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Die sanfte OP

Selbst aufwendige Operationen sind heute mit der „Schlüsselloch-Chirurgie“ möglich

von Carsten Gutt

Vor 25 Jahren begann das Zeitalter der minimal-invasiven Chirurgie. Sie verzichtet auf große operative Zugänge und schont den Patienten. Operationsroboter und Computer haben das Verfahren mittlerweile optimiert und erlauben es, auch komplexe Eingriffe vorzunehmen. Entscheidend für den Operationserfolg ist jedoch nach wie vor die Erfahrung des Operateurs.

Die „Schlüsselloch-Chirurgie“ hat die Medizin revolutioniert. Seit sie in die chirurgische Klinik eingeführt wurde, hat sich eine neue Denkweise etabliert, die ihren Ausdruck im Begriff „minimal-invasive Chirurgie“ fand. Für minimal-invasive Eingriffe in der Bauchhöhle hat sich der Terminus „Laparoskopie“ durchgesetzt: Mit einer starren Optik, dem Laparoskop, wird die Bauchhöhle inspiziert. Die Voraussetzung dafür ist ein Raum, ein so genanntes Pneumoperitoneum, der mithilfe von Kohlendioxid geschaffen wird, das in den Bauchraum eingebracht wird. Anschließend kann das Laparoskop eingeführt werden, eine aufgesetzte Kamera überträgt das Bild aus dem Inneren des Körpers auf einen Monitor. Zunächst diente die Laparoskopie nur dazu, Organe zu beurteilen; gleichzeitig machte sie es möglich, Gewebeproben zu entnehmen (diagnostische Laparoskopie). Heute erfolgen selbst aufwendige operative Eingriffe im Bauchraum mit der laparoskopischen Chirurgie.

Instrumente, die es erlauben, das Innere des menschlichen Körpers zu inspizieren, kennt man bereits aus der Antike. Natürliche Körperöffnungen aber auch kleinere Schnitte wurden dabei als Zugänge verwendet. Den ersten Schritt in Richtung moderne Endoskopie machte der Frankfurter Arzt Philipp Bozzini (1773-1808). Er entwickelte im Jahr 1805 den „Lichtleiter“: Ein geteilter Hohlspiegel leitete das Licht einer Wachskerze in das Körperinnere und ermöglichte es, Körperhöhlen gleichzeitig auszuleuchten und zu betrachten. Von Maximilian Nitze (1848-1906) stammt das „Zystoskop“: Der Dresdner Arzt setzte es 1879 zur Spiegelung der Harnblase ein. Das Zytoskop war mit einer Glühlampe kombiniert, und ein Linsensystem erlaubte erstmals, das Bild von der Spitze des Endoskops bis zu den Augen des Untersuchers zu übertragen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde gezielt versucht, die Bauchhöhle ohne großen Bauchschnitt zu inspizieren. Georg Kelling (1866-1945), Chirurg in Dresden, entwickelte die „Lufttamponade“: Durch das Einblasen von Luft in die Bauchhöhle und den dadurch entstehenden Druck konnte er Blutungen im Bauchraum stillen. 1901 gelang ihm mithilfe des Zystoskopes im Tierversuch die erste Bauchspiegelung, nachdem die geschlossene Bauchhöhle mit Luft gefüllt worden war.

Im Jahr 1910 wurde die Arbeit des Schweden Christian Jacobaeus bekannt. Er nutzte die Technik der Bauchspiegelung zur Diagnose von Lebererkrankungen, prägte erstmals den Begriff „Pneumoperitoneum“ und erfand den „Trokar“, ein Röhrchen mit Ventil, das es erlaubt, Endoskop und Instrumente zu wechseln, ohne dass dabei Luft aus dem Bauchraum entweicht. Mit dieser Methode diagnostizierte Jacobaeus zahlreiche Erkrankungen in der Bauchhöhle. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Optik und Lichtquellen entscheidend verbessert. Das war die Basis für die Entwicklung der modernen Laparoskopie.

Zunächst wurde die Laparoskopie ausschließlich von Gynäkologen genutzt. Die erste laparoskopische Entfernung des Blinddarms gelang dem Gynäkologen Kurt Semm im Jahr 1980. Die Chirurgie hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein Interesse an der Methode. Als eigentlicher chirurgischer Pionier der operativen Laparoskopie gilt Erich Mühe, der am 12. September 1985 die erste Gallenblase laparoskopisch entfernte. Mühe war seiner Zeit wwvoraus – sein Verfahren fand in Deutschland nicht die verdiente Beachtung. In Frankreich entfernte Philippe Mouret aus Lyon im Jahr 1987 erstmals laparoskopisch eine Gallenblase. Francois Dubois aus Paris folgte ein Jahr später. Sein enthusiastischer Bericht über die ersten 36 laparoskopischen Operationen der Gallenblase erregte weltweites Aufsehen. Das Zeitalter der minimal-invasiven Chirurgie, der „Schlüsselloch-Chirurgie“, begann.

Heute ist das laparoskopische Entfernen der Gallenblase „Goldstandard“ der chirurgischen Therapie von Gallensteinleiden. Auch akut entzündete Gallenblasen können seit einigen Jahren laparoskopisch entfernt werden. Es gibt heute kaum noch einen Grund, einen größeren Bauchschnitt vorzunehmen, um eine Gallenblase zu entfernen. Die operative Therapie der Refluxkrankheit – aufgrund eines defekten Schließmuskels fließt saurer Mageninhalt in die Speiseröhre – erfolgt heute ebenfalls grundsätzlich minimal-invasiv. Auch seltenere Erkrankungen der Speiseröhre werden aufgrund der exzellenten Sichtverhältnisse in dieser Körperregion heute vorwiegend laparoskopisch durchgeführt. Zurzeit werden neue Verfahren klinisch geprüft, die spannungsfreie Kunststoffnetze nutzen, um das Zwerchfell zu verstärken (Mesh-Augmentierte-Hiatusplastik).

Auch die laparoskopische Entfernung des akut entzündeten Blinddarms ist in vielen Kliniken Standard. Untersuchungen haben ergeben, dass übergewichtige Patienten nach der laparoskopischen Entfernung des Blinddarms weniger Wundinfektionen entwickelten als Patienten, bei denen die konventionelle Technik mit dem typischen Bauchschnitt angewendet wurde. Bei unklaren Schmerzen, vor allem bei jungen Frauen, ist es außerdem möglich, mit der diagnostischen Laparoskopie andere Ursachen auszuschließen. Bei einem Blinddarmdurchbruch kann es nach der laparoskopischen Operation allerdings vermehrt zu Abszessen im Bauchraum kommen. In diesem Fällen wird daher ein ausgiebiges Spülen der Bauchhöhle während der Operation, gegebenenfalls das Umsteigen auf die offene Technik empfohlen. Das laparoskopische Entfernen einer Nebenniere bei gutartigen Tumoren sollte bei geringer Tumorgröße minimal-invasiv erfolgen. Dabei kann sowohl der Weg durch die vordere Bauchdecke als auch der Weg über die Flanke gewählt werden. Welche der beiden Techniken vorteilhaft ist, hängt von individuellen Faktoren des Patienten und von der Erfahrung des Chirurgen ab. Besteht der Verdacht auf einen bösartigen Tumor, ist ein offenes Vorgehen dringend empfohlen, um eine mögliche Streuung von Tumorzellen zu vermeiden.

Die Chirurgie der krankhaften Fettsucht (Adipositas) ist in den Vereinigten Staaten mittlerweile die häufigste laparoskopische Operation. In umfangreichen Studien wurde gezeigt, dass mit chirurgischen Maßnahmen, die auf eine eingeschränkte Nahrungsaufnahme (restriktive Verfahren) und/oder auf eine Behinderung der Verdauung (malabsorptive Verfahren) zielen, bei Adipositas deutlich bessere Behandlungserfolge zu erreichen sind als mit der herkömmlichen Bewegungs- und Ernährungstherapie. Chirurgische Interventionen haben bei der Behandlung des krankhaften Übergewichts einen festen Platz, vor allem dann, wenn konservative Therapieversuche wiederholt ohne dauerhaften Erfolg geblieben sind. Die bekanntesten Verfahren der Übergewichtschirurgie sind das Magenband (restriktiv) sowie der Magenbypass (restriktiv/malabsorptiv). Beide erfolgen laparoskopisch. Mit diesen Verfahren kann das Übergewicht mittel- bis langfristig um 50 (Magenband) bis 70 Prozent (Magenbypass) gesenkt werden. Ein anderes viel versprechendes Verfahren, das derzeit klinisch erprobt wird, ist die laparoskopische Magenschlauchbildung („Gastric Sleeve“). Besonders interessant ist, dass Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck mit diesen chirurgischen Maßnahmen geheilt werden können („metabolische Chirurgie“).

Die Chirurgie des Leisten-, aber auch des Bauchwandbruchs kann effektiv und schonend laparoskopisch erfolgen. Bei der laparoskopischen Versorgung des Leistenbruchs wird die Bauchwand mit einem Kunststoffnetz verstärkt. Gegenüber offenen Verfahren, bei denen der Zugang über einen Schnitt in der Leiste erfolgt, ist die laparoskopische Technik für die Patienten weniger schmerzhaft; erfahrene Zentren berichten zudem von hervorragenden Langzeitergebnissen.

Das laparoskopische Entfernen eines Teils des Dickdarms bei der  „Divertikelerkrankung“, einem Leiden, bei dem es zu sackförmigen Ausstülpungen (Divertikeln) der Darmwand kommt, ist heute in vielen Zentren Standard. Dennoch werden trotz hervorragender Ergebnisse in Deutschland  bislang nur rund  50 Prozent der Betroffenen minimal-invasiv operiert. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Operation der Divertikel verglichen mit dem Entfernen einer Gallenblase oder dem Versorgen eines Leistenbruchs komplizierter ist. Sie verlangt einen erfahrenen Operateur und ein erfahrenes Operationsteam.

Das vollständige Entfernen von Dick- und Enddarm, etwa bei entzündlichen Erkrankungen oder genetisch bedingten Fehlbildungen, ist eine der kompliziertesten laparoskopischen Operationen. Als Ersatzorgan für den fehlenden Enddarm muss während des Eingriffs ein so genanntes Dünndarmreservoir geschaffen werden. Diese Operationen bleiben spezialisierten  Zentren vorbehalten.

Das laparoskopische Entfernen der Milz bei bestimmten immunologischen Erkrankungen ist sinnvoll, wenn die Milz eine gewisse Größe nicht überschreitet. In vielen Zentren hat sich auch das so genannte hand-assistierte Vorgehen bewährt: Zusätzlich zu den Instrumenten wird die Hand des Operateurs über einen kleinen Schnitt in den Bauchraum eingeführt. In begrenztem Ausmaß können auch Operationen an Leber, Magen und Bauchspeicheldrüse minimal-invasiv erfolgen. Allerdings handelt es sich hierbei um seltene und anspruchsvolle Operationen, deren Stellenwert noch nicht eindeutig geklärt ist.

Zunehmend häufiger erfolgen auch größere Eingriffe laparoskopisch, etwa bei bösartigen Tumoren des Bauchraumes. Neben dem Dickdarmkarzinom, bei dem die Effektivität der laparokopischen Operation bereits nachgewiesen ist, scheint es auch sinnvoll zu sein, Enddarm- und Speiseröhrentumoren laparoskopisch zu operieren. Wegen der erheblichen Komplexität erfolgen derzeit jedoch weniger als zehn Prozent dieser Operationen laparoskopisch. Viele Chirurgen sind zudem noch misstrauisch, ob mit der laparoskopischen Technik genauso radikal wie beim offenen Operieren vorgegangen werden kann. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die besonderen onkologischen Anforderungen auch laparoskopisch erfüllt werden können. Die Dreijahres-Ergebnisse einer großen Studie haben ergeben, dass die laparoskopische Technik bei bösartigen Dickdarmtumoren zumindest gleichwertig mit dem offenen Operieren ist.

Grundsätzlich gilt: Je anspruchsvoller eine laparoskopische Operation ist, desto seltener wird sie flächendeckend in der Chirurgie angewendet. Das laparoskopische Entfernen eines tiefen Enddarmtumors beispielsweise zählt zu den anspruchsvollen Eingriffen, die bislang nur wenig Verbreitung gefunden haben. Grund dafür ist die komplexe Anatomie im kleinen Becken, die Enge und deshalb nur eingeschränkte Beweglichkeit der laparoskopischen Instrumente. Die Ergebnisse einzelner Zentren demonstrieren jedoch, dass bei entsprechender Expertise gute Ergebnisse zu erzielen sind. Besonders im kleinen Becken erscheint der Einsatz so genannter Operationsroboter künftig viel versprechend.

Zur minimal-invasiven Chirurgie der Speiseröhre werden heute viele unterschiedliche Strategien und Verfahren verwendet. Das Entfernen der Speiseröhre kann komplett über den Bauchraum oder kombiniert mit  einer Spiegelung der Brusthöhle erfolgen. An der Vielzahl der verwendeten Techniken ist bereits abzulesen, dass sich bislang keiner der Ansätze als besonders vorteilhaft erwiesen hat. Gemeinsam ist allen ein extrem hohes Maß an Komplexität, das höchste Ansprüche an den Operateur und sein Team stellt. Das ist wohl der entscheidende Grund für die bis dato geringe Verbreitung. Die minimal-invasive Chirurgie hat jedoch sicherlich das Potenzial, die Therapie von Erkrankungen der Speiseröhre in nächster Zeit nachhaltig zu verändern. Auch hier ist der Einsatz von Operationsrobotern interessant, in einzelnen Zentren werden die OP-Roboter bereits klinisch evaluliert.

Bevor die minimal-invasive Chirurgie flächendeckend in die Therapie bösartiger Erkrankungen eingeführt wird, sollte gewährleistet sein, dass die onkologischen Prinzipien – genau wie in der offenen Chirurgie – konsequent beachtet werden. Dazu bedarf es eines umfassenden Trainings, nicht nur der Chirurgen, sondern auch des  Operationsteams; auch das konsequente Umsetzen multimodaler onkologischer Behandlungskonzepte und eine aussagekräftige Qualitätssicherung zählt hinzu.

Um die Bewegungsfreiheit der Instrumente bei laparoskopischen Operationen zu verbessern, wurde vor  einigen Jahren ein Telemanipulator-System (DaVinvi, Intuitive Surgical) entwickelt. Es erlaubt dem Operateur, den Patienten von einer Konsole aus zu operieren. Vorteile des Systems sind die enorme Beweglichkeit der Instrumente, die hoch aufgelöste dreidimensionale Sicht, die ergonomische Position des Operateurs sowie die intuitive Bedienung. Viele unterschiedliche laparoskopische Eingriffe sind mit diesem System bereits weltweit in verschiedenen Zentren durchgeführt worden. Im Vergleich mit der normalen Laparoskopie ließen sich damit allerdings keine messbaren Vorteile für den Patienten erzielen. Erwiesen ist jedoch, dass der Operateur mit dem System schneller komplexe laparoskopische Eingriffe erlernen kann. In den Vereinigten Staaten und in  Deutschland wird das System sehr erfolgreich zum Entfernen der Prostata bei bösartigen Tumoren verwendet. Neben den hohen anfallenden Kosten scheint es jedoch noch in vielerlei Hinsicht verbesserungsfähig zu sein.

Die Zukunft liegt in leichteren, flexibleren und kostengünstigeren Systemen, die den Chirurgen durch eine echte Computer-Assistenz unterstützen. Das Einblenden wichtiger anatomischer Strukturen und Landmarken im Operationsfeld („Augmented Reality“) soll die Orientierung verbessern und größere Sicherheit mit sich bringen. Eine zusätzliche Navigation der Instrumente könnte die ideale Operationsroute vorausberechnen und vom System während der Operation  kontrolliert werden.

Die aktuellste Entwicklung in der endoskopischen Chirurgie ist die „Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery“ , kurz NOTES. Ziel dieses bislang experimentellen Verfahrens ist es, auf Hautschnitte zu verzichten und ausschließlich natürliche Öffnungen für den Zugang in den Körper zu nutzen. Dazu ist es notwendig, Magen, Darm oder Scheide zu perforieren, um mit einem zumeist flexiblen Endoskop das Zielorgan in der freien Bauchhöhle zu erreichen. Der Zugang über die Scheide in Kombination mit der normalen Laparoskopie (Hybridtechnik) erscheint bereits praktikabel. Bei  Magen und Darm sind viele technische Fragen, die an NOTES gestellt werden müssen, bislang nicht ausreichend gelöst. Bis solche Operationen laparaskopisch erfolgen können, sind noch erhebliche Entwicklungsarbeiten zu leisten.

Prof. Dr. Carsten Gutt ist Erster Oberarzt und Leiter der Sektion „Minimal Invasive Chirurgie“ der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Als Hauptantragsteller und wissenschaftlicher Sekretär des DFG-geförderten Graduiertenkollegs „Intelligente Chirurgie“ beschäftigt er sich mit der Entwicklung innovativer chirurgischer Verfahren. An der Universitätsklinik in Frankfurt (1993 bis 2001) führte er in Deutschland die erste roboter-assistierte Operation im Bauchraum durch.
Kontakt: carsten.gutt@med.uni-heidelberg.de


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