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Heidelberger Ringvorlesung „Doping“ mit Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Knörzer beendet

18. Juli 2008
Ringvorlesung aus Studiengebühren der Universität Heidelberg finanziert – Knörzer: Dopingprävention allein reicht nicht aus – Die Förderung von Lebenskompetenzen in den Mittelpunkt stellen – Widerstandsfähig gegen Versuchungen machen
Mit der Vorlesung von Prof. Dr. Wolfgang Knörzer (PH Heidelberg) ging die Ringvorlesung des Sommersemesters 2008 von Universität und Pädagogischer Hochschule Heidelberg zu Ende. Knörzer stellte seine Vorlesung in den Kontext einer kompetenzorientierten Gesundheitsförderung. Wie auch schon vor ihm Helmut Digel (Tübingen) und Gerhard Treutlein (Heidelberg) sieht er eine Beschränkung der Präventionsbemühungen auf das Doping im Spitzensport als in keiner Weise ausreichend an.

In einer systemischen Sicht der Problematik beschränkt er sich nicht auf das Verhalten der einzelnen Sportler, sondern berücksichtigt auch die dopingverursachenden Systembedingungen. In Anlehnung an die Ottawa-Charta von 1986 geht es dabei darum, die vorherigen individuumszentrierten Ansätze durch lebensweltliche Betrachtungen zu ergänzen, das heißt Lebensbereiche, Systeme und Organisationen, in denen die Sportler einen großen Teil ihres Lebens verbringen (Settings). Dazu gehören Familie, Schule, Betrieb, Krankenhaus, Gemeinde, Verein und anderes mehr.

Aus diesem Ansatz erwächst ein sehr weit reichendes Aufgabengebiet für die Dopingprävention, Doping dabei verstanden im Sinne einer weiten Definition bis hin zum Alltagsdoping. Auf einer horizontalen Ebene geht es um die positive Beeinflussung der Lebenswelt, auf einer vertikalen um die Beeinflussung nicht nur der Individuen, sondern auch des Umfelds, der Organisation, der nationalen und internationalen Ebene. Knörzer sieht Prävention vor allem dann als Erfolg versprechend an, wenn alle Elemente der horizontalen und vertikalen Ebenen an einem Strang ziehen, was aber auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist.

Dennoch sollte mit der Prävention begonnen werden, im Sinne eines Mosaiks, wo Steinchen auf Steinchen hinzukommen können und am Ende sich ein Gesamtbild ergibt. Erst wenn alle Ebenen zusammenspielen, ist Nachhaltigkeit wahrscheinlich. Wenn man die Verbands- (kaum Anstrengungen zur Dopingprävention), die nationale (Vermeidung eines Dopinggesetzes) und die internationale Ebene (schöne Reden statt energischem Handeln) sieht, dann dürfte der Weg zur Nachhaltigkeit noch sehr lang sein.

Die wesentlichen Interventionsansätze können als Krankheit (in unserem Fall Doping als wesentliche Krankheit des Sports) vermeidende oder Gesundheit stärkende eingeordnet werden. Auf die Dopingproblematik bezogen stehen bei der ersten Ausrichtung Aufklärung, Abschreckung und Repression im Mittelpunkt, bei der zweiten die „Life Style Education“ (Entwicklung von Lebenskompetenzen). Sinnvolle Dopingprävention sollte beide Ansätze miteinander kombinieren und frühzeitig beginnen; zunächst sollte die Lebensstilerziehung im Mittelpunkt stehen und mit fortschreitender Leistungssportkarriere Aufklärung, Abschreckung und Repression dazu kommen.

Ist das Milieu in einer Sportart „versaut“, bietet sich bei Erwachsenen nur noch die Repression an, noch besser aber der Austausch von belastetem haupt- und ehrenamtlichem Personal. Setzt die Prävention ausreichend frühzeitig und effektiv ein, dann kann möglicherweise auf die eigentliche Dopingprävention weitgehend verzichtet werden. Denn stimmen die Systembedingungen (geringerer Erfolgszwang für die Individuen) und setzt die mentale Stärkung rechtzeitig ein, können  Sportler auch leichter Versuchungen wie Doping widerstehen.

Trotz der Notwendigkeit, auf allen Ebenen anzusetzen, und trotz der bereits erfahrenen und zu erwartenden Widerstände vor allem auf nationaler und internationaler Ebene schlägt Knörzer vor, mit der Teilaufgabe einer Stärkung der Lebenskompetenzen zu beginnen, in der Hoffnung, dass dadurch von unten her Druck entsteht auf die oberen Ebenen, Veränderungsbereitschaft zu entwickeln. Eine wesentliche Rolle können dabei unterstützend auch die Medien, die Sponsoren und die Zuschauer spielen, indem sie Erwartungen an einen sauberen Sport deutlich formulieren und Erwartungsdruck aufbauen. Wer Geld von Staat und Sponsoren für sein Sporttreiben erhält, muss Verantwortung übernehmen, Verantwortung für seine Vorbildrolle für Jugendliche, aber auch Verantwortung für seine Konkurrenten (zu verstehen als Partner, ohne die ein Wettkampf nicht möglich ist) und für das ganze Sportsystem. Die mit dem Doping verbundenen Lügen, Betrug und Heuchelei drohen den Leistungssport zu zerstören. Ein wesentliches Problem ist das auf fast allen Ebenen nicht ausreichend entwickelte Problembewusstsein sowie die weitgehend fehlende Bereitschaft zur finanziellen und personellen Unterstützung von Präventionsinitiativen sowie von begleitender Forschung.

Da die Schule Kinder und Jugendliche am umfassendsten erreicht, sollten nach Knörzer Gesundheitsförderung und auch die Prävention von Medikamentenmissbrauch in den Kanon der Schule gehören. Denn nur so besteht die Chance, alle Gruppen im Bereich des Alltagsdopings (Förderung der Leistungsfähigkeit in allen Lebensbereichen um jeden Preis und mit allen Mitteln) zu erreichen. Dabei kann die Aufgabenstellung in der Schule durchaus unterschiedlich sein zu jener in den Sportvereinen und Sportverbänden. Die Thematik sollte jedenfalls in Schulen, die sich als gesundheitsfördernde Schulen verstehen, zum Aufgabenkatalog dazu gehören.

Ein aus den vorhergehenden Überlegungen ableitbares sehr komplexes Herangehen erfordert einen langen Atem und auch Kreativität. Knörzer versucht die Teilaufgabe der Stärkung der Lebenskompetenzen zunächst einmal an Versuchsschulen, zum Beispiel an der Eliteschule des Sports, dem Helmholtzgymnasium, den Schulen der Gemeinde Mauer und andere Schulen mehr. Impulse hierzu werden mit dem „Heidelberger Kompetenztraining“ gegeben, das von Knörzer zusammen mit Wolfgang Amler und dem Sportpsychologen der österreichischen Fußballnationalmannschaft, Dr. Patrick Bernatzky, entwickelt wurde. Dabei wird unter anderem von der Grundannahme ausgegangen, dass jede Handlung von einem mentalen Prozess begleitet wird. Daraus werden Aufgaben abgeleitet wie mentale Stärke entwickeln (für alle Drucksituationen, nicht nur im Sport), natürliche Leistungsmöglichkeiten ausschöpfen, auch unter Druck optimal handlungsfähig bleiben, die Selbstverantwortung stärken (um auf illegale Hilfsmittel wie Drogen, Doping oder Betrug verzichten zu können) und ein Aufmerksamkeitsmanagement zu entwickeln.

Vier wesentliche Kompetenzbereiche müssen dazu entwickelt werden: Zielorientierung, Ressourcenaktivierung, Konzentration (als zentrale Ressource), Angst- und Stressresistenz. Die Kompetenzbereiche sind das notwendige Handwerkszeug; für die richtige Orientierung muss eine ethisch-moralische Fundierung hinzukommen. Bei seinen Schulversuchen haben Knörzer und seine Mitarbeiter erlebt, wie schwer es vielen Jugendlichen fällt, für sich selbst positive Ziele zu formulieren. Probleme, Fehler, Unzulänglichkeiten werden viel schneller geäußert. Nach der Zielformulierung muss das Ziel erlebbar gemacht werden (sich in den positiven Zielzustand hineinversetzen); über eine Stärkenanalyse sollen die individuellen Stärken aktiviert werden. Die Konzentrationsschulung soll zeigen, wie eine Konzentration auf das vorgestellte Ziel gelingen kann. Und nicht zuletzt müssen Methoden zur Angst- und Stressbewältigung die Jugendlichen davor schützen, in Drucksituationen zu versagen.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Ansatz vor allem dann funktioniert, wenn die damit verbundene Idee der umfassenden Stärkung der Schüler in die Kultur und das Leitbild der jeweiligen Schule integriert wird. Deshalb liegt das Schwergewicht in jüngster Zeit auf Lehrerfortbildungen für die interessierten Schulen. Das Ziel dabei ist, Modelle gelingender Praxis zu entwickeln, damit andere Schulen diese dann übernehmen können. Da Knörzer, Amler und Bernatzky mit dieser Vorgehensweise auch erfolgreich mit Spitzensportlern arbeiten, liegen hier ebenfalls bereits weitgehende Erfahrungen vor, die ihren Niederschlag in dem Buch „Integratives Mentaltraining im Sport“ gefunden haben. Wie sich die Dinge in der Metropolregion Rhein-Neckar vernetzen, sieht man an der Beteiligung von Knörzer an der Einrichtung des Unterrichtsfachs Glück an der Willi-Hellpach-Schule oder an der Zusammenarbeit mit Vereinen und Kommunen.

Heidelberg war schon in der Vergangenheit ein Vorreiter für die Behandlung der Dopinggeschichte (Berendonk, Singler/Treutlein), der Soziologie des Dopings (Bette/Schimank) und der Dopingbekämpfung (Franke). Mit den Aktivitäten und Ansätzen der Gruppen um Treutlein und Knörzer entwickelt sich die Chance, ein national und international beachteter Schwerpunkt für die Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping sowie die Förderung von Gesundheit und Lebenskompetenzen zu werden, übrigens ähnlich wie auch in der Heidelberger Partnerstadt Montpellier (Dopingforschung, Dopinghotline u.a.m.).

Wesentliche Meilensteine waren hierzu die Gründung der Heidelberger Akademie für Gesundheitsbildung an der VHS Heidelberg durch Knörzer, die Durchführung eines internationalen Expertengesprächs zur Dopingprävention in Heidelberg im Januar 2005 (Knörzer/Treutlein), die Gründung des Zentrums für Prävention und Gesundheitsförderung im Juli 2006 (Knörzer/Methfessel/Treutlein), die Gründung des Zentrums für Dopingprävention (September 2007, Treutlein), die Einrichtung eines Studiengangs zur Gesundheitsförderung/Health Promotion (Knörzer/Methfessel et al.) zum Wintersemester 2007/08 oder die mit Studiengebühren der Universität Heidelberg finanzierte Ringvorlesung zum Doping aus interdisziplinärer Sicht im Sommersemester 2008. In der Zukunft sollen die verschiedenen Ansätze noch weiter zusammengeführt und die Kooperation zwischen den Hochschulen intensiviert werden.

Es bleibt die Hoffnung, dass die Ringvorlesung Vorbildwirkung für andere Hochschulen haben und das Thema sich möglichst bald auch im regulären Lehrveranstaltungsangebot wieder finden wird. Die Organisatoren und die Teilnehmer der Ringvorlesung zeigten sich am Schluss der letzten Veranstaltung jedenfalls sehr zufrieden mit der Qualität der Ringvorlesung, ihrem Verlauf und ihrem Ergebnis. Eine Zusammenfassung der Berichte über die Ringvorlesung wird von der Pressestelle der Universität demnächst ins Internet gestellt werden.

Rückfragen bitte an:
Prof. Dr. Gerhard Treutlein
Tel. 06221 477607 oder 0172 9334838
treutlein@ph-heidelberg.de

Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
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Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
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