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Ist der freie Wille nur eine Illusion?

Pressemitteilung Nr. 1/2009
14. Februar 2009
Die Winterschule des Marsilius-Kollegs der Universität Heidelberg beschäftigte sich mit der Frage, wie weit der Mensch seine Entscheidungen selbst bestimmt
Ist der Mensch frei in seinen Entscheidungen? Oder sind seine Muskeln, Sehnen oder sein Sprechapparat nur Sklaven biochemischer Prozesse im Gehirn? Um diese Fragen dreht sich seit einigen Jahren eine erregte Diskussion in der Fachwelt. Und auch die Winterschule des Marsilius-Kollegs der Universität beschäftigte sich mit diesem Thema. „Verantwortlichkeit – eine nützliche Illusion?“ so hieß der Titel der Konferenz, bei der sich 30 Nachwuchswissenschaftler zehn Tage lang die Köpfe heiß redeten.

Die etwas provokante Überschrift greift die neusten Erkenntnisse der Hirnforschung auf, die durchaus den Schluss zulassen, dass eine Entscheidung schon getroffen wurde, bevor der Mensch sich bewusst zu einer Handlung entschließt. So konnten Forscher am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Experimenten mindestens sieben Sekunden vor einer Entscheidung die Absicht ihrer Probanden vorhersagen. Entsprechende Anzeichen konnten sie im Hirn ablesen. „Das kann man so interpretieren, dass uns das Gehirn nur glauben lässt, dass wir frei entscheiden“, sagt Professor Thomas Fuchs, Oberarzt an der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Heidelberger Universitätsklinikum. Dann könnte auch niemand für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden, Verantwortlichkeit wäre nur eine Illusion, die aufrechterhalten wird, weil sie das Zusammenleben einfacher macht.

Ganz so weit wollte dann doch keiner der vielen Referenten während der Winterschule gehen. Und fast schon vorhersehbar wurde auf die Eingangsfrage keine abschließende Antwort gefunden. Doch die jungen Wissenschaftler – fast ausnahmslos Doktoranden – waren dennoch hochzufrieden. Schließlich bot ihnen die Winterschule die Gelegenheit, über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinauszuschauen und sich mit Kollegen anderer Fachrichtungen auszutauschen. „Man muss auch kritisch auf die eigene Wissenschaft schauen“, sagt etwa Benedikt van Spyk, Jurist von der Universität Mannheim. Er wäre aber vorsichtig, wegen der Erkenntnisse der Neurowissenschaftler gleich das ganze Rechtssystem umzugestalten. Schließlich funktioniert das ganz gut, indem es den freien Willen beim Menschen annimmt.

„Man kann mit Experimenten viel nachweisen. Aber es war interessant, die Reaktionen zu sehen, wenn die Ergebnisse auf andere Disziplinen ausstrahlen“, ergänzt der Mediziner Fabian Kliesch von der Universität Heidelberg. Er beschäftigt sich in seiner Dissertation mit dem ärztlichen Menschenbild und der Ethik in der Medizin, und so war der Kurs eine ideale Ergänzung für seine Forschung. Der Theologe Benedikt Bruder aus Erlangen schreibt in seiner Doktorarbeit über Freiheit, ein zentrales Thema seiner Disziplin. Er nimmt vor allem mit, dass es keine absolute Freiheit (oder Unfreiheit) geben kann, sondern immer nur verschiedene Grade davon.

Dass Verantwortung nicht immer nur im Nachhinein betrachtet werden darf (im Sinne von „Wer ist schuld?“), sondern auch vorausschauend, auf die Zukunft gerichtet, darauf konnten sich die Teilnehmer außerdem einigen. „Das wäre auch mit Blick auf die Wirtschaftskrise ein Beitrag“, meint van Spyk. Damit sich die Finanzjongleure beim nächsten Mal vorher überlegen, welche Folgen ihre Handlungen haben können.
Steffen Blatt
© Rhein-Neckar-Zeitung

Rückfragen von Journalisten bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

Irene Thewalt
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