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Originalpublikation

Manuela Simonetti, Anna M. Hagenston, Daniel Vardeh, H. Eckehard Freitag, Daniela Mauceri, Jianning Lu, Venkata P. Satagopam, Reinhard Schneider, Michael Costigan, Hilmar Bading, Rohini Kuner: Nuclear Calcium Signaling in Spinal Neurons Drives a Genomic Program Required for Persistent Inflammatory Pain. Neuron, Volume 77, Issue 1, 43-57, 9 January; 2013; dx.doi.org/10.1016/j.neuron.2012.10.037

 
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Kalzium macht Nervenzellen chronisch schmerzempfindlich

5. April 2013

Stärkere Vernetzung von Nervenzellen im Rückenmark fördert Schmerzgedächtnis

Heidelberger Pharmakologen und Neurobiologen haben einen Schlüsselmechanismus bei der Entstehung chronischer Schmerzen entdeckt: Bei anhaltenden Schmerzen sorgt Kalzium in den Nervenzellen dafür, dass diese mehr Kontakte zu anderen Schmerz weiterleitenden Nervenzellen knüpfen und dauerhaft empfindlicher auf schmerzhafte Reize reagieren. Diese Veränderungen im Rückenmark erklären erstmals, wie es zur Ausbildung des sogenannten Schmerzgedächtnisses kommt. Das umfangreiche Forschungsprojekt ist eine gemeinsame Leistung der Arbeitsgruppen um Prof. Dr. Rohini Kuner, Geschäftsführende Direktorin des Pharmakologischen Instituts an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, und Prof. Dr. Hilmar Bading, Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Neurowissenschaften (IZN) der Ruperto Carola.
Die Ergebnisse, die im Journal „Neuron“ erschienen sind, eröffnen neue Perspektiven für die Therapie chronischer Schmerzen. 


Neuronen
Zu gut vernetzt: Bei anhaltenden Schmerzen sorgt Kalzium in den Nervenzellen dafür, dass diese mehr Kontakte zu anderen Schmerz weiterleitenden Nervenzellen knüpfen. Diese Entdeckung von Heidelberger Wissenschaftlern erklärt, wie es im Rückenmark zur Ausbildung des sogenannten Schmerzgedächtnisses kommt. Auf dem Bild zu sehen sind Ausläufer von Nervenzellen (rot und blau) mit den knotenförmigen Kontaktstellen (Synapsen).

Starke Schmerzen von langer Dauer, zum Beispiel durch chronische Entzündungen, Nervenverletzungen und -schäden, Bandscheibenvorfälle oder Tumoren, hinterlassen oft bleibende Spuren im Nervensystem. Selbst wenn der ursprüngliche Auslöser ausgeheilt ist, können bereits leichte Reize wie Berührungen den früheren Schmerzzustand wieder hervorrufen. Der Körper hat ein sogenanntes Schmerzgedächtnis ausgebildet. Bislang gibt es keine befriedigende Therapie für chronisch schmerzkranke Patienten; in Deutschland sind mehrere Millionen Menschen betroffen.

Das Geflecht der Nervenzellen im Körper übersetzt schmerzhafte Reize wie Hitze, Kälte, starken Druck oder Verletzungen in elektrische Signale, die über das Rückenmark an das Gehirn weitergeleitet und dort als Schmerzen wahrgenommen werden. Bei chronischem Schmerz werden die schmerzübermittelnden Nervenzellen im Rückenmark selbst von schwachen Signalen aktiviert, verstärken diese und geben sie als Schmerzreiz an das Gehirn weiter. „Durch unsere Forschungsarbeiten der letzten Jahre wissen wir viel darüber, wie Nervenzellen im verletzten Gewebe sensibilisiert werden und dann ihre Aktivität verändern“, erklärt Prof. Kuner. „Aber alle diese schnellen und kurzzeitigen Prozesse können die lange Dauer chronischer Schmerzen nicht erklären.“



Das Team um Prof. Kuner und Prof. Bading fand des Rätsels Lösung nun in einem Universal-Botenstoff, den Nervenzellen für jede Signalweitergabe benötigen: Kalzium. Bei Eintreffen eines elektrischen Signals nehmen die Nervenzellen im Rückenmark Kalzium aus ihrer Umgebung auf und werden so aktiviert. Die Wissenschaftler entdeckten, dass bei sehr heftigen oder anhaltenden Schmerzen so viel Kalzium in die Zellen gelangt, dass es – was sonst nicht der Fall ist – in den Zellkern transportiert wird. Hier nimmt es Einfluss darauf, welche Bereiche der Erbinformation (Gene) aktiviert oder deaktiviert werden. Mäuse, in deren Nervenzellen die Wirkung des Kalziums im Zellkern blockiert wurde, entwickelten trotz chronischer Entzündung keine Überempfindlichkeit gegenüber schmerzhaften Reizen und kein Schmerzgedächtnis.

„Diese von Kalzium regulierten Gene sind der Schlüssel für die Chronifizierung von Schmerzen im Rückenmark, da sie dauerhafte Veränderungen anstoßen können“, ist Prof. Kuner überzeugt. Unter ihnen fanden die Forscher unter anderem eine Familie von Genen (Complement System), die bisher nur mit Entzündungsprozessen des Immunsystems in Verbindung gebracht wurden. In den Nervenzellen des Rückenmarks sorgen diese Gene dafür, dass diese nur eine bestimmte Anzahl an Kontaktstellen (Synapsen) zu anderen Nervenzellen ausbilden. So wird der Grad der Vernetzung und damit die Intensität der Signalübertragung begrenzt. Versuche an Nervenzellen im Labor zeigten: Wird die Genfamilie von Kalzium deaktiviert, bilden sich zusätzliche Synapsen, die Zelle wird empfindlicher. „Diese strukturelle Veränderung der Zellkontakte kann die dauerhafte Natur einer Vielzahl von Schmerzkrankheiten erklären“, so Prof. Kuner.

„Kalziumsignale im Zellkern von Nervenzellen gewinnen immer mehr an Bedeutung für die Steuerung von Hirnfunktionen. Sie sind eine Art Universalschalter, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn Gehirnaktivität, zum Beispiel bei Lernprozessen, zum Aufbau eines Langzeitgedächtnisses führt“, erklärt Prof. Bading. „Nun zeigt unsere Studie, dass derselbe Schalter auch Schmerz in einen chronischen Zustand überführen kann.“ Diese Erkenntnisse und die Identifizierung von Schlüsselgenen, deren Produktion über den Kernkalzium-Schalter angestoßen wird, bieten neue Ansatzpunkte, um in Zukunft die Entstehung von chronischem Schmerz zu verhindern.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 05.04.2013
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