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Aus der Stiftung Universität Heidelberg

Ohne Sprache kein Wissen

Jede Erkenntnis ist sprachabhängig: Selbst die so genannten objektiven Wissenschaften müssen ihre Messergebnisse in Sprache fassen und deuten.
von Ekkehard Felder

Das Medium, in dem wir unser Wissen über die Welt fassen, ist die Sprache. Deshalb beinhalten öffentliche Debatten oft einen Streit um Worte: Darf man zum Beispiel von "therapeutischem Klonen" sprechen oder sollte man eher "Forschungsklonen" sagen? Brauchen wir eine "Leitkultur" oder eine "Metakultur"? Wer eine Bezeichnung in der öffentlichen Debatte durchsetzen kann oder Bedeutungskomponenten eines gängigen Ausdrucks zu prägen vermag, der hat sehr oft die Deutungshoheit über den entsprechenden Sachverhalt. Im Mittelpunkt des Symposions "Sprachliche Formationen des Wissens" im Internationalen Wissenschaftsforum stand die Frage nach der Formung von gesamtgesellschaftlich relevanten Wissensbeständen durch sprachliche Mittel. Damit soll das Dialogpotenzial, das zwischen Geistes-, Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften besteht, auf eine Beschreibungsgrundlage durch die Erarbeitung transparenter Kriterien gestellt werden, indem gezeigt wird, wie bei Verwendung bestimmter sprachlicher Mittel der Sachverhalt, die Idee und das Wissen erst konstituiert, gleichsam geschaffen werden. Die Einsicht, dass jede Erkenntnis auch sprachabhängig ist, soll aus linguistischer Perspektive mit den dort erarbeiteten Beschreibungsverfahren präzisiert werden und interdisziplinär anschlussfähig gemacht werden. Denn selbst in den sogenannten objektiven Wissenschaften müssen Messergebnisse in Sprache gefasst und gedeutet werden.

Infolgedessen werden gesamtgesellschaftlich relevante Dispute oft vor ihrem Bekanntwerden in der sogenannten Öffentlichkeit (also vor der Publikation der veröffentlichten Meinungen) in den einzelnen Wissensdomänen geführt. Dort finden Auseinandersetzungen statt, die sich mit unter anderem in der Linguistik entwickelten Diskursbeschreibungsverfahren nachzeichnen lassen. Gelangen die Auseinandersetzungen in den öffentlichen Diskurs und werden dort in überregionalen Publikationsorganen weitergeführt, so sind die mit der Materie vertrauten Fachleute zumeist überrascht, in welch vermeintlich oder tatsächlich unangemessener Form "ihr" fachlicher Gegenstand präsentiert wird.

Um solche Fragen systematisch und interdisziplinär untersuchen zu können, wurde 2005 das Forschungsnetzwerk "Sprache und Wissen – Probleme öffentlicher und professioneller Kommunikation" gegründet (www.suw.uni-hd.de), das im Oktober 2007 zum dritten Mal eine Tagung veranstaltet hat. Das Forschungsnetzwerk ist Partner im Wissenschaftsjahr 2007 – Jahr der Geisteswissenschaften »ABC der Menschheit« und wurde beim Hochschulwettbewerb "Geist begeistert" prämiert. Das Forschungsnetzwerk basiert auf einem Zusammenschluss überwiegend linguistischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich zum Ziel gesetzt haben, in verschiedenen gesellschaftlich relevanten Wissensdomänen aus spezifisch sprachwissenschaftlicher Perspektive die Konstituierung der jeweiligen Sachverhalte zu untersuchen, um dadurch Probleme fachspezifischer und professioneller Kommunikation als auch "veröffentlichter" und öffentlicher Kommunikation über Fachwissen aus sprachlicher Sicht analysieren zu können.

Da sich derartige sprachliche Phänomene in unterschiedlichen Wissensgebieten völlig unterschiedlich darstellen und daher verschieden erfasst werden müssen, besteht der Kern des Forschungsnetzwerks aus Wissensdomänen, in denen fachsprachlich versierte Linguisten mit sprachlich interessierten Fachexperten der Wissensdomänen eng zusammenarbeiten. Von der Erfahrung ausgehend, dass Fachleute häufig über Darstellungsweisen ihrer Wissensgebiete in Medien klagen, ist die Frage von besonderem Interesse, wie auf der einen Seite die Fachexperten die Gegenstände sprachlich konstituieren, um im Anschluss vergleichend untersuchen zu können, wie Medien – im Unterschied zu den Experten der jeweiligen Wissensdomäne – in gemeinsprachlichem Duktus mit Vermittlungsintentionen die Sachverhalte mittels sprachlicher Mittel konstituieren (Nachzeichnen der sich ändernden "Informationsdarstellungen" auf dem Wege der Texttransformationen). Zur fachlichen Unterstützung bilden die fachsprachlich interessierten Linguisten Kooperationen ("Tandems") mit Fachexperten der jeweiligen Wissensgebiete, um das sprachliche Interesse auf einer fachlich fundierten Basis bearbeiten zu können.

Die Grundannahme der erkenntnisformenden Kraft natürlichsprachlicher Zeichen und ihrer Verknüpfung wird im Forschungsnetzwerk "Sprache und Wissen" nicht fachgebietsunabhängig auf allgemeiner Ebene bearbeitet, sondern an verschiedenen Themengebieten exemplarisch spezifiziert, um den unterschiedlichen Charakteristika der Wissensgebiete eher gerecht werden zu können. Bisher existieren die Wissensdomänen Medizin und Gesundheitswesen, Wirtschaft, Unternehmen und Organisation, Architektur und Stadt, Geschichte – Politik – Gesellschaft, Natur – Literatur – Kultur, Naturwissenschaft und Technik, Recht, Schule, Kunst – Kunstbetrieb – Kunstgeschichte, Religion, Mathematik. Denn linguistische Kritik an den zahlreichen Vermittlungsansätzen legt Wert auf die Erkenntnis, dass die Problematik der Wissenskonstitution und des Wissenstransfers nicht alleine durch die Fokussierung von Vermittlungstexten in den Griff zu bekommen ist, sondern nur, wenn die fachspezifischen (sprachlichen) Konstitutionsbedingungen der jeweiligen Fach- und Wissensdomäne als vorgelagerte Wahrnehmungs- und "Wirklichkeits"-Folie transparent gemacht werden. Ohne Kenntnis der fachsprachlichen beziehungsweise fachkommunikativen Sprachhandlungstypik zur Konstitution der fachlichen Gegenstände (im Unterschied zur alltagsweltlichen Konstitution der Lebenssachverhalte) kann eine adäquate Vermittlung nicht gelingen.

Das diesjährige Symposion des Forschungsnetzwerks, das neben der Grundfinanzierung durch einen Anerkennungspreis im Jahr der Geisteswissenschaften zusätzlich durch die Stiftung der Universität gefördert wurde, hatte den Titel "Sprachliche Formationen des Wissens". Der erste Tag des Symposions war der öffentlichkeitswirksamen Präsentation der Netzwerkidee im Rahmen des Aktionstages "Sprache unter der Lupe" in der Alten Aula der Universität Heidelberg gewidmet. Im Zentrum des Aktionstags stand eine öffentliche Podiumsdiskussion der etwas anderen Art: Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen – und zwar der Molekularbiologe Konrad Beyreuther, der Historiker Edgar Wolfrum, der Ökonom Frank H. Witt und der Theologe Wilfried Härle – diskutierten über das Thema "Was heißt ‘Leben’ in Ihrer Wissenschaftsdisziplin?". Zeitgleich analysierten im Hintergrund Sprachwissenschaftler/-innen die Diskussion und versuchten zu ermitteln, welche Strategien die Diskutanten verwandten, um Begriffe zu besetzen, und wo sich Verständigungsprobleme in der interdisziplinären Debatte ergeben können.

Parallel fand ein "Jahrmarkt der Sprache" statt, den Studierende der Germanistik eigenständig präsentierten. Die verschiedenen Wissensgebiete des Forschungsnetzwerks (beispielsweise Medizin, Politik, Naturwissenschaft, Geographie, Kunst) stellten an kleinen Jahrmarktsständen exemplarisch gesellschaftlich umstrittene Debatten aus ihren Bereichen vor und zeigten, welche Rolle die Sprache dabei spielt.

Die folgenden beiden Tage standen im Zeichen der inhaltlichen Arbeit. Zunächst wurden in einem Vortragszyklus verschiedene theoretische Ansätze und Beschreibungsverfahren vorgestellt, so dass die Vertreter der einzelnen Wissensdomänen ihr Beschreibungs-instrumentarium abgleichen konnten. Im Anschluss wurden Untersuchungsaufbau und Ergebnisse aus einzelnen Forschungsprojekten präsentiert.


Prof. Dr. Ekkehard Felder ist Direktor des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg. Er ist Koordinator des For-schungsnetzwerks "Sprache und Wissen" und bereitet derzeit einen Sammelband mit dem Titel "Wissen durch Sprache" (Hrsg. Ekkehard Felder und Marcus Müller) vor, der im Jahr 2008 beim de Gruyter Verlag (Berlin, New York) in der Reihe "Sprache und Wissen" erscheinen wird.
Kontakt: felder@gs.uni-heidelberg.de
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