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Beim Doping reicht die Selbstreinigungskraft des Sports nicht aus

30. Mai 2008

Jurist Rössner in der "Doping"-Reihe von Universität und Pädagogischer Hochschule Heidelberg: Der Sport allein schafft es nicht! Ohne den Staat bleibt die Dopingaufdeckung defizitär – Nächste Veranstaltung: Donnerstag, 5. Juni, 16 Uhr: Udo Ludwig (Der Spiegel, Hamburg). Doping und die Medien

Der Kriminologe Prof. Dr. Rössner (Uni Marburg) erteilte den Nichtjuristen bei der Heidelberger Ringvorlesung zum Doping einen anschaulichen Unterricht zur Rolle der Justiz bei der Bearbeitung des Dopingproblems. Nach seinen Worten ist das Sportrecht eine junge Wissenschaft, die noch nirgends so richtig verwurzelt ist; er bezeichnet das Sportrecht als sein Hobby, da er gerne dazu beitragen möchte, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die sportlichen Werte wie Fairness, Chancengleichheit und andere mehr voll zur Geltung kommen können. Recht ist damit für ihn ein Hilfsmittel für den Sport.

Ein wesentliches Problem sieht Rössner in einer schizophrenen Situation. Für die Gesellschaft gehört der Einsatz von Mitteln zur unnatürlichen Leistungssteigerung heute zum Alltag. Jurastudierende haben zum Beispiel bei ihrer Abschlussprüfung zwei Wochen lang jeden Tag fünf Stunden Prüfung, fast jeder nimmt Medikamente zur Unterstützung. Ebenso Politiker, Manager, Musiker u.a.m., denn die Gesellschaft fordert Leistung. Nur beim Leistungssport fordert der Sport selbst, aber auch die Gesellschaft exakt ein gegenteiliges Verhalten, nämlich den Verzicht auf jegliche "unterstützende Mittel".

Um den Schein des sauberen Sports aufrecht zu erhalten, verschließen Verantwortliche im Sport oft die Augen, davon profitieren kriminelle Netzwerke und ein krimineller Hintergrund, die sich im Umgang mit der Dopingproblematik entwickelt haben. Nach Rössner ist selbst der Fußball nicht ausgenommen. Nach einer dänischen Untersuchung mussten Fußballer noch vor wenigen Jahren nur 8% der Spielzeit in vollem Tempo laufen, heute sind es bereits 15%, was den Gebrauch von Mitteln zur Verbesserung der Sauerstoffaufnahmefähigkeit bzw. der Ausdauer nahe legt (z.B. das verbotene EPO) – viele Spiele werden von der "konditionsstärkeren" Mannschaft in den letzten Minuten gewonnen. In englischen Wochen spielt die unter anderem durch anabole Steroide steigerbare Regenerationsfähigkeit eine große Rolle. Zu den Kunden des spanischen Blutdopingpabstes Fuentes sollen eine ganze Reihe von renommierten Spielern spanischer und italienischer Vereine gehört haben.

Nach den Untersuchungen des Schülers von Rössner, Heiko Striegel, dopen ca. 9% der Leistungssportler, 60% verwenden Nahrungsergänzungsmittel und 8,8% illegale Drogen. In Fitnessstudios verwenden ca. 20% der Männer und 4% der Frauen Anabolika. Angesichts dieser Zahlen ist verständlich, dass der Dopingschwarzmarkt eine große Rolle spielt, heute ein Bereich erheblicher Kriminalität und in Italien in den Händen der neapolitanischen Maffia. Um das vor wenigen Jahren noch wenig entwickelte Sportrecht voranzubringen, hat Rössner im Fall des Olympiasiegers Dieter Baumann zur Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung geraten, seine Schülerin Britta Bannenberg hat mit ihrer Anzeige gegen Jan Ulrich  wegen Betrugs an seinem Arbeitgeber Telekom die Staatsanwaltschaft in Bonn zu Ermittlungen gezwungen.

Das Ziel wurde erreicht: Baumann wurde trotz des Prinzips der "strict liability" von deutschen Sportgerichten freigesprochen, da die Wahrscheinlichkeit von den Richtern als hoch angesehen wurde, dass Baumann Opfer eines Anschlags geworden war. Im Fall der Ermittlungen gegen Ulrich in Bonn wurde das Radidol zwar im strafrechtlichen Sinne freigesprochen, da sich selbst sein Arbeitgeber nicht von ihm geschädigt fühlte; durch die staatlichen Ermittlungen wurde aber nachgewiesen, dass er im sportrechtlichen Sinne schuldig ist, nämlich gedopt. In der Bekämpfung von Doping wären Sport und Gesellschaft schon wesentlich weiter, wenn Staat und Sport optimal zusammenarbeiten und gemeinsam ihre Möglichkeiten ausschöpfen würden.

Die Aufdeckung von Doping ist nach wie vor defizitär. Wenn z.B. in Italien nur 3000 Kranke EPO brauchen, aber EPO in einem Umfang verkauft wird, der für die Behandlung von 40.000 Patienten reichen würde, wird deutlich, in welchem Umfang EPO auf dem Schwarzmarkt und im Sport landet. Bei einer weltweiten Verkaufszahl für EPO von ca. 12 Milliarden Dollar pro Jahr wird davon ausgegangen, dass weit mehr als die Hälfte zweckentfremdet wird. Ähnlich sieht es beim Wachstumshormon (HGH) aus. In Anbetracht der verkauften Menge müsste jeder 7. Italiener zwergwüchsig sein. Das Strafrecht hat bisher nur in Ausnahme- bzw. Einzelfällen gegriffen, z.B. bei den Fällen von Spilker, Springstein und möglicherweise bei den Freiburger Sportmedizinern. Das Strafrecht müsste vermehrt eingesetzt werden, um den Sport zu schützen.

Zugleich muss aber der einzelne Sportler davor geschützt werden, auf der Grundlage einer falschen Faktenlage zu einer Sperre verurteilt zu werden. Das Prinzip der strict liability steht im Gegensatz zur allgemeinen Handhabung im Recht, nach der der Staatsanwalt dem Angeklagten nachweisen muss, dass er schuldig ist. Bei positiven Dopingfällen muss dagegen der Beschuldigte den Beweis erbringen, dass er unschuldig ist. Dieses Prinzip wurde in den letzten Jahren zumindest soweit weiterentwickelt, dass nicht allein die Positivprobe zählt, sondern auch Entlastungs- und Milderungsgründe eingebracht werden können; der Nachweis, dass eine Substanz ohne Wissen oder ohne Vorsatz in seinen Körper hineingekommen ist oder dass Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden kann, ist erleichtert worden.

Das heutige Strafrecht könnte schon einigermaßen Schutz gegen Dealer und Schwarzmarkt, Gesundheitsschutz und Vermögensschutz bieten. Beim Bundeskriminalamt wurde nach den jüngsten Gesetzesänderungen eine Stelle (mit drei Beamten) eingerichtet, die für die Verfolgung von Dopingstraftaten zuständig sind – immerhin ein Anfang. Nur der Staat hat die Mittel, die Diskrepanz zwischen dem empirischen Befund eines relativ großen Dopingumfangs und bisher geringen nachgewiesenen Vergehen zu verringern. Ohne staatliche Zwangsmittel, z.B. verdeckte Ermittler, kann es kaum vorwärts gehen. Das Verbandsrecht ist einzelfallorientiert, die strafrechtliche Kontrolle will kriminell organisierte Strukturen aufdecken. Beide Seiten müssen kooperieren; wenn jede Seite auf sich allein gestellt ist, sind optimale Ergebnisse unmöglich. Strafe muss aber immer die ultima ratio sein; Hauptziel muss der Schutz der nicht dopenden Sportlerinnen und Sportler bleiben.

Noch sind die Verbände (vielleicht mit Ausnahme des Leichtathletikverbands) nicht so weit, dass sie ohne weiteres von ihrer Forderung nach absoluter Autonomie des Sports abrücken würden. Sie lassen sich nicht gerne in die Karten schauen und haben Angst vor Renommeeverlust. Rössner fordert aber, dass z.B. Wettbewerbsverfälschungen im Sport ebenso wie Bestechlichkeit und Bestechung im Sport ins Strafgesetzbuch gehören, damit staatliche Ermittlungen ermöglicht werden. Er ist aber auch der Meinung, das primäre Prävention das Wichtigste ist: Attachement (Anbindung an faire Vorbilder), committment (Übernahme von Verantwortung), involvement (Einbindung in die Strukturen), belief (Verbindlichkeit sportmoralischer Werte und Fairness im Spitzensport). Aber leider wird noch zu viel Gewicht auf Repression und viel zu wenig auf Prävention gelegt. Gesetze und Rechtsprechung können nicht alles regeln.

Nächste Veranstaltung:
Donnerstag, 5. Juni, 16 Uhr:
Udo Ludwig (Der Spiegel, Hamburg). Doping und die Medien
Hörsaal des Instituts für Sport und Sportwissenschaft der Universität
Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 700, 69120 Heidelberg

Rückfragen bitte an:
Prof. Dr. Gerhard Treutlein
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Tel. 06221 477607 oder 0172 9334838
treutlein@ph-heidelberg.de

Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
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Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
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