Konviviale Gemeinschaften – Kirche mit und für andere als Chance für die Zukunft

Institutsabend gemeinsam mit der Kapellengemeinde

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Dieses Semester wurde der Institutsabend in Kooperation mit der Kapellengemeinde, Diakoniekirche für Heidelberg, ausgerichtet. Für den Referenten ein passender Ort, sei doch hier viel konviviales Leben zu spüren. Fritz Blanz, Diakon, Sozialpädagoge, und ehemals Referent im Diakonischen Werk Bayern, arbeitete zehn Jahre lang in der Arbeitsgruppe des Lutherischen Weltbunds zu Konvivialität/Conviviality mit. Im Zentrum stand und steht dabei die Frage, wie Zusammenleben über soziale Grenzen hinweg gelingen kann – Konvivialität ist die Praxis und Kunst des Zusammenlebens, wie Blanz sagt. Blanz schöpft dabei auch aus anderen Erfahrungen: Er war u.a. bei Mission EineWelt Bayern zuständig für Jugendpartnerschaften mit Tansania und Papua-Neuguinea und leitete später eine Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Nordbayern. Die Erfahrungen und Einsichten aus all diesen Formen beruflichen und ehrenamtlichen Engagements fließen zusammen in seinem Buch „Miteinander als Chance. Konvivenzgemeinschaften und Gemeinwesendiakonie. Die Kunst und Praxis des Zusammenlebens in Kirche und Gesellschaft“. Daraus las Blanz an diesem Abend ausgewählte Passagen vor und kommentierte sie frei.

Img-20230201-wa0000Dabei legte er einen ersten Schwerpunkt auf das Menschenbild, das jeder Vorstellung und Praxis von Konvivialität zugrunde liegen müsse. Drei Aspekte hob Blanz hervor: Menschen müsse man mit ihrer Geschichte kennenlernen. Menschen werden geprägt von Beziehungen (Blanz illustrierte die Tiefe dieses Aspekts mit Martin Bubers Ich-Du-Philosophie). Menschen sind Geschöpfe und damit Teil der guten Schöpfung Gottes. Im Gegenüber eines Menschen begegnet uns Gott, und zwar herausfordernd: als Aufruf, den Mitmenschen mit Respekt zu behandeln – so sehr sogar, als wäre er Gott selbst.

Blanz nutzte daraufhin die matthäischen „Werke der Barmherzigkeit“ als Gradmesser für die Konvivialität von Kirche. Kommen die angesprochenen Gruppen – Arme, Kranke, Gefangene etwa – in unseren Gemeinden und in unserer Kirche vor? Blanz möchte die „Werke der Barmherzigkeit“ somit „als Fragezeichen“ lesen. Er vertiefte das exemplarisch an der Gruppe der Gefangenen und schilderte eindringlich eigene Erfahrungen. Die Arbeit des „Schwarzen Kreuzes“ würdigte er als Beginn von Konvivialität mit Gefangenen. Auch die Arbeit mit Geflüchteten schätzte er hoch ein: Es sei erstaunlich, wie viel in Kirchengemeinden hier geleistet würde.

Blanz stellte daraufhin sieben Merkmale konvivialer Gemeinschaften vor, die zugleich zur Selbstbesinnung und zum Entdecken von Entwicklungspotenzial von Gemeinden fruchtbar gemacht werden können: Sharing Community (Teilhabe), Selbstermächtigung (im Sinn eines proaktiven Ansprechens gesellschaftlicher Themen, bis hin zu politischem Handeln), Gemeinwohlorientierung, Diversität, Radikalität (im Sinn der biblischen Wurzeln christlichen Handelns), Spiritualität und Anwaltschaft.

Diese Prüfsteine gälten auch für Kirche, der Blanz den letzten Teil seines Vortrags widmete. Auf dem Hintergrund des Gleichnisses von den anvertrauten Pfunden fragte er: Haben wir unsere Pfunde vergraben? Die Kirche tue jeden Tag Gutes, es stehe nur nicht in den Schlagzeilen. Alle „Talente“ seien in der Kirche mit dem diakonischen Auftrag zu verknüpfen. Als „Kirche für andere“ müsse Kirche sich fragen, wo, an wen, wie und wie viel sie investiere. Als „Kirche mit anderen“ lebe Kirche von Vertrauen, das Blanz als Kern christlicher Botschaft und christlichen Lebens auswies. Kirche könne Vertrauensverhältnisse in die Gesellschaft tragen, wenn sie sich in und mit dieser Gesellschaft verstehe. Kirche solle außerdem eine ökumenische Kirche sein und eine Kultur der Versöhnung etablieren.

Als Fazit hielt Blanz drei Kernbegriffe fest: Konvivenzgemeinschaften sind Vertrauensgemeinschaften, die Gottes Vertrauen zu uns in der Welt Wirklichkeit werden lassen. Konvivenzgemeinschaften sind Verantwortungsgemeinschaften, die um Recht und Gerechtigkeit ringen. Konvivenzgemeinschaften sind Versöhnungsgemeinschaften, die neue Chance angehen und die Kunst des guten Miteinanders ermöglichen.

Mit zahlreichen Praxisbeispielen kam Blanz so insgesamt zu einem ermutigenden, hoffnungsvollen Grundton, der das bereits Geleistete würdigte und zum weiteren Ausschöpfen der Potenziale an Konvivialität aufrief.

Die anschließende Diskussion beschäftigte sich mit Anwendungsmöglichkeiten in Kirchengemeinden, der Chance konvivialer Praxis zwischen zunehmend verselbständigter Diakonie und Kirche, der Bedeutsamkeit von Konflikten in Gemeinschaften und der Außenkommunikation von Kirche über eigene Leistungen.

Wir danken Fritz Blanz für diese aktuell so relevanten Impulse und Pfarrer Florian Barth für die Gastfreundschaft in den Räumlichkeiten der Kapellengemeinde sowie die technische Realisierung.

 

Lisanne Teuchert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Diakoniewissenschaftlichen Institut.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 15.08.2023
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