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Wenn Dozenten zu Bundesrichtern werden

25. November 2008
Ein echter Fall, eine gespielte Verhandlung: Jurastudenten probten im neuen Lautenschläger-Hörsaal der Universität Heidelberg für großen „Moot Court“-Wettbewerb
„Herr Präsident, hoher Senat“, wendet sich Rechtsanwalt Leonard Kirscht im Plädoyer an die Richter des Bundesfinanzhofs. Sein Mandant ist das Finanzamt. Der Fall ist nicht einfach, dem Laien bleibt das Fachkauderwelsch in der Verhandlung weitgehend unverständlich. Es geht um einen Gesellschafter der „A. GmbH“, der nach der Auflösung der Gesellschaft Steuern zahlen muss für Gelder, die er eigentlich als Werbungskosten absetzen wollte. Das Revisionsverfahren ist jetzt vor dem Bundesfinanzhof gelandet, dem obersten Bundesgericht für Steuern und Zölle.

Eine Verhandlung also, deren Ausgang zwar für sämtliche Experten des Steuerrechts von größter Bedeutung sein wird, ansonsten aber von eher nachrangigem Interesse ist – könnte man meinen. In diesem Fall ist das aber anders. Der Gerichtssaal des Bundesfinanzhofs befindet sich nämlich nicht wie üblich in München, sondern in Heidelberg. Und der Richter ist auch eigentlich kein Richter, sondern ein Lehrstuhlinhaber der hiesigen Juristischen Fakultät, Prof. Ekkehart Reimer. Ein großes Publikum hat sich eingefunden, die Anwälte sind auffallend jung, und immer wieder baut sich ein Kameramann vom Fernsehen vor den Anwälten auf. Auffällig ist auch, dass nicht nur die dicken Sartorius-Gesetzesbände auf den Tischen liegen, sondern Anwältin Nina Nikolai auch mit einem Buch arbeitet, auf dem deutlich sichtbar eine Signatur der Uni-Bibliothek klebt.
 
Dass hier etwas nicht stimmt, wird spätestens klar, als ein Richter bemerkt: „Ich gebe Ihnen einen Hinweis: Ich denke, Sie müssten in Hinsicht der Sicherungsverhältnisse argumentieren.“ Es ist ein echter Fall, der in Heidelberg verhandelt wird, aber eine gespielte Verhandlung. Das Team der Juristischen Fakultät bereitete sich mit dieser Generalprobe auf einen „Moot Court“-Wettbewerb zum Thema Steuerrecht des Bundesfinanzhofs vor. Nach monatelanger Vorbereitung probten die sechs Studenten jetzt mit ihren Dozenten den Ernstfall. Der neue Lautenschläger-Hörsaal bot dafür eine glaubwürdige Kulisse.
 
Dass es sich nicht um ein einfaches Schauspiel, sondern um eine wichtige Probe handelte, wurde schnell klar. Nach den realistisch wirkenden Anfangsplädoyers sah die Gerichtsverhandlung schnell nach Unterrichtsgespräch oder mündlicher Prüfung aus. „Was wäre, wenn ...“, regten die Richter noch in der Verhandlung zu Gedankenexperimenten an. „An Ihrer Begründung ist mir unangenehm aufgefallen“, kritisierten sie außerdem. Und schließlich, nach einer richtigen Ausführung, aber leider aus dem falschen Anwaltsteam: „Sehr gut, aber das dürften Sie eigentlich gar nicht sagen.“

Auch wenn keine glaubwürdige Verhandlung gelang, die Teams freuten sich, die Generalprobe im neuen Hörsaal absolvieren zu dürfen. So konnten sie schon einmal ein Gefühl für einen richtigen Gerichtssaal bekommen, bevor sie im Wettbewerb diesen Montag und Dienstag vor die Bundesrichter treten. Professor Reimer lobte seine Studenten für ihren Auftritt, einen „sehr guten Eindruck“ hätten sie hinterlassen. Und an den Fehlern wird jetzt noch ausführlich gefeilt werden.

HINTERGRUND

Moot Court im Lautenschläger-Hörsaal

Der Lautenschläger-Hörsaal der Juristischen Fakultät, der im Oktober im vorderen Anbau des Seminars eröffnet wurde, ist in zweifacher Hinsicht einzigartig: Erstens ist er der deutschlandweit erste von einer Uni eingerichtete „Moot Court“, in dem Studenten Gerichtsverhandlungen unter möglichst realistischen Bedingungen simulieren können. Zweitens ist er der erste Hörsaal der Heidelberger Uni, der allein aus privaten Mitteln finanziert wurde. Einen „niedrigen sechsstelligen Betrag“ hat MLP-Gründer und Freund der Fakultät, Manfred Lautenschläger, dafür gespendet. Im „Moot Court“ sollen Studenten lernen, was in der bisherigen Ausbildung zu kurz kam: Kommunikationsfähigkeit und Überzeugungskraft. Die beschriebene Verhandlung ist die erste, die im Lautenschlägersaal stattfand.
Sören Sgries
© Rhein-Neckar-Zeitung

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