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Literaturhistoriker Professor Wolfgang Frühwald mit Marsilius-Medaille geehrt

Pressemitteilung Nr. 1/2009
26. Februar 2009
Der renommierte Literaturhistoriker und langjährige Wissenschaftspolitiker Professor Wolfgang Frühwald wurde am 19. Februar als Referent der zweiten Marsilius-Vorlesung in der Alten Aula der Universität Heidelberg mit der Marsilius-Medaille ausgezeichnet.
Prof. Frühwald befasste sich in seinem Vortrag mit dem Titel „,Lies nur die linken Seiten eines Buches!’ Über Mehrung und Zerfall moderner Wissenswelten“ mit der Frage, wie die Wissenschaft mit der exponentiell wachsenden Menge an Information und Erkenntnissen umgehen kann.

Mit den Marsilius-Vorlesungen will das 2007 an der Universität Heidelberg eingerichtete Marsilius-Kolleg, das sich dem Dialog zwischen den Wissenschaftskulturen widmet, exemplarisch das Potenzial disziplinübergreifender Zusammenarbeit verdeutlichen. Mit seiner „Offenheit für grenzüberschreitende Fragestellungen“ sei Professor Frühwald, so Rektor Professor Bernhard Eitel in seiner Begrüßung, der „ideale Referent einer Marsilius-Vorlesung“ – ideal für den Brückenschlag zwischen geistes- und naturwissenschaftlicher Forschungsperspektive.

Professor Wolfgang Schluchter, der geisteswissenschaftliche Part der Doppelspitze des Marsilius-Kollegs, würdigte in seiner Einführung das Wirken Frühwalds als Literaturwissenschaftler sowie als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1992-97) und der Alexander von Humboldt (1999-2007). Schluchter skizzierte Frühwalds Forschungsschwerpunkte und hob sein „Grenzgängertum“ zwischen den Wissenschaftskulturen und -nationen hervor. Die Verbindungslinie zwischen dem Geisteswissenschaftler und dem Wissenschaftspolitiker Wolfgang Frühwald werde insbesondere in der von ihm mitverfassten Denkschrift „Geisteswissenschaften heute“ von 1991 deutlich. Die darin geforderte kulturwissenschaftliche Modernisierung der Geisteswissenschaften zeichne auch das literaturwissenschaftliche Werk Wolfgang Frühwalds aus.

In seiner Marsilius-Vorlesung stellte Frühwald das Problem der ausufernden Herrschaft isolierten Expertenwissens in den Mittelpunkt. Als Fazit seines jahrzehntelangen Umgangs mit Wissen und Wissenschaftsmanagement gab Frühwald zu bedenken, dass Wissen heute häufig nicht mehr sei als reine Informationsanhäufung. Die für eine „Wissensgesellschaft“ unverzichtbare kritische Sichtung und Bewertung von Informationen könne dabei kaum noch geleistet werden. Zudem bleibe die Genauigkeit von Information häufig zugunsten von Fülle und Geschwindigkeit auf der Strecke.

Mit dem provokanten Titel seines Vortrags „Lies nur die linken Seiten eines Buches!“ – ein  Zitat des Stardesigners Bruce Mau – wies Frühwald auf die in allen Disziplinen und auch in globaler Perspektive relevante Herausforderung hin, den immer rascher anwachsenden und zugleich immer schneller veralteten Datenmassen Herr zu werden. Die Tauglichkeit des Ratschlags, der Komplexität der Datenmengen durch schlichte Reduktion der Daten-Quantität zu begegnen, müsse bezweifelt werden.. Nötig sei vielmehr, Generierung, Entwicklung und Anwendung von Wissen ganz grundsätzlich in einen kommunikativ-sozialen Kontext zu stellen und damit auch der sozialen Verantwortung von Wissenschaft gerecht zu werden.

Die rasche Vermehrung und der schnelle Zerfall des Wissens haben Frühwald zufolge bereits zu grundlegenden sozialen Veränderungen geführt, die der Soziologe Manfred Prisching treffend als „Bluff-Gesellschaft“ bezeichne. Diese zeichne sich dadurch aus, dass es nicht auf Qualität, sondern vor allem auf Sichtbarkeit ankomme. Der Bluff werde so zur eigentlichen Leistung. Dem stellte Frühwald das alte Ethos von Gelehrten wie Max Weber („Wissenschaft als Beruf“) entgegen, denen es um Wahrhaftigkeit ging, nicht um Sichtbarkeit und Propaganda. Die Parole für die Wissenschaft müsse daher laut Frühwald „Entschleunigung“ heißen – damit auch Zeiten des Irrtums wieder möglich seien und der Prozess der Wissenschaft nicht im Bluff ende. Entschleunigung in diesem Sinne sei aber nur möglich, wenn sich zumindest die Universitäten als zentrale Institutionen der Grundlagenforschung dem ökonomischen Zeittakt entzögen, der auch ihnen immer mehr aufgedrängt werde.

Im Rahmen der zweiten Marsilius-Vorlesung mit der Marsilius-Medaille ausgezeichnet: Literaturhistoriker Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Frühwald (2.v.l.) zusammen mit (v.l.n.r.) Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Rektor Prof. Dr. Bernhard Eitel und Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schluchter.  
Im Rahmen der zweiten Marsilius-Vorlesung mit der Marsilius-Medaille ausgezeichnet: Literaturhistoriker Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Frühwald (2.v.l.) zusammen mit (v.l.n.r.) Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Rektor Prof. Dr. Bernhard Eitel und Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schluchter.
Foto: Stefan Kresin

Im Anschluss an den mit großem Interesse aufgenommenen Vortrag verliehen Rektor Professor Bernhard Eitel und Professor Hans-Georg Kräusslich – der Naturwissenschaftler in der Doppelspitze des Marsilius-Kollegs – Frühwald die Marsilius-Medaille und zeichneten damit dessen Beitrag zur Förderung des Gesprächs zwischen den Wissenschaftskulturen aus.

Der Video-Mitschnitt der Marsilius-Vorlesung wird demnächst auf der Homepage des Marsilius-Kollegs veröffentlicht:  http://www.marsilius-kolleg.uni-heidelberg.de/
Irina Peter
Ansprechpartner:
Tobias Just
Geschäftsführer
Geschäftsstelle des Marsilius-Kollegs
Hauptstr. 232
69117 Heidelberg
Tel. 06221 543980, Fax 543984
just@mk.uni-heidelberg.de
http://www.marsilius-kolleg.uni-heidelberg.de

Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
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