03.07.2005: Prof. Dr. Ingrid Schoberth über Vaterunser: In Ewigkeit

 

Prof. Dr. Ingrid Schoberth

Predigttext: Vaterunser „In Ewigkeit“

Liebe Gemeinde,

Unsere Predigt wendet sich heute den letzen beiden Worten im Vaterunsers zu: ‚in Ewigkeit’. Vor dem Amen sind diese beiden Worte eingebettet in den Satz: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit.“ ‚In Ewigkeit’ –  damit endet das Vaterunser-Gebet und eröffnet doch eine Weite, die unsere Zeitwahrnehmung übersteigt – und an die Gewißheit rührt, die in der Arie gerade besungen wurde: „ich weiß, daß mein Erlöser lebt“. Erlösung und Ewigkeit sind aufeinander verwiesen – Erlösung wird sich in Ewigkeit erweisen.

Wie das Vaterunser so enden auch viele Lieder und andere Gebete. In Ewigkeit – das klingt immer mit, wenn Menschen sich an Gott wenden; wie etwas, das nicht vergessen werden darf, das unbedingt im Blick bleiben muß. Der Blick auf die Ewigkeit inmitten des Heute, inmitten unseres Lebens aus dem Glauben, mitten im Alltag der Welt. Dieser Schluß ‚In Ewigkeit’ richtet alles Gesagte auf etwas Neues hin aus. Wenn man will könnte man sagen: mit diesem Blick auf die Ewigkeit steht und fällt das christliche Leben. In unserem Lied vor der Predigt war auch das deutlich zu hören: es eröffnet sich mitten im singen eine andere, neue Dimension; alles bisher Besungene bekommt eine Weite und eröffnet  Räume, die nicht fehlen dürfen:

„Der Herr dein Ausgang stets bewahr, sind Weg und Steg auch voll Gefahr, bring dich nach Haus in seim Geleit von nun an bis in Ewigkeit.“ (296,8).

Der Gott und Vater Jesu Christi, der im Alltag unsere Wege begleitet, der ist es auch, der uns in Ewigkeit begleitet: hinein in die Ewigkeit, in eine Zeit, die anders ist als das, was wir kennen und über die wir nur vermuten können, was dann kommt, für die wir nur Bilder und Metaphern haben, die uns daran Anteil geben.

 

Diese Ewigkeit scheint in unsere Zeit, nicht nur am Lebensende, wenn wir dem Tode entgegengehen, sondern sie ist gleichsam Ausdruck für die Nähe Gottes in der Wirklichkeit unseres Lebens.

Von der Ewigkeit spüren und ahnen wir auch im Leben. Sie kleidet unsere Zeit ein und begleitet unsere Zeiten: Unsere Erfahrungen des Guten und unsere Erfahrungen des Bösen. Marie Louise Kaschnitz hat das einmal in ein Gedicht gefaßt, wie das ist, wenn wir die Ewigkeit spüren können, die Ewigkeit, die aufscheint – kurz, so daß wir sie kaum gewahren…: Hören sie die erste Strophe aus ihrem Gedicht:

„Viel des Versöhnenden geschieht auch jetzt / Verborgen zwar, so daß wir’s kaum gewahren / Und wenig achten in der allgemeinen / Verfinsterung. Denn wie in Blitz und Donner / Das Säuseln untergeht, die leise Stimme / Des Windes im Gezweig, der Atem Gottes / Und ist doch immer da, ein dringlich Flüstern.“

Das Versöhnende geschieht und das ist die Stimme der Ewigkeit in unserer Zeit. Bei Kaschnitz sind das Gegenworte, Gegengefühle, neue Spuren in Zeiten der Verfinsterung und Orientierungslosigkeit. Ein dringlich Flüstern in den Zeiten, der Atem Gottes, Ewigkeit in unseren Zeiten. Ihr Gedicht steht für eine Hoffnung angesichts der Hoffnungslosigkeit und scheinbaren Verheißungslosigkeit: ihr Gedicht ist prophetisch, denn es mahnt die Aufmerksamkeit ein auf Dimensionen unseres Lebens, die Wirklichkeit sind und derer gewahr zu werden, es Aufmerksamkeit braucht.

 

Jugendliche haben dieses Gespür für die Ewigkeit; sie sind darauf ansprechbar, sie sind darauf aufmerksam. Vielleicht ist es das, was sie in einem ganz spezifischen Sinn noch kindlich sein läßt: aufmerksam für ein mehr, als das, was man sieht, aufmerksam für Neues und noch Ungeahntes, das sie in ihrer Sehnsucht mit sich tragen. In einem Lied, das Jugendliche begeistert, habe ich es unlängst wieder gehört: „Und wenn der letzte Stern vom Himmel fällt, komm wünsch dir was für die Ewigkeit.“ Ewigkeit ist nicht identisch mit Unendlichkeit. Endlichkeit und Unendlichkeit, das paßt nicht zusammen. Mit Ewigkeit  ist etwas festgehalten, das auf etwas abzielt, ausgerichtet ist und in dem noch eine Gewißheit mitschwingt, daß sich etwas zum Guten wenden wird. Nicht unendlich, sondern ewig – das ist eine Differenz, die festgehalten werden muß, weil darin etwas noch Ungeahntes liegt, unklar, undeutlich aber doch so, daß es nicht unbestimmt ist – so wie die Geraden, die sich irgendwann im Unendlichen kreuzen sollen – woher man das wohl weiß?

Der Blick auf die Ewigkeit korrigiert unseren Blick auf die Tatsachen und das Unabänderliche, der uns all zu oft gefangen hält. Und so klingen die Erinnerungen an die Ewigkeit, in Liedern und Gebeten, wie auch am Ende des Vaterunsers als ein dringlich Flüstern – mitten in dem Lärm der Welt, der dieses leise Flüstern, oft genug übertönt; ein dringlich Flüstern, das doch immer da ist.

In Ewigkeit – dieser Satz formuliert einen Widerstand gegen das Vergessen der Zeit, in die wir hineingestellt sind. Gerade deshalb erscheinen die kurzen Hinweise am Ende von Liedern und Gebeten trotz aller Kürze so bedeutsam. Sie halten eine Zeit fest, die in der chronologischen Zeit nicht aufgeht, sondern zu einer neuen Wahrnehmung unserer Zeit anleitet.

 

Diese Zeit hat ihren besonderen Anfang: sie zeigt sich im Schöpferhandeln Gottes, wenn sich Zeiten und Räume für den Menschen auftun. Es sind Zeiten und Räume, in der die Beziehung Gottes und des Menschen gesetzt ist, gleichsam relationale Räume, die ohne Gott und den Menschen nicht zu denken sind. Diese besondere Beschreibung der Zeit aus dem Handeln Gottes, ist eine Zeit, die sich durch die Erfahrungen Gottes und des Menschen bestimmt und die den Lebensraum des Menschen tragen. Die eigene Lebenszeit und das schöpferische Handeln Gottes sind also unabdingbar ineinander verstrickt. Mit Ewigkeit denken wir auch an  den Anfang des eigenen Lebens, als dem Anfang der gemeinsamen Zeit, der Zeit Gottes und des Menschen füreinander und miteinander.

 

Ewigkeit ist immer da: Christliches Leben ist ein Einstimmen in die Ewigkeit, so wie man ein Instrument stimmt und genau hört, ob die Töne stimmen – dazu fordert das Ende des Vaterunsers heraus: Ewigkeit ist also in unseren Zeiten da: wenn wir Lieder singen, in unseren Gottesdiensten, wenn wir beten – dann öffnet sich unser Leben auf Ewigkeit hin. Auch in der Taufe, wenn wir als Kinder Gottes in die Gemeinschaft derer aufgenommen werden, die sich zu Christus bekennen, dann zeigt sich Ewigkeit in unserer Zeit. Die Taufe wird Ausdruck eines fröhlichen Wechsels:  gleichsam eingetaucht in eine neue Wirklichkeit, kleidet die Ewigkeit unser Leben aus, gezeichnet mit dem Kreuz Jesu Christi, leben wir als Christen in der Zeit der Welt, doch auf Ewigkeit hin.

Darum können Christen nicht nur vom heute sprechen, sondern sprechen immer auch von der Ewigkeit: heute und in Ewigkeit, … denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit… Das sind die angemessenen Sprachformen, auf die sich Christen immer wieder einlassen. Auch wenn das Gebet zu ende ist, der Gottesdienst abgeschlossen, so bleiben wir auf eine andere Zeit verwiesen. Indem die Ewigkeit in die Gebete und Lieder eingetragen wird, leben wir in unserem Alltag zugleich in einer neuen Zeit, trotz dem Diktat der Uhren und der Wecker, die uns treiben.

Wenn wir uns in diesem Jahr an das Kriegsende erinnern, dann gedenken wir auch all der Biographien und Lebensgeschichten von Menschen, die in eindrücklicher Weise Widerstand geleistet haben. Der Blick auf die Ewigkeit verwandelt die Welt und das auch dann, wenn alles andere dagegen steht. Von Martin Niemöller wird erzählt, daß er als er mit 10 anderen im Gefängnis war, in einer Zelle, die eigentlich nur für sechs Personen platz hatte, daß sie die Nacht damit verbracht haben, abwechselnd sich die Betten zu teilen. Am Morgen dann, nach der Anstrengung der Nacht haben sie gemeinsam das Lied gesungen: Morgenglanz der Ewigkeit. Inmitten von Bedrängnis und Not wagen sie einen lebensnotwendigen Übergang:

„durch das Tränenfeld in das Land der süßen Wonne“, tauchen sie ein mit mattem Gewissen in den „süßen Trost der Ewigkeit“, in das „Licht vom unerschaffenen Lichte“, in die „Macht Gottes, die alle menschliche Nacht“ vertreibt.

Diese Erinnerung ist darum so wichtig, weil sie darauf hinweist, daß trotz allem was geschehen ist und an diesem neuen Tag geschehen wird, das eigene Leben auf etwas ganz anderes hin ausrichten ist: auf den Glanz der Ewigkeit, der die Wirklichkeit, sei sie noch so düster und verstellt, neu ausrichtet und an etwas festhalten läßt, das größer und mächtiger ist als alle Gewalten: In Ewigkeit, hier finden Menschen ihren Ort der Überwindung und der Hoffnung, hier finden sie Raum für ihr Leben, sei es noch so voller Bedrängnisse.

 

Ewigkeit ist Zeit, die uns den Hauch der Ewigkeit spüren läßt und damit auf Zukünftiges verweist. Ewigkeit ist damit nichts Utopisches, sondern greift auf unser Leben aus – Ewigkeit wird dann leiblich spürbar werden, wenn unser Leib verwandelt wird und unverweslich auferstehen wird: Von Christus her wissen wir, daß das Ende des Lebens nicht endet im Sterben, sondern unser Leben wird ‚erwachen zum ewigen Leben’. Von der Auferstehung Jesu Christi gewinnen unsere Zeiten eine neue Gestalt.

Es bleibt nicht die Erfahrung der Endlichkeit, deren Ende mit dem Tode beschlossen ist, sondern es werden dann neue Schöpfungsräume bereit sein, in die wir dann eintreten. Die in Christus aufgerichtete neue Zeit, verwandelt unsere Lebenszeit, weil  „der Tod verschlungen  ist vom Sieg“.

In menschlichen Kategorien läßt sich das nur so wahrnehmen, daß Zeit dann nicht mehr sein wird. Und so lesen wir dazu aus der Offenbarung des Johannes (10,6):

„Und der Engel schwor bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel geschaffen und was darin ist, und die Erde und was darin ist, und das Meer und was darin ist: Es soll hinfort keine Zeit mehr sein.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Ewigkeit.

Amen.

Webmaster: E-Mail
Letzte Änderung: 22.03.2016
zum Seitenanfang/up