherapeutischen "state of the art" behandeln zu können, verdeutlichen die aktuellen Zahlen: Da die Anlage in Darmstadt auch für die physikalische Grundlagenforschung genutzt wird, ist ihre Kapazität mit 70 Patienten, die pro Jahr bestrahlt werden können, sehr begrenzt. Jährlich ist in Deutschland jedoch mit etwa 10 000 Patienten zu rechnen, die von einer Schwerionentherapie profitieren könnten. Prinzipiell kommen für diese Behandlung alle Tumoren in Frage, bei denen die herkömmliche Strahlentherapie nicht ausreicht, insbesondere Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, bestimmte Weichteilsarkome, Prostatakarzinome, etwa 30 Prozent der Hirn- und Rückenmarkstumoren sowie bestimmte kindliche Tumoren des Bauchraums. Weil es in Deutschland und Europa an Therapieanlagen für Schwerionen mangelt, zieht es viele Patienten derzeit noch in die Vereinigten Staaten. In der Heidelberger Anlage sollen ab 2006 jährlich 1 000 Patienten bestrahlt werden können.

In Heidelberg sollen nicht nur Kohlenstoffionen, sondern auch andere Teilchenstrahler – Protonen, Heliumionen – zum Einsatz kommen. Dies ist die Voraussetzung, um die innerhalb der Teilchentherapie so notwendigen vergleichenden Phase-III-Studien durchzuführen und die für jeden Tumor optimale Strahlenqualität zu ermitteln. Die Fragen: Sind Kohlenstoffionen bei Schädelbasistumoren noch erfolgreicher als Protonen? Reicht es bei bestimmten Tumoren aus, die kostengünstigere Photonenstrahlung anzuwenden, wenn die Strahlen mit dem neuen Verfahren der "Intensitätsmodulation" appliziert werden, wodurch eine zuvor nie erreichte räumliche Präzision möglich wird?

Die Behandlung wird pro Patient etwa 20.000 Euro kosten – und damit ebenso viel wie andere operative und medikamentöse Krebstherapien.

Autor:
Priv.-Doz. Dr. Jürgen Debus,
Klinische Kooperationseinheit Strahlentherapeutische Onkologie,
Deutsches Krebsforschungszentrum,
Im Neuenheimer Feld 280,
Telefon (0 62 21) 42 25 16, Fax (0 62 21) 42 24 42,
e-mail: j.debus@dkfz.de

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