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Schon als junger Mann neugierig auf das Alter

10. November 2008
Der Gerontologe Prof. Andreas Kruse ist Deutschlands bekanntester Alternsforscher – Jetzt bekam er das Bundesverdienstkreuz
Andreas Kruse war 30 Jahre alt, als er begann, sich mit dem Alter zu beschäftigen. Heute ist der Direktor des Institutes für Gerontologie an der Universität Heidelberg Deutschlands bekanntester Altersforscher. Und das scheint ihn irgendwie jung zu erhalten. Sein Tag führt ihn vom Gespräch mit Saarlands Ministerpräsident Müller in Saarbrücken über eine Beratung mit der Liga der freien Wohlfahrtsverbände in Stuttgart zur Dekanatssitzung nach Heidelberg zurück. Frisch wirkt der 53-Jährige trotzdem, und die Ideen sprudeln wie immer; er liebt es, interessante und intelligente Leute kennenzulernen.

Am Anfang der Karriere standen die Mitarbeit des Psychologen an einer gerontologischen Studie an der Universität Bonn und seine Promotion über die Bewältigung chronischer Krankheiten. „Die Menschen, die sich in einer Grenzsituation befinden, waren seelisch und geistig bemerkenswert offen, widerstandsfähig und entwicklungsfähig“, sagt Prof. Andreas Kruse.

Das hat den jungen Menschen neugierig auf die letzte Lebensphase gemacht, und statt eine Stelle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie anzunehmen, widmete er sich dem damals innovativen Thema Alter. Die Altersforscherin und spätere Familienministerin Ursula Lehr holte ihn als ersten Mitarbeiter, als sie 1986 in Heidelberg das Institut für Gerontologie gründete. Nach einer Zwischenstation in Greifswald, wo er das Institut für Psychologie aufbaute, folgte Andreas Kruse 1997 einem Ruf zurück an die Universität Heidelberg als Nachfolger von Ursula Lehr. Dass seine Frau Sylvia immer verantwortlich in der Altenarbeit tätig war und jetzt das Seniorenstift Augustinum auf dem Emmertsgrund leitet, betrachtet er als „absoluten Glücksfall“. Sie muss sich mit den praktischen Aspekten des Alterns befassen, das gibt dem Wissenschaftler immer wieder die Möglichkeit, seine Arbeit zu reflektieren.

Eigentlich war Andreas Kruse ein ganz anders Berufsfeld vorgezeichnet. In einem Mediziner-Haushalt in Aachen aufgewachsen kam er als Achtjähriger zusammen mit zwei Brüdern nach Regensburg – zu den „Domspatzen“. Dort brachte er es mit seiner schönen Knabenstimme bis ins Solo-Ensemble, dirigiert von Chorleiter Georg Ratzinger, dem Bruder des jetzigen Papstes Benedikt XVI. Studiert hat Andreas Kruse aber erst einmal Psychologie und Philosophie. Und dann bewarb er sich an der Musikhochschule Köln. „Mit der Psychologie kannst Du Menschen helfen, mit der Musik kannst Du sie glücklich machen“, sagte ihm ein Professor damals. „Das gibt mir heute noch viele Impulse in Bezug auf wissenschaftliche Fragen, etwa, was Lebensqualität im Alter oder den Umgang mit Demenz betrifft“, sagt Kruse. Auch von seinem Philosophiestudium, bei dem er sich besonders mit Karl Jaspers und Hannah Arendt auseinandersetzte, zehrt er heute noch, von Jaspers' Philosophie der Grenzsituationen und Arendts Auffassung von Möglichkeiten und Initiativen im öffentlichen Raum.

Die Psychologie gab ihm eine Vorstellung davon, dass Entwicklungsprozesse über das ganze Leben hinweg möglich sind. Demenz, Pflegebedürftigkeit, Überleben im Holocaust, Zwangsarbeiterdasein – für all dies hat er sich großes Verständnis erworben, all dies prägt seine Arbeit, in Deutschland genauso wie in den osteuropäischen Staaten. Und unter anderem dafür hat ihn Bundespräsident Köhler am vergangenen Dienstag mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Dass Andreas Kruse seinen Abschluss in Chorleitung einer Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn opferte, war vielleicht eine Altersfrage: Mit 29 Jahren wollte er endlich einmal in Lohn und Brot stehen. Ein feines Gehör blieb ihm vom Musikstudium – und die Freude am Klavierspiel. Gerne darf es Bach sein. Und um ein schönes Konzert zu hören, fährt der Gerontologe weit. Seit 21 Jahren ist Kruse für die Altenberichte des Bundestages zuständig, daneben ist er Mitglied der Kommission „Alter“ der evangelischen Kirche. Das Interesse für Politik kam da ganz automatisch. Er kämpft für die Potentiale des Alters und ist nie zufrieden mit dem Erreichten: „Da steckt noch viel drin.“

Hat Alter nicht sehr viel mit Verlust zu tun? Optimistisch gesinnt, wie Andreas Kruse nun mal ist, sieht er eher die erfreulichen Perspektiven: „In jeder Situation kann ich positive Kräfte entwickeln, wenn ich mit anderen Menschen zusammenkomme und gemeinsam mit ihnen etwas schaffe.“ Aber auch: „Der Mensch muss sich seiner Verletzlichkeit bewusst sein und seine Abhängigkeit bewusst annehmen.“ Deshalb wohl hält er auch so viel vom Miteinander der Generationen. Und seit der Sohn – er ist Ethnologe in Marburg, die Tochter arbeitet wissenschaftlich als Tierärztin in München – die Kruses zu Großeltern von Zwillingen gemacht hat, kennt er die Bereicherung, die Enkelkinder sein können, aus eigenem Erleben. Er kann es objektiv als Psychologe betrachten ( „Die enge Kommunikation mit Enkelkindern ist überaus bedeutsam als Stimulanz für Denkprozesse.“) oder als Philosoph („Es gibt jetzt mehr Lebensbereiche, über die ich nachdenke.“) oder als liebender Großvater: „Ich bin innerlich sehr auf die Kinder bezogen.“
Birgit Sommer
©  Rhein-Neckar-Zeitung

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Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
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Letzte Änderung: 10.11.2008
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