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Auf Leben und Tod

Wenn beim „ECMO-Hintergrunddienst“ auf der Intensivstation des Klinikums Mannheim das Telefon klingelt und ein Patient angekündigt wird, dessen Leben nur noch dadurch zu retten ist, daß sein Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff versorgt wird, stehen vier Anaesthesisten in Alarmbereitschaft. Innerhalb von einer Stunde haben sie das „ECMO-System“ aus Schläuchen, Pumpen, Oxygenatoren in Betrieb genommen und den Menschen mit der Maschine verbunden. Etwa 50mal im Jahr erreicht sie ein solcher Anruf. Durch die Erfahrung der Ärzte gelingt es in der Mehrzahl der Fälle, die Situation auf konservativem Weg zu beherrschen. Immer häufiger wird der Einsatz der künstlichen Lunge allerdings bei jungen Patienten mit schwersten lebensbedrohlichen Pneumonien erforderlich, die innerhalb von 48 Stunden tödlich verlaufen. Michael Quintel, Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, berichtet über die Geschichte der extrakorporalen Membranoxygenierung.

Die Versuche, die Aufgabe der Lunge von Maschinen übernehmen zu lassen, reichen in das Jahr 1937 zurück. Die ausgedehnte pulmonale Embolie, das heißt der Verschluß der Lungenarterie bei einem Patienten durch ein verschlepptes Blutgerinnsel, veranlaßte John Gibbon, nach einer Methode zu suchen, mit der sich die Blutzirkulation außerhalb des Körpers aufrechterhalten ließ. Die von ihm konzipierte Herz-Lungen-Maschine wurde 1953 erstmals klinisch eingesetzt. Der erste Patient verstarb, der zweite konnte erfolgreich am offenen Herzen operiert werden. Diese Entwicklung stellt einen Meilenstein in der Geschichte der extrakorporalen Zirkulation dar. Es zeigte sich jedoch bald, daß die Herz-Lungen-Maschinen, die für kurze kardiochirurgische Eingriffe erfolgreich eingesetzt werden konnten, todbringend waren, wenn sie über mehrere Stunden verwendet wurden. Die Patienten verstarben im wesentlichen an Problemen, die durch den direkten Kontakt zwischen Blut und Gas in den künstlichen Lungen entstanden. Mikro- und Makroluftblasen wurden in den Blutkreislauf eingeschwemmt. Daneben trat eine ausgeprägte Hämolyse auf. Luftembolie und Hämolyse führten schließlich zum Multiorganversagen. Technische Verbesserungen ermöglichten 1972 die erste erfolgreiche veno-arterielle „Langzeitperfusion“ am Menschen, von der Donald Hill und Mitarbeiter berichteten. Drei Tage Perfusionszeit bei einem 22-jährigen polytraumatisierten Patienten mit Aortenruptur waren für die damalige Zeit ein unglaublicher Erfolg, auch wenn aus heutiger Sicht eine Behandlungszeit von drei Tagen eher als Kurzzeittherapie gilt. Von 1974 bis 1976 leitete das National Heart and Lung Institute in Bethesda, USA, eine Multizenterstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit des extrakorporalen Lungenersatzes beim akuten Lungenversagen erwachsener Patienten, deren Ergebnisse 1979 publiziert wurden. In die Studie sollten 300 Patienten aufgenommen werden. Nach Einschluß von 92 Patienten wurde die Studie abgebrochen, da sowohl in der Kontrollgruppe als auch bei den Behandelten weniger als 10 Prozent der Patienten überlebten. Die Ergebnisse dieser Studie waren für die weitere Entwicklung des extrakorporalen Lungenersatzes von weitreichender Bedeutung und zeigen bis heute sichtbare Folgen. Das ernüchternde Resultat führte in den USA zu einem vollständigen Abbruch der klinischen Anwendung und Erforschung des Verfahrens bei Erwachsenen.

Unbeeinflußt davon entwickelte sich dagegen die ECMO-Therapie bei Neugeborenen weiter. Robert Bartlett und seine Mitarbeiter retteten erstmals 1975 einem Neugeborenen mit Hilfe einer künstlichen Lunge das Leben. Es ist das Verdienst der außergewöhnlichen Persönlichkeit Bartletts, daß die Entwicklung von ECMO bei Neugeborenen kontinuierlich weiterging – mittlerweile sind weltweit etwa 10 000 Neugeborene behandelt worden.

Bis die Therapie in Europa aufgegriffen wurde vergingen allerdings zehn Jahre. Dem Klinikum Mannheim kommt hier eine Vorreiterrolle zu. Als erste in Europa behandelten Walter Kachel und seine Mitarbeiter 1986 ein Neugeborenes mit ECMO und etablierten das Verfahren in der Pädiatrischen Klinik. Lange Zeit blieb Mannheim die einzige Institution in Deutschland für ECMO bei Neugeborenen. In neuerer Zeit folgten Berlin und München. – Ende 1992 begann das Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin im Klinikum Mannheim mit der Behandlung erwachsener Patienten. Damit ist Mannheim die einzige Klinik in Europa, die den extrakorporalen Lungenersatz für Patienten aller Altersgruppen in einer Einrichtung anbietet und eines der erfahrendsten Zentren der Welt. Bis heute sind in Mannheim insgesamt 150 ECMO-Patienten behandelt worden, davon 95 Neugeborene. Die Kooperation als Zentrum blieb nicht nur auf klinische Fragen beschränkt, sondern hat zu einer Reihe gemeinsamer wissenschaftlicher Projekte und Entwicklungen geführt. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule für Technik in Mannheim wurden rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen von Schlauch- und Oxygenatoroberflächen durchgeführt. Auf Grund der Ergebnisse werden heute die Systeme während der Therapie routinemäßig nach acht Tagen ausgewechselt. Es wurde ein kontinuierliches Datenerfassungsprogramm geschaffen, das alle lebenswichtigen Patientendaten, aber auch verfahrenstypische Parameter wie Oxygenatordrucke und Pumpenflußrate abspeichert und damit jederzeit zugänglich macht. In Deutschland bieten vor allem die Universitätskliniken Marburg, Berlin, Freiburg, Mannheim und München die Therapie an. Bislang wurden in Europa etwa 400 Erwachsene behandelt, mehr als doppelt so viele wie in den USA. Der erfolgreiche Einsatz der künstlichen Lunge führte zu einer Reihe von technischen Neuerungen bei Kanülen, Pumpen und Oxygenatoren, die die typischen Komplikationen der Behandlung eindrucksvoll reduziert haben. Vor allem die Entwicklung von ECMO-Systemen mit heparinbeschichteten Oberflächen, die die Gerinnselbildung verhindern, hat wesentlich zu komplikationsärmeren Therapieverläufen beigetragen. Die Zerstörung der Blutkörperchen und die Aktivierung des Gerinnungssystems während der Therapie konnte ebenfalls deutlich verringert werden. Komplikationen können entweder den Patienten betreffen, zum Beispiel Blutungen, neurologische Ausfälle, zusätzliches Organversagen, Stoffwechselstörungen und Sepsis, oder die mechanische Durchführung durch Oxygenatorversagen, Schlauchrisse, Pumpenstörungen. Schwerwiegende Blutungskomplikationen sind heute bei der Verwendung heparinbeschichteter Systeme eine Seltenheit, da das Blut des Patienten nicht mehr vollständig ungerinnbar gemacht werden muß, sondern für die ECMO-Therapie Heparinmengen ausreichen, wie sie auch zur Thromboseprophylaxe verabreicht werden. In Untersuchungen am Schaf konnte in Mannheim gezeigt werden, daß mit herparinbeschichteten Systemen eine Extrakorporalzirkulation ganz ohne Heparingabe über die Dauer von 24 Stunden möglich ist, ohne daß es dabei zu Gerinnselbildungen kommt. Heparin kann kovalent an die unterschiedlichen Komponenten des Systems gebunden werden, wobei die Bindung auch im Langzeiteinsatz stabil ist und bislang kein Auswascheffekt beobachtet wurde. Ein neues Beschichtungsverfahren, das eine Kombination aus kovalenter Bindung und ionischer Interaktion darstellt (Bioline®, Jostra, Hirrlingen), wurde in Mannheim erstmals erfolgreich bei ECMO erprobt.

Zwar ist eine beschichtete Einheit etwa doppelt so teuer wie ein konventionelles System, doch der geringere Bedarf an Blutkonserven gleicht die Mehrkosten weitgehend aus – ganz abgesehen von den unübersehbaren Vorteilen für den Patienten. Komplikationsfreie Bypasszeiten von 60 Tagen und mehr werden immer häufiger publiziert, Helmuth Forst berichtete 1994 von 104 Tagen. Die Zahlen des ECMO-Pioniers Luciano Gattinoni verdeutlichen die Verbesserung: Bei einer Perfusionszeit von mehr als 22 000 Stunden sah er keine lebensbedrohliche technische Komplikation. Gattinoni, der die Methode in den USA gelernt und in Europa Erwachsene mit einem modifizierten Verfahren behandelt hatte, erzielte damit als erster eine Überlebensrate von 50 Prozent.

Die kontinuierliche Entwicklung und der internationale Erfahrungsaustausch führte 1988 zur Gründung der „Extracorporeal Life Support Organization“ (ELSO) mit Sitz in Ann Arbor, USA, als Dachorganisation der ECMO-Zentren und 1991 zur Gründung einer eigenständigen europäischen Organisation, der „European Extracorporeal Life Support Organization“ (EESO).

Das Prinzip der Therapie beruht auf der Ausleitung des sauerstoffarmen, kohlendioxidreichen Bluts aus dem Herzen, genauer aus dem rechten Vorhof, dem Transport über ein Schlauchsystem in eine oder zwei künstliche Lungen – wo das giftige Kohlendioxid entfernt und Sauerstoff hinzugefügt wird – und der Rückführung des oxygenierten Bluts in eine große Vene. Die Rückführung in die Arteria carotis kommt nur noch in speziellen Fällen bei schwer atemgestörten Neugeborenen zum Einsatz. Herzstück des ECMO-Systems ist der Oxygenator. Das Klinikum Mannheim verwendet einen „Membrandiffusionsoxygenator“, eine schlichte Kunststoffröhre, etwa 30 Zentimeter lang. Darin befindet sich eine Membran aus hauchdünn ausgezogenem Silikongummi, die für Sauerstoff und Kohlendioxid durchlässig ist. Auf der einen Seite der Membran strömt das Blut des Patienten, auf der anderen Seite Sauerstoff. Die Membran ist so geformt, daß eine möglichst große Oberfläche für den Gasaustausch entsteht. Blut und Gas treten nie in direkten Kontakt, dadurch werden Komplikationen vermieden, allerdings der Gasaustausch auch etwas gemindert. Trotzdem ziehen die Mannheimer Ärzte diese Form der künstlichen Lunge den sogenannten Hohlfaseroxygenatoren vor, die auf wesentlich geringerem Raum einen effektiveren, da nicht durch eine Membran behinderten Gasaustausch, ermöglichen. Sie ähneln einem gewickelten Wollknäuel aus hauchdünnen Kunststoffasern mit Mikroporen. Hier ist ein direkter Kontakt zwischen Blut und Gas möglich, so daß auch Blut in die Gasphase übertreten kann. Dadurch ist das System viel störanfälliger: Der Oxygenator „leckt“ an den Gasauslaßöffnungen. Der Plasmaaustritt kann erhebliche Ausmaße annehmen und reduziert darüber hinaus die Leistung der künstlichen Lunge so stark, daß das System ausgewechselt werden muß.

Als zweite Absicherung gegen Störung arbeiten bei dem in Mannheim entwickelten ECMO-System „Modell Mannheim“ zwei künstliche Lungen parallel. Wenn zum Beispiel ein Schlauch durch ein Blutgerinnsel verstopft wird, kann der Blutfluß im zweiten kompensatorisch erhöht werden.

Üblicherweise erfolgt der Bluttransport beim extrakorporalen Lungenersatz durch Roller- oder Zentrifugalpumpen. Sie haben den Nachteil, daß sie die Blutkörperchen zerstören. Neuere Pumpensysteme versuchen, diesen schädigenden Einfluß zu minimieren. Ein besonders interessanter Ansatz ist eine komprimierbare Kunststoffkammer, eine Ventrikelpumpe, die die Funktionsweise des Herzens imitiert und das Blut in einer passiven Füllungsphase aus dem Körper drainiert und in ener aktiven Pumpphase durch das ECMO-System transportiert. In vitro und im Tierexperiment konnte sie bereits erfolgreich getestet werden.

Die Schläuche, über die der Patient mit der künstlichen Lunge verbunden ist, haben bei Erwachsenen das Kaliber eines Gartenschlauchs. Bei Erwachsenen und Kindern werden sie an eine große Vene „angeschlossen“. Übliche Punktionsorte sind die Venae jugularis, brachiocephalica und femoralis. Zunächst wird mit einer dünnen Stahlnadel die Vene punktiert und ein Führungsdraht eingebracht, über den Dilatatoren mit aufsteigendem Kaliber im Gefäß plaziert werden bis der Kanülendurchmesser erreicht ist. Dann wird die Kanüle selbst inseriert, die vorbereitete ECMO-Einheit an den Patienten angeschlossen und der Pumpenfluß langsam gesteigert. Nach Blutgasanalysen kann die konventionelle Beatmung mit dem Ziel reduziert werden, die Lunge vor den schädigenden Auswirkungen der invasiven, mechanischen Beatmung zu schützen, denn hohe Beatmungsdrucke, große Atemzugvolumina sowie ein hoher Sauerstoffanteil können eine zuvor gesunde Lunge bis zum Versagen des Organs schädigen.

Die Hauptindikation zum Lungenersatz stellt das akute Lungenversagen, „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS), dar. Dieses Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch eine anhaltende schwerste Störung des Gasautauschs und hat eine Letalität von 50 bis 90 Prozent. Häufig sind gerade junge Patienten ohne wesentliche Vorerkrankungen nach schwerem Trauma, hämorrhagischem Schock, Pneumonie, Aspiration von Mageninhalt oder „Beinahe-Ertrinken“ betroffen. Schwere Verlaufsformen führen zu akutem, durch konservative Therapie nicht beherrschbarem Sauerstoffmangel. Obwohl das Krankheitsbild ganz unterschiedliche Ursachen hat, zeigen die Veränderungen an der Lunge uniformen Charakter. Es kommt zu einer fortschreitenden, schwersten Entzündung des Organs. Die zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Sauerstoffversorgung erforderliche invasive Beatmung schädigt die Lunge zusätzlich – es entsteht ein therapeutischer „circulus vitiosus“. In dieser Situation kann der extrakorporale Lungenersatz Leben retten.

Das ECMO-Zentrum Mannheim führt in kritischen Situationen sowohl bei Erwachsenen und Kindern als auch bei Neugeborenen eine Behandlungsphase der maximal erweiterten konservativen Therapie durch, deren Erfolg oder Nichterfolg über den Einsatz der Lungenmaschine entscheidet. Dieser Behandlungsalgorhythmus wurde durch die Berliner ECMO-Gruppe am Klinikum Rudolf Virchow vorgestellt. Damit eröffnet sich außerdem die Möglichkeit zur erweiterten computertomographischen Diagnostik, und in einigen Fällen läßt sich eine bis dahin unbekannte Kontraindikation erkennen. Nach den Mannheimer Erfahrungen und den Angaben aus anderen Zentren können 60 bis 80 Prozent der Patienten erfolgreich konservativ therapiert werden. Der Behandlungserfolg kann dabei aus unserer Sicht häufig nur vor dem Hintergrund des jederzeit möglichen Anschlusses an die ECMO-Einheit erreicht werden.

Bei der Behandlung von Kindern und Erwachsenen werden weltweit Überlebensraten von etwa 50 Prozent erzielt, bei Neugeborenen sind es 80 Prozent. Der Unterschied wird überwiegend durch die unterschiedlichen Ursachen des Lungenversagens bedingt – bei Frühgeborenen ist das Organ selbst meist gesund – und schlägt sich auch in einer deutlich kürzeren Bypasszeit von durchschnittlich fünf Tagen gegenüber zirka 21 Tagen bei Erwachsenen nieder. Während Neugeborene oft schon nach zwei Wochen entlassungsfähig sind, kann die weitgehende Normalisierung der Lungenfunktion nach erfolgreicher Therapie bei Kindern und Erwachsenen bis zu einem Jahr dauern. Bleibende Beeinträchtigungen der Lebensqualität sind in der Regel Folge der Grunderkrankung oder der primären Verletzungen. Bei Neugeborenen kommt die künstliche Lunge vor allem bei schweren Krankheitsbildern zum Einsatz, die mit einer persistierenden pulmonalen Hypertonie (PPHN) assoziert sind, wie Sepsis, angeborene Zwerchfellhernie, wobei Bauchorgane durch ein Loch im Zwerchfell in den Brustkorb treten und die Entwicklung der Lunge behindern, und – am häufigsten – die Mekoniumaspiration, bei der sogenanntes Kindspech aus dem Darm die Lunge verklebt, wenn es eingeatmet wird. Daneben berichtet eine Reihe von Publikationen über erfolgreiche ECMO-Einsätze beim status asthmaticus, bei Herzerkrankungen mit kardiogenem Schock (low output syndrome), vor oder nach schweren Operationen oder Transplantationen und als Überbrückung zur Lungentransplantation. Im eigenen Zentrum konnte ein vier Monate alter Säugling mit viraler Myocarditis und Herz-Kreislauf-Versagen erfolgreich mit einem veno-arteriellen Bypass behandelt werden.

Langzeit-Follow-up-Studien von Neugeborenen geben eine Rate von 10 bis 15 Prozent bleibender Schädigungen an, vor allem minimale neuromotorische Dysfunktionen, Hörstörungen, psychomotorische Störungen und Lernstörungen. Da Neugeborene häufig im Zustand extremen Sauerstoffmangels zur Therapie kommen, bleibt die Frage offen, ob die beobachteten Schäden nicht vielmehr Folgen des ausgeprägten Sauerstoffmangels in der Prä-ECMO-Phase darstellen. Dafür spricht, daß Neugeborene mit gleichen Grunderkrankungen, deren schwere Atemstörung mit konservativer Therapie gerade noch beherrscht werden konnte, durchschnittlich sogar eine etwas schlechtere Entwicklungsprognose haben.

Ebenso wie die Indikationen sind die Kontraindikationen für ECMO kontinuierlichen Änderungen unterworfen. Bei der Anwendung heparinbeschichteter Systeme gilt eine aktive Blutung zum Beispiel nur noch als relative Einschränkung. Die Therapie verbietet sich bei konsumierenden Erkrankungen, Schädel-Hirn-Verletzungen mit neurologisch schlechter Prognose sowie einem Alter über 60 Jahren und bei Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm. Sehr sorgfältig abgewogen werden muß der Lungenersatz bei Immunsupression, Schädel-Hirn-Verletzungen mit offener Prognose und vorausgehender, langdauernder invasiver Beatmung – über fünf bis zehn Tage, wobei die Werte nicht verbindlich sind. Die wichtigste grundsätzliche Prämisse läßt sich mit „expected good quality of life“ zutreffend beschreiben.

Der Einsatz der künstlichen Lunge bedeutet auch, immer wieder mit der Frage eines Therapieabbruchs konfrontiert zu werden. Weniger die Begrenztheit der Ressourcen als vielmehr ethisch vertretbares ärztliches Handeln erfordern, sich dieser Frage kritisch zu stellen. Der temporäre, weitgehende Ersatz der Lunge dient dem Ziel ihrer Heilung. Unabhängig davon, nach welchen Kriterien die Aussichten auf eine potentielle Heilung beurteilt werden, scheint aus ethischer und pragmatischer Sicht ein Abbruch der Behandlung dann gerechtfertigt, wenn dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Unseren Erfahrungen zufolge konnten diese Entscheidungen bislang immer im Konsens mit den Angehörigen getroffen werden.

Während in den USA derzeit 1431 besonders trainierte „ECMO-specialists“ registriert sind, – 75 Prozent Pflegekräfte, 22 Prozent Respiratortherapeuten, drei Prozent aus anderen medizinischen Berufen – die die Patienten an der künstlichen Lunge betreuen, fehlt in Europa eine vergleichbare spezialisierende Weiterbildung. Im ECMO-Zentrum Mannheim ist es gelungen, durch ein wiederholtes Fortbildungs- und Trainingsprogramm ein Team von kompetenten und hochmotivierten Pflegekräften zu schaffen, das in Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Dienst eine adäquate Betreuung gewährleistet. Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland allerdings in keiner Einrichtung spezielle, für diese Therapie ausgewiesene Stellenpläne.

Extrakorporaler Lungenersatz stellt aus unserer Sicht ein etabliertes Verfahren zur Behandlung schwerer respiratorischer Krisen bei Patienten aller Altersgruppen dar, das in erfahrenen Zentren mit einer geringen Komplikationsrate behaftet ist. Die vorliegenden Zahlen im Erwachsenen- und Kinderbereich rechtfertigen die Therapie trotz des Fehlens einer randomisierten, multizentrischen Studie zum Nachweis der Effektivität, die aus methodischen und logistischen Gründen in absehbarer Zeit wohl kaum auf den Weg gebracht werden kann. Bei Neugeborenen ist mit der „United Kingdom ECMO-Study“, in die viele neonatologische Zentren Englands eingeschlossen waren, erstmals der Beweis gelungen, daß ECMO-behandelte Neugeborene eine doppelt so hohe Überlebensrate haben wie die konventionell behandelten mit einem vergleichbaren Krankheitsbild. Verbesserungen und Vereinfachungen der Systeme und Pumpen können in Zukunft möglicherweise den Kosten- und Personalaufwand reduzieren und die Therapie noch effektiver machen. ECMO bleibt aber bei allen denkbaren Innovationen ein invasives Verfahren, dessen Einsatz vor dem Hintergrund der Entwicklung alternativer Behandlungsmöglichkeiten immer wieder kritisch geprüft werden muß.

Autoren:
Dr. Michael Quintel, Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Theodor-Kutzer-Ufer, 68167 Mannheim,
Telefon (0621) 383 24 15

Prof. Dr. Walther Kachel
Kinderklinik, Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg

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