Gervinus | Georg Friedrich Fallenstein

Fallenstein: Biographisches
Erinnerungen Hausraths
Max Weber
Veröffentlichung Fallensteins

G. F. Fallenstein: Biographisches aus den "Erinnerungsblättern" von G. G. Gervinus

1790 G. F. Fallenstein [Bildnis, aus der Bildergalerie Max Weber] am 2. September in Cleve geboren als Sohn desTheologen Fallenstein und dessen aus einer Hugenottenfamilie stammender Ehefrau.

1804 (1805?) Nach einem 1814 verfaßten Lebenslauf verließ Fallenstein im 15. Lebensjahre die Schule, um - "getrieben von dem Franzosenhasse" - als Freiwilliger in österreichische Dienste zu treten.

1805 Teilnehmer der Schlacht bei Austerlitz, Verwundung am Fuß.

1806 (?) 1807 "Ein unaufgehelltes Dunklel liegt über Fallensteins Universitätszeit. Weder wo, noch wann, noch was erstudierte, ist aus den hinterbliebenen Papieren mit Genauigkeit zu erkennen; zweifellos ist nur das, daß seine Studien regellos, fachlos und von den wissenschaftlichen, poitischen und geselligen Aufregungen der Jugend jener aufgeregten Jahre vielfach gestört wurden." - Als Studienorte werden Jena und Halle genannt.

1809 Universität Halle; wegen einer Schlägerei relegiert. - Berlin. Vorübergehende Wiedervereinigung mit Mutter und Geschwistern.

1810 Vermählung mit Elisabeth Benecke, Tochter des verstorbenen Mechanicus Benecke. - Erteilung von Privatunterricht zur Bestreitung des Lebensunterhalts.

1811 Geburt des ersten Sohnes, Adalbert Fallenstein. - Als Erzieher der jüngeren Söhne des Herrn v. Treskow in Owinsk bei Posen. - Rückkehr nach Berlin.

1812 Anstellung in Beeskow bei Frankfurt a. d. O. - Ärmliche Existenz. - Verschiedene Beiträge gegen Honorar für den "Freimüthigen" von Kuhn, Arbeit an einem Roman, Veröffentlichung einer kleinen Gedichtsammlung "Iduna".

1813 Am 3. Februar rief König Friedrich Wilhelm III. zur Bildung freiwilliger Jägerkorps zum Kampf gegen Napoleon auf. Fallenstein war einer der Allerersten, die unter die Waffen traten, und meldete sich als Freiwilliger im dritten Bataillon des Lützowschen Corps. Darüber hinaus rüstete er seinen Bruder Eduard für die Landwehr und einen weiteren jungen Mann zum freiwilligen Jäger aus. - Im Spätsommer Erkrankung und Tod der kleinen Tochter Laura.

1814 Gleich zu Beginn der Feldzüge, im März, Oberjäger im Lützowschen Corps. (Kriegsereignisse, im Feld entstandene Dichtungen, Freundschaft mit Theodor Körner: s. "Erinnerungsblätter", S. 24-35). - August 1814 Rückkehr nach Berlin. - Ergebnislose Bemühungen um eine Stelle.

1815 Bei Kriegsausbruch Eintritt in das 8. schlesische Infanterieregiment als Premierleutnant. - Mai: Anstellung als Calculator bei der Regierung in Potsdam; die Ehefrau bezieht während des Krieges die Hälfte seines dortigen Gehalts. - 24. August Einzug in Paris, 29. August Polizeikommandant des siebten Arondissements. - Ende November zurück in Berlin, Antritt der Potsdamer Stelle.

1816 März: Versetzung nach Düsseldorf als Sekretär der neuerrichteten Regierung; Übersiedlung mit seiner Familie und der Mutter. - Während der fünfzehnjährigen Dienstzeit in Düsseldorf Auswanderungspläne, mit dem Ziel Mexiko. - Die Familie wächst; fünf Kinder (Adalbert, Roderich, Otto, Friedrich und Laura).

1831 Ende Januar Tod der Ehefrau. - Fallensteins frühverwitwete Schwester übernimmt die Erziehung und Pflege der Kinder.

1832 Am 9. Juni Versetzung als Regierungsrat nach Koblenz.

1835 2. Vermählung, mit Emilie Souchay, [der Tochter eines wohlhabenden Frankfurter Kaufmanns; Bildnis, aus der Bildergalerie Max Weber]. "Er kam durch diese Verbindung in den Kreis einer zahlreichen, ehrenhaften Familie, deren Gesammtheit anzugehören er eben so hoch anschlug, als er die einzelnen Glieder derselben in verdienten Ehren hielt. Er bekam durch diese Verbindung zugleich die Mittel einer erleichterten Subsistenz, zugleich die Aussicht, seine Familie im weitesten Sinne künftig gegen eine Noth, wie sie ihn so lange gedrückt hatte, gesichert zu wissen."
"Wenn sorgenfreies Leben so oft das eigentliche Glück genannt wire, so schien Fallenstein für dieses Glück nicht geschaffen zu sein. Es traf sich leider so, daß seit eben den Jahren, wo er unbesorgter in die Zukunft hätte blicken können, seine Stimmung trüber, seine Gesundheit gestörter wurde und Unfälle einer neuen Ordnung ihn betrafen." [Erinnerungsblätter, S. 61, 63]

1844 Fallenstein bittet um Entlassung aus dem Amt, läßt sich aber dazu bewegen, stattdessen zunächst einen einjährigen Urlaub zu nehmen. - Aufenthalt in Weimar.

1845 Die erneute Bitte um Entlassung (12. Mai) wird genehmigt. - Niederlassung in der Nähe von Heidelberg. - "Fallenstein war in Heidelberg (1845) mitten in den historischen Kreis hineingerathen, der sich dort um Schlosser gebildet hatte; er war mit Schlosser selbst und mit Häußer bekannt, Gervinus wohnte später bei ihm unter Einem Dache, [Georg] Weber war mit ihm verwandt." In diesem Kreise bildete er anfangs einen seltsamen Gegensatz. Die Gewähnung an eine stereotype Art nicht sowohl preußischer, als preußisch-bureaukratischer Betrachtung aller politischen Dinge hatte zwar nicht seine ursprünglich klare und einfache politische Ansicht oder freie Gesinnung berührt, aber sie doch mit einer Menge kleiner Vorurtheile umkleidet. Daßman nun hier viel an Preußen zu tadeln fand und vollends an den neuesten Vorgängen, machte ihn nicht der Sache nach betroffen, denn er tadelte selbst wohl, aber der Freiheit und Sicherheit des Tones nach, den er zu Hause nicht gewöhnt war. Daß man aber Preußen darum hier stärker und offener tadelte, weil man von Preußen hier mehr verlangte und erwartete als in Preußen selbst, dieß ergriff ihn mit einem befremdeten aber frohen Erstaunen, riß ihm sehr rasch die Schuppen von den Augen und setzte ihn aus der dicken Luft, die er geathmet, schnell in die leichtere Atmosphäre seiner Jugendjahre zurück." [Erinnerungsblätter, S. 74 f.]

1846 "Wie die Dinge in Preußen sich in den Jahren 1846-1847 immer mehr verwirrten und verwickelten, die Aufregung wuchs und nirgens die Männer sich zeigten unter den Steuerern, die im Stande waren zu helfen und die Verhältnisse in großartiger Weise zu überschauen, wurde Fallenstein's Abscheidung [von den Berliner Freunden] greller und greller." [Erinnerungsblätter, S. 76]. - Entwicklung der Freundschaft mit Gervinus; vgl. Verteidigungsschrift

1847 Tod der Mutter [gestorben im Alter von 80 Jahren in Handschuhsheim bei Heidelberg]

1850-1853 Engagierter Einsatz für die Schleswig-Holsteinische Sache; so ist es z. B. wesentlich ihm zu verdanken, daß 1850 aus Heidelberg - ungerechnet die Lieferungen für Lazarettbedarf - eine Summe von gegen 8000 Gulden als Spende zusammengebracht wurde.
Neben der politischen Tätigkeit widmete sich Fallenstein in seinen letzten Jahren verstärkt dem Studium der Literatur, wobei vor allem das deutsche Sprichwort Gegenstand besonderer Forschungen wurde. Jacob Grimm nennt ihn in der Vorrede seines Wörterbuchs als einen seiner fleißigsten Mitarbeiter.

"Er hatte in dem Neckarthale, dem alten Schlosse Heidelbergs gegenüber, ein stattliches Wohnhaus gebaut, und er bestimmte es, wie er oft sagte, zu einem Wittwensitze der 'kleinen Frau', und das Schicksal hat ihn beim Wort genommen. Ganz zuletzt hatte er noch ein kleines Grundstück zu einem Garten zugekauft, hatte neue Brunnenleitungen und Anlagen gemacht, und er äußerte mit Wohlgefallen bei der vorrückenden Arbeit: Nun noch dieß und das, dann bin ich fertig. (Weitere Hinweise zum Fallensteinschen Haus und seinen Bewohnern s. Geschichte Heidelbergs im Internet. ( Gervinus als Mieter; sein Zimmer)
Noch war der kleine Rückstand der häuslichen Verschönerung nicht ganz zu Ende gebracht und der thatkräftige Mann sank mitten in seiner letzten Aufgabe ins Grab." [Erinnerungsblätter, S. 85; es folgt die Krankengeschichte, bis S. 86.]

1853 Drei Tage nach Weihnachten zum wiederholten Male ein Schlaganfall, "der nach kurzem Leiden seinem Leben am letzten Tage des Jahres 1853, Morgens 4 Uhr, das Ziel setzte."

Aus den Erinnerungen Adolf Hausraths

Adolf Hausrath: Zur Erinnerung an Julius Jolly. Leipzig 1899. (Alte Bekannte. Gedächtnisblätter von Adolf Hausrath. 1.), 14 ff.

Die Revolutionsjahre 1848 und 1849. "Der Kreis, in den Julius Jolly als angehender Docent in Heidelberg eintrat, war naturgemäß der seines älteren Bruders [= Philipp Jolly]. Geistiges Haupt desselben war Gervinus, der in dem Hause des emeritierten preußischen Geheimrats Fallenstein, dem Heidelberger Schlosse gegenüber, neben Scheffels 'Waldhorn ob der Bruck' lebte, das mit seiner gastfreien Sitte für die gemäßigten Liberalen, oder, wie man sie später taufte, für die Gothaer einen geselligen Mittelpunkt abgab. Der Lützower Jäger Friedrich Fallenstein, auf dessen hoher Stirn die Franzosensäbel deutliche Spuren hinterlassen hatten, und der in Körners [= Theodor Körner] Briefen als werter Zeitgenosse mit Sympathie erwähnt wird, hatte sich trotz mangelden Examens in einer harten Beamtenlaufbahn bis zum Mitglied des Finanzministeriums emporgearbeitet. Als Sekretär des Regierungspräsidenten Pestel in Düsseldorf hatte er sich um die heranblühende Malerschule (s. Grove Art Online: Düssledorf school. Düsseldorfer Malerschule), durch Kaulbach, Lessing, W. Schirmer und viele jüngere Talente dankbar anerkannte Verdienste erworben. Dann war er Regierungsrat in der Regierung zu Coblenz geworden und schließlich trat er 1842 durch Bodelschwinghs Vermittlung als vortragender Rat in das Finanzministerium zu Berlin ein. Aber er vertrug sich mit Kühne nicht und ging schon 1845 mit fünfundfünfzig Jahren in Ruhestand. Erst in Handschuchsheim, dann in Neuenheim, dem Heidelberger Schloß gegenüber, siedelte er sich an und wurde hier in das Leben der süddeutschen Liberalen mit hineingezogen. In engem Verkehr mit Gervinus erlitt seine bis dahin mehr konservative politische Anschauung eine liberale Umfärbung. 'Er kehrte unter uns,' sagt Gervinus von ihm [Anm. Hausrath: Georg Friedrich Fallenstein, Erinnerungsblätter für Verwandte und Freunde, 1854] , 'aus der dicken Luft, die er in Berlin athmen mußte, schnell in die leichtere Atmosphäre seiner Jugendjahre zurück'. Fallenstein hörte bei [Ludwig] Häusser und Gervinus Vorlesungen und war bald mitten in den historischen Kreis hineingeraten, der sich um [Friedrich Christoph] Schlosser gebildet hatte. Schlosser und Häusser verkehrten in seinem Hause, G[eorg] Weber war mit ihm verwandt, Gervinus lebte als Mieter unter seinem Dache. Der frühere Freund des Pietisten Eilers nahm Gervinus' Schrift über die Mission der Deutschkatholiken mit großem Beifall auf, das Patent Friedrich Wilhelms IV. von 1849 verwarf er jetzt als Pseudoverfassung und nannte in einem Briefe an Eilers es eine "Hundeschwänzelei", wie die Beamten sich demselben unterwürfen. Er habe, schrieb er, zu Breslau den 3. Februar 1813 erlebt, da Scharnhorst vor dem König an den Degen schlug, und ihn beschwor, sein Haupt zu Füßen legend, zwischen ihm und Knesebeck die unvermeidliche Wahl zu treffen. Aber wo sei heute, solcher Mannessinn in Preußen zu finden? Da flößten ihm seine neuen Heidelberger Freunde denn doch einen anderen Respekt ein. Gervinus, der damals gerade seine 'Deutsche Zeitung' begründete, in der Ludwig Häusser als Mitredakteur sich seine ersten journalistischen Sporen verdiente, legte Wert darauf, Fallenstein im Verwaltungsrate zu haben, was für den preußischen Geheimrat nicht ganz leicht war. Mit seinen alten Freunden Eichhorn und Bodelschwingh geriet er darüber in gereizte briefliche Auseinandersetzungen, aber er ließ sich dadurch von seiner Mitwrkung bei diesem 'schlechtesten und radikalsten Blatte' nicht abhalten.
In diesen Kreis war nun auch der junge Doktor Jolly geraten, für den der alte Geheimrat, noch ehe Jolly sein Schwiegersohn wurde, eine besondere Sympathie und väterliche Zuneigung empfand.
Beide hatten das gemein, daß ihnen bei völlig liberalen Zielen doch die Zuchtlosigkeit der pfälzischen Agitatoren im innersten zuwider war. 'Seinem geordneten, gesetzlichen, gewissenhaften Sinne', sagt Gervinus von Fallenstein, 'war nichts mehr verhaßt als das Kneipenleben im Süden, das verwahrloste Hauswesen, die verderbten Gewerbezustände, die zerrütteten Gemeinden, die Herrschaft von Intriganten und Ignoranten in den höchsten Angelegenheiten der Volkserziehung, die brutale Beamtenwirtschaft, die systematische ständische Opposition, was ihn zum Teil in nächster Nähe berührte'."

1849 Aufruhr in Heidelberg, beginnend in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai. Nach Steinwürfen, die gegen Gervinus' Fenster gerichtet waren und stattdessen ein Stockwerk tiefer die Betten der Fallensteinschen Kinder trafen, trat Fallenstein mit dem Gewehr vor seine Thüre und drohte jeden niederzuschießen, der noch einen Stein werfe. - Fallenstein und Gervinus verließen daraufhin die Stadt. [Hausrath, a.a.O., 31 f.] - Gervinus ist im Heidelberger Adreßbuch von 1850 bis 1860/61 als Mieter im Fallensteinschen Hause nachgewiesen; vgl. Gervinus (Fallensteinsches Haus)

[Hausrath, a.a.O., 33 f.] In Auerbach - noch hessisch, aber hart an der badischen Grenze gelegen - fand sich eine ganze"Kolonie" geflüchteter Universitätsangehöriger und höherer Beamter ein: Julius Jolly traf dort "die Fallensteinsche Familie, die er suchte, außerdem Roggenbach und Gervinus, der aber bald wieder nach Frankfurt ging. Bald erschien auch Lamey, der damals beim Hofgerichte in Mannheim Assessor war, wo sich Jolly zuerst mit ihm befreundet hatte. Ihm folgte Jollys Freund von Preen, als Amtsverweser in Heidelberg überflüssig geworden, mit seinem Praktikanten, dem dreiundzwanzigjährigen Victor Josef Scheffel. Scheffel, der kurz zuvor [...] seinen juristischen Doctor summa cum laaude gemacht hatte, war wie Jolly der Konskription aus dem Wege gegangen. Da er in Preen einen 'sehr fidelen und freundlichen Amtsvorstand' hatte, war er ihm zur Gesellschaft nach Hessen geflohen. 'Ich blieb im Odenwald', schrieb er an seinen Freund Schwanitz, 'viel zeichnend und mit der Flüchtlingskolonie zu Auerbach, worunter auch Häusser, viel trinkend, bis der fünfte Akt der Geschichte, nämlich die Reichstruppen und die Preußen in langen Heereszügen anrückten.' [...] Jolly aber ging ganz in der Fallenstein'schen Familie auf und er hat die Tage von Auerbach stets als das Idyll seiner Jugend und als die poetische Erinnerung seines Lebens betrachtet."

Schröder, a.a.O., 303 ff. (Abschrift ohne Anmerkungen):
Fallenstein und Gervinus langten zusammen mit Häusser am 14. Mai in Auerbach an. [Julius] Jolly, den die Freiheitsmänner, wie viele der ihnen Verdächtigen, erst recht auf die Rekrutierungslisten der Bürgerwehren gesetzt hatten, entkam nach Mannheim und von dort auf einem holländischen (!) Dampfer nach Mainz. Hier erfuhr er um den 16., daß die Auerbacher "Krone" ein "Alt-Holland" im Exil geworden war. Was ihn desto schneller an die Bergstraße brachte, war die erhoffte Nähe der Elisabeth Fallenstein, der ältesten Tochter. Scheffel entging ebenfalls der Konskription und fuhr am 13. nach Frankfurt zu Welcker und den Esmarchs. Bald erhielt er die Nachricht, daß sein Amtsvorstand Preen, der in der Republik nicht mehr benötigt wurde, in Auerbach sich aufhalte. Am 16. traf er dort ein; auch Roggenbach war inzwischen angekommen, Gervinus reiste bald nach Frankfurt weiter. Schließlich vervollständigten die Partie Lamey, der Assessor am Hofgericht zu Mannheim gewesen war, und aus dem "Engern" der Heidelberger Verlagsbuchhändler Julius Groos (1822-1875) und insbesondere Christof Schmezer (1800-1882), der nächste, obschon viel ältere Freund und Geistesverwandte Scheffels. Über dreißig Jahre Pfarrer in Ziegelhausen, galt er als unübertreffliches Original. Conrad Ferdinand Meyers Novelle "Der Schuß von der Kanzel" bezieht sich auf eine Episode seines Wirkens; eine Anzahl von Scheffels Liedern spielen auf ihn und "Tiefschluckhausen" an. Er selbst hat mehrere Gedichte seines Freundes vertont.

Die Heidelberger und Mannheimer blieben keineswegs allein in der "Krone", vielmehr war das Haus mit Flüchtlingen und Reisenden überfüllt. Dazu hatte man die Bendersche Knabenerziehungsanstalt aus Weinheim nach dort ausgelagert. Scheffel berichtet in Briefen an seine Eltern von der "ganzen Heidelberger Gesellschaft der Paulskirche". Seinem Freund Schwanitz beschreibt er, wie in "fideler" Gesellschaft, "viel zeichnend, viel trinkend" (besonders "Maiwein"!) er die Gegend durchstreifte, "die schönsten Punkte des Odenwaldes...in der Nähe". Wie von einer Galerie aus ließ sich das Geschehen an der Grenze und jenseits in Baden verfolgen, und "leider ist alle Freude aus, sobald man die Gedanken auf diesen Punkt richtet". Die blutigen Ereignisse von Ober-Laudenbach am 24. Mai mit dem Tod des hessischen Regierungskommissärs Prinz und von dreizehn Aufständischen waren eine kurze Strecke an der Bergstraße entfernt, mehr als hundert von den hessischen Soldaten gefangengenommene Freischärler wurden zunächst in den Keller im "Halben Mond" zu Heppenheim gesperrt. In den oberen Geschossen befand sich kurzzeitig das Hauptquartier der Interventionstruppen; zwischen Heppenheim und Hemsbach fanden am 30. Mai erste Gefechte mit regulären badischen Kräften statt. Von dorther und vom Rhein hörte man den Geschützdonner bis nach Auerbach. Drei Wochen später war der Weg nach Heidelberg und Mannheim frei, die Niederlage der badischen Revolution besiegelt.

Die Besonderheit der Auerbacher Tage liegt in deren merkwürdigem Charakter als Klausur von einem Dutzend recht unterschiedlicher Freunde des "Engern", hier aber insbesondere im Zusammentreffen von gleichgesinnten jüngeren Intellektuellen, deren weiterer politischer Weg durch dieses Erlebnis mitbestimmt wurde: Preen, Lamey, Roggenbach und an erster Stelle Jolly. Die bald einsetzende Verklärung des Abenteuers und die Einheirat von Julius Jolly in die Fallensteinsche Familie trugen zum Zusammeengehörigkeitsgefühl ebenso bei wie die rasch sich erneut einstellenden Verdächtigungen und Behinderungen, die der gerade restaurierte Staaat wiederum gegen die Liberalen um Gervinus und Fallenstein richtete. [...] Georg Gervinus brachte der Vorabdruck der "Einleitung" zu seiner "Geschichte des 19. Jahrhunderts" 1853 die erstinstanzliche Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe wegen Staatsgefährdung. Er hatte in rückblickend kam überzeugender Weise eine historische Epochenlehre entwickelt und das Eintreten fortschreitender Revolutionen prognostiziert. Die Juristen des "Engern", Jolly voran, erreichten schließlich eine Revision. Der junge, in Baden noch wenig bekannte Braunschweiger Historiker und Zeitungsredakteur Hermann Baumgarten (1825-1893), den Gervinus als Assistenten verpflichtet hatte, betrieb eine entsprechende Pressearbeit und brachte noch 1853 eine anonyme Würdigung der Arbeit Gervinus' in Leipzig heraus. Baumgarten verlobte sich kurz darauf mit der zwölf Jahre jüngeren Ida Luise Fallenstein, der ältesten Tochter aus zweiter Ehe, und wurde so nach der Heirat 1855 zum Schwager von Julius Jolly; auch bereitete er dessen erste Biographie vor, die der Sohn Ludwig von Jolly nach dem Tode des Vaters 1897 veröffentlichte.

Julius Jolly hatte im Dezember 1852 die von ihm lange schon verehrte Elisabeth Fallenstein geehelicht und mit ihr eine Wohnung am Brückentor in der Nachbarschaft des "Holländer Hofes" mit Blick auf das elterliche Haus am anderen Neckarufer eingerichtet. Dort quartierte sich Baumgarten in der Gervinusschen Etage ein, als dieser in die "Anlage" verzog. Fallenstein war übrigens von Auerbach aus nicht sogleich nach Heidelberg zurückgekehrt, sondern hatte sich über Mannheim und Frankfurt mit der ganzen Familie zunächst auf eine längere Englandreise begeben. Dort war die Verwandtschaft seines Schwiegervaters Carl Souchay begütert.

Den ersten Jahrestag des Auerbacher Exils feierte die Gesellschaft des "Engern" im Fallensteinschen Hause mit der wieder zurückgekehrten Familie. Scheffel, der den Freunden lebenslang verbunden blieb, schickte von Säckingen aus eine Bierliste "in frummem Gedachtnuß":... der ganzen ehrenwerten Gesellschaft derer Flüchtlinge vom vorigen Jahr zu Auerbach ein Gantzer cum Salamandro..." und übrigens "insbesondere uffs Wohlergehen der tugendsamen und minnigen Jungkfrawen von Fallensteyn jeglicher einen Hochachtungsschluck".

[Hausrath, a.a.O., 34 ff.] Am 30. Mai erlitten die Aufständischen ihre erste Niederlage, am 15. Juni entspann sich der Kampf um die Neckarlinie, am Abend desselben Tages wurde das preußische Hauptquartier nach Weinheim verlegt. Auf dem linken Rheinufer waren die Preußen bis nach Ludwigshaafen vorgerückt und trieben die Aufständischen über die Rheinbrücke nach Mannheim. Nach der Niederlage der Badener bei Leutershausen und Großsachsen am 16. Juni war der Weg nach Mannheim frei "und die Emigranten beeilten sich, ihn zu benutzen. Es machte Jolly einen tiefen Eindruck, wie der alte Fallenstein beim Einzug der preußischen Heereskolonne in Mannheim das Haupt vor den Fahnen entblößte, unter denen er 1813 und 1814 gefochten hatte. Ihm verdanke er es, schrieb er später seinem Sohne, daß ihm der Segen deutlich wurde, den die Zugehörigkeit zu einem großen Staat fü jeden einzelnen einschließe.
Sofort nach Heidelberg zurückzukehren, trug Fallenstein keine Sehnsucht. Er nahm mit seiner Familie einen längeren Aufenthalt in England bei den Verwandten seiner Frau."

[Hausrath, a.a.O., 39; aus der Reaktionszeit, 1850-1860] Als die Familie Fallenstein aus England zurückkehrte, wurde ihr Haus ein Mittelpunkt der ehemaligen Auerbacher Kolonie.

- Literaturhinweis: Bernd Philipp Schröder: Die badischen Flüchtlinge in Auerbach 1849. In: Geschichtsblätter Kreis Bergstraße 25 (1992), 295-308.

Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild. Neue Ausg. Heidelberg 1950

Marianne Weber berichtet in der Biographie ihres Mannes zunächst über dessen Vorfahren, wobei sie die weitgehend der Erinnerungsschrift von Gervinus entnommene Darstellung seines Großvaters Georg Friedrich Fallenstein durch Auszüge aus den Briefen des Ehepaares Fallenstein/Souchay und Erinnerungen der Nachkommen bereichert . Einen sehr persönlichen Eindruck beider Charaktere gewinnt man z. B. bei der Lektüre seines Werbungsschreibens an Emilie Souchay (1835) und ihrer Antwort darauf (S. 10-13). - Nachfolgend die Abschnitte über Fallensteins letzte Lebensjahre, beginnend mit der Übersiedlung nach Heidelberg (S. 13-17):

"Er übersiedelte nach Heidelberg und baute sich im Jahre 1847 am Neckar, gegenüber dem Schloß, ein schlicht vornehmes weiträumiges Haus. Den großen, bis zum Philosophenweg ansteigenden Berggarten legte er selbst an und schuf durch Haus und Garten, dessen sprudelnde Quelle sich mit dem Rauschen des Neckars mischt, eine Insel der Schönheit, Kindern und Enkeln zur geliebten Heimat, Unzähligen zur Freude. - Im übrigen hielt er an der stoischen Einfachheit und Naturwüchsigkeit seiner Lebensführung fest und verlangte sie auch von den Seinigen: Frühaufstehen, kaltes Wasser, Abhärtung jeder Art, äußerste Willensanspannung, Selbstbeherrschung - lauter Grundsätze, die auch seine Tochter Helene [Max Webers Mutter, aus der Bildergalerie Max Weber], obwohl ihr zarter Organismus als Kind darunter litt, für die eigene Lebensführung und Erziehung ihrer Kinder übernahm. Er blieb rastlos tätig, von den öffentlichen Dingen interessierte ihn besonders die Förderung des konfessionellen Friedens und ferner die Erhaltung der napoleonischen Gesetze für die Rheinlande. Sein Haß auf Napoleon hinderte ihn nicht, dessen Institutionen den damaligen preußischen vorzuziehen. - Vor allem war er überzeugt, daß ihre gewaltsame Beseitigung die Rheinlande Preußen entfremen werde. - Neben dem politischen erfüllte ihn auch gemeinnütziges Wirken aller Art, so organisierte er z. B. mit Hilfe der Familie Souchay in Schönau, einem der hungernden Dörfer des Odenwaldes, eine geregelte Unterstützung der Kleinbauern durch Geld- und Viehleihe. Auch seine schriftstellerische Arbeit nahm erwieder auf, sammelte deutsche Sprichwörter und war fleißiger Mitarbeiter am Grimmschen Wörterbuch. Er gesellte sich in Heidelberg dem 'Historischen Kreise' zu, der sich um Schlosser und Häusser gebildet hatte und befreundete sich mit Gervinus, der unter sein Dach zog. Er hielt in echter Beamtentreue an seinem Vaterlande Preußen fest, aber als während der 48er Jahre der Monarchenkult ganz von ihm abfiel, begann er Deutschland mehr als Preußen zu lieben und kehrte in der linden Luft des Südens zu den freiheitlichen Idealen seiner Jugend zurück.

Trotz erschütterter Gesundheit wirkkte Fallenstein noch wie ein Hüne an Kraft, als seinem Leben ein Ziel gesetzt wurde. Er starb 63jährig, wie er sich's immer gewünscht hatte: 'jung', d. h. vor dem Altersverfall, und blieb seinen jungen Töchtern aus zweiter Ehe in 'traumhaft schöner Erinnerung', als der Vater, 'dessen warme Hände wir noch in den unsrigen fühlten und dessen weiches Herz Kinderfragen und Kinderlust gegenüber immer wach gewesen war'.

Er lebte im Gedächtnis derer, die ihn gekannt hatten als ein Mann, ausgestattet mit einer Überfülle an leiblicher und sittlicher Kraft, hart geworden in der Schule des Lebens, leidenschaftlich erregbar, stark im Lieben wie im Hassen, aber zugleich voll Herzenssgüte und Ritterlichkeit gegen die Schwachen. Maßvolle Ausgeglichenheit war ihm versagt, er war oft unbequem und im Alltag lastend, aber im Beruf meisterte hingebungsvolle Selbstentäußerung sogar seine Heftigkeit. Gervinus urteilt: 'Wegen des Stärkemaßes grenzte bei ihm alles leicht an das Übermaß, der Affekt des Augenblicks sowohl wie der stehende überdachte Grundsatz.' Diese Worte passen auch auf den Enkel. - Die Seinen schrieben auf sein Grabmal: 'Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.'

*

Wie aber ist es der zarten Emilie Souchay an seiner Seite ergangen? Nach einem Brief, den sie lange nach dem Tode ihres Gatten an eine Freundin schrieb, war ihr das Glück völligen seelischen Zusammenklangs und übersinnlicher Gemeinschaft versagt. [...] Emiliens stete Unzulänglichkeitsempfindungen und andererseits ihr frommes Sichfügen in die ihr selbst und anderen von der Natur gesetzten Schranken machten ihn ungeduldig [...]. Und obschon er selbst am überlieferten Glauben verankert war, blieb ihm die Tiefe ihres religiösen Lebens unzugänglich. [...] So zog Emilie nach seinem Tode die Summe ihres ehelichen Schicksals in folgenden Zeilen:

'Der schwerste Kampf meines Lebens liegt (so wenigstens glaube ich) hinter mir. Es war die Unmöglichkeit, mich meinem seligen Manne verständlich zu machen, so wie ich wirklich bin. Seine große Überschätzung einerseits, die ihm dann aber wieder als eine Art Widersetzlichkeit das erscheinen ließ, was in meiner individuellen Organisation begründet ist und mir unmöglich machte, im Leben das Ideal zu erreichen, das ich im Herzen trug - hierfür war ihm alles Verständnis verschlossen, und mein Schmerz darüber erschien ihm als Schwäche - und daß er das nicht verstehen konnte und sich gar nicht denken konnte, daß man bei aller Trauer über die eigene Unvollkommenheit deshalb doch die Hoffnung festhalte könne und daß es möglich sei, sich in die Grenzen seiner Natur zu ergeben und dennoch innerhalb derselben nach Erreichung dessen zu streben, was Gott gerade uns aufgetragen, in der Zuversicht, daß Er uns zum Ziele führen würde [...] Zwar das fühlte ich immer, daß er viel wärmer sei als Gervinus und daher auch weitblickender, und er war ja z. B. auch ganz damit einverstanden, daß ich zur Kirche ging und ließ sich gern den Inhalt der Predigt erzählen, ohne mich, wie G. seine Frau, dann mit kaltem Wasser zu übergießen. - Aber einen Austausch der Gedanken darüber mit mir zu haben war ihm nicht wichtig, und mir war eben das reine Christentum mein Lebenselement, nach dessen Ergründung all mein Sehnen ging. - Wohin bin ich geraten? Ich wollte nur mir klar machen, was mich Jahre lang mehr als ich es jetzt begreife, sehr unglücklich gemacht hat, ohne daß ich deshalb weder mir noch Fallenstein es zum Vorwurf machen konnte. Es war nur eben - und ist mir noch - , als müßte man seinem Mann so recht nahe stehen in allen Dingen, wenn die Ehe eine gesegnete sein soll.'"

Veröffentlichung Fallensteins

Zur Vertheidigung des Professor G. G. Gervinus wider die gegen ihn erhobene Anklage. Mitgetheilt von Fr. Fallenstein, Königl. preuß. Geheimer Finanz-Rath a. D. Frankfurt a. M.: Brönner 1853. [UB Heidelberg Signatur: F 6769-3 A) [Autor ist Julius Jolly]
In seinem Vorwort, datiert Neuenheim, am 9. Februar 1853, schreibt Fallenstein: "Als meines Freundes neueste Schrift: 'Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts' Gegenstand einer gerichtlichen Anklage gegen ihn ward, forderte ich zu vorliegendem Gebrauche von einem, keiner Parthei angehörigen, ruhigen Juristen ein Gutachten über diese Anklage. Bei der Mittheilung ist eine Vertheidgung daraus geworden, deren juristische Ausführung sich selbst vertritt.
Für jene Schrift habe ich sonst nur ein Wort. Eine Stelle, welche die Herausgeber von Shakespeare in der Vorrede über die Werke dieses Lieblings meines Freundes geschrieben haben, mögte ich, mit Veränderung eines einzigen Wortes, auf Gervinus selbst und seine Schrift anwenden:
'Les't ihn, und wieder und wieder; und wenn ihr ihn dann nicht schuldlos findet, so seid ihr in einer augenscheinlichen Gefahr - ihn nicht zu verstehen.'"

Als Gervinus im Jahr nach Erscheinen der "Vertheidigung" seine "Erinnerungs-Blätter" zum Gedächtnis des am 31. Dezember 1853 verstorbenen Freundes verfaßte , widmete er jener Schrift und Fallensteins Haltung während es Prozesses dankbare Worte (Georg Friedrich Fallenstein. Erinnerungs-Blätter, 83): "Als der Prozeß gegen Gervinus geführt wurde, wegen des Buches, das auf Andringen jener Freunde veröffentlicht worden war, unter denen Fallenstein obenan stand, erschien er als Herausgeber einer vortrefflichen Schrift zu seiner Vertheidigung; zweimal hielt er es für Freundespflicht, den Angeklagten vor die Schranken zu begleiten, und er zürnte laut über die Lauen, die das versäumten. Denn für die Person, wie für die Arbeiten dieses Angeklagten hatte Fallenstein alle die Jahre seines Aufenthaltes in Heidelberg eine rührende Theilnahme bewiesen. Eine Spätfreundschaft, wie sie ungemein selten ist, hatte sich unter Beiden begründet, die dem Ueberlebenden so unvergeßlich sein wird, wie sie ihm unter dem Zusammenleben unschätzbar war, das Beide gegen sechs Jahre in Einem Hause vereinigte."

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Letzte Änderung: 28.09.2010