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Vortrag: Trude Levi über ihren Überlebenskampf

Vor Studierenden des Internationalen Studienzentrums der Universität Heidelberg berichtete Dr. Trude Levi über das schicksalsschwerste Jahr ihres Lebens: ihre Deportation nach Auschwitz und wie sie der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten entkam.

Frau Levi ist eine zarte Person. Fragil geradezu wirkt sie auf den ersten Blick. Die heute 83-Jährige sitzt, vom Alter leicht gebeugt, am Pult des Klausurraums im Studienkolleg, und erzählt ihre ganz eigene Geschichte, die zugleich die Geschichte unzähliger Menschen ist, die dem Naziterror zum Opfer fielen. Frau Levi benutzt kein Mikrofon, spricht auch nicht laut – dennoch verstehen selbst die Zuhörer, die ganz hinten sitzen, jedes Wort. Hochkonzentriert, fast andächtig lauscht die hier versammelte internationale Studentenschar der alten Dame, und es ist bemerkenswert, wie sachlich und distanziert Frau Levi über ihren Weg durch die Hölle zu berichten vermag. Wohl gerade deshalb ist ihre Geschichte so ergreifend.

Trude Levis Leidensweg begann im März 1944, als die deutsche Wehrmacht in ihr Heimatland Ungarn einfiel. Als Jüdin war Trude Levi in Ungarn schon länger Diskriminierungen ausgesetzt, doch jetzt musste sie um ihr Leben fürchten. Zusammen mit ihrer Mutter – ihr Vater war bereits von der SS verschleppt worden – wurde die damals 19-jährige Kindergärtnerin im April 1944 in ihrer Heimatstadt Szombathely verhaftet und schließlich Ende Juni unter entsetzlichen Bedingungen nach Auschwitz deportiert.

Dr. Trude Levi

Fünf Tage und Nächte dauerte die Fahrt in einem Viehwaggon, zusammengepfercht mit 120 Menschen. Die Gefangenen kamen vor Hunger und Durst fast um, lagen in ihren Exkrementen. "Einige fingen an zu schreien, einige wurden buchstäblich verrückt, einige erlitten einen Herzinfarkt und starben", berichtet Levi. Als sie Anfang Juli 1944 in Auschwitz ankamen, war Trude Levis Mutter so entkräftet, dass sie sofort vergast wurde. Trude durfte weiterleben. Obwohl auch ihre Kräfte durch die ständige Drangsal schwanden, wurde sie für gesund genug befunden, um Zwangsarbeit zu verrichten. Anfang August 1944 wurde sie in ein Außenlager des KZ Buchenwald, nach Hessisch-Lichtenau gebracht, wo sie in einer Munitionsfabrik arbeiten musste. Trude Levi erzählt vom Hunger, der Enge und der Kälte in den Lagerhallen, von der Willkür der Aufseher und von den vielen Zufällen, die ihr das Leben gerettet haben.

Als die Deutschen im März 1945 das Lager Hessisch-Lichtenau überstürzt aufgaben, um den vorrückenden alliierten Streitkräften nicht in die Hände zu fallen, begann für Trude Levi der Todesmarsch. Zusammen mit den anderen Häftlingen des Lagers wurde sie zunächst nach Leipzig gebracht. Von dort aus wurden die Gefangenen Richtung Elbe getrieben. Nur einmal bekamen sie etwas zu essen: rohes Pferdefleisch und ungekochten Reis. Wer sich nicht auf den Beinen halten konnte, wurde sofort erschossen. "Ich konnte kaum noch einen Schritt tun", erzählt Levi. "Die Sonne ging auf, als wir die Elbbrücke überquerten, und ich sah einen der schönsten Sonnenaufgänge meines Lebens. Ich schleppte mich über die Brücke, dann brach ich zusammen. Ich wusste, das war mein Ende, sie würden mich jetzt erschießen. Ein Soldat schrie mich an, ich solle aufstehen. Doch ich konnte nicht, und er legte sein Gewehr auf mich an. Ein zweiter Soldat hielt ihn ab und sagte: ‚Lass sie, sie ist die Kugel nicht wert‘, und sie ließen mich da liegen." Das geschah am 23. April 1945, ihrem 21. Geburtstag.

Die Geschichte eines Einzelnen, davon ist Trude Levi überzeugt, kann mehr zur Aufklärung beitragen als Opferstatistiken des Holocaust.

Trude Levi lebt heute in London, wo sie in der "Wiener Library", der weltweit ältesten Holocaust-Forschungseinrichtung, arbeitete. Seit ihrer Pensionierung verwendet sie viel Zeit, um zu jungen Menschen in Schulen und Universitäten in ganz Europa zu sprechen. Als Zeitzeugin fühlt sie sich dazu verpflichtet. Die Geschichte eines Einzelnen, davon ist sie überzeugt, kann mehr zur Aufklärung beitragen als Opferstatistiken des Holocaust.

Nach ihrem Heidelberger Vortrag suchen viele der Studierenden das persönliche Gespräch mit Frau Levi. Fast eine Stunde nach dem Ende der eigentlichen Veranstaltung scharen sich noch immer junge Menschen um ihren Tisch, reden mit ihr, lassen sich Bücher signieren. Die liebevolle Atmosphäre dieser Gespräche ist deutlich fühlbar. "Sie ist eine so starke und warmherzige Frau", meint die am Studienkolleg studierende Türkin Ayse. "Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr noch viele gesunde Jahre wünsche, damit sie noch vielen Menschen von ihren Erlebnissen erzählen kann, damit das nicht in Vergessenheit gerät. Denn wenn wir vergessen, kann sich so etwas ganz schnell wiederholen."

Das Internationale Studienzentrum, zu dem das Studienkolleg gehört, ist für viele ausländische Studierende der Ruperto Carola die erste Anlaufstelle. Mehr als 600 Studierende aus 90 Ländern werden hier in propädeutischen und studienbegleitenden Kursen auf ihr Fachstudium vorbereitet und erfahren dabei von Anfang an, dass die Universität Heidelberg mehr ist als eine exzellente Forschungs- und Ausbildungsstätte für kluge Köpfe aus aller Welt. Hier begegnen sich Menschen. Gerade unter dem Eindruck des erschütternden Berichts von Frau Levi war das im Publikum zu spüren: Die hier sind, verkörpern "vereinte Nationen" im besten Sinne des Wortes, eine Keimzelle für ein friedliches und respektvolles Miteinander von Personen verschiedenster Herkunft, Nationalität, Kultur und Religion. Ein hoffungsvolles Zeichen in unserer Zeit.
(Foto: Tatjana Kolussenko)
Joachim Bürkert
Seitenbearbeiter: Email
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