Meine herzensliebe Amanda – mein liebster Heini

Briefe Johann Hinrich und Amanda Wicherns (1837-1857)

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Thema des DWI-Institutsabends im 175. Jubiläumsjahr der Diakonie waren die Briefe Johann Hinrich und Amanda Wicherns, die von Prof. Dr. Gerhard K. Schäfer (Prof. em. für Gemeindepädagogik und Diakoniewissenschaft und ehem. Rektor der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum) und Pfrin. Heike Bährle (Johannes-Diakonie in Mosbach) vorgestellt wurden. Die Briefe boten bewegende Einblicke in Beobachtungen und Motive Wicherns auf seinen Reisen durch die ins Industriezeitalter aufbrechenden deutsche Lande sowie in das Ehe- und Glaubensleben von Johann Hinrich und Amanda Wichern.

„Ein Reich Gottes im Kleinen“, so hat Johann Hinrich Wichern seine Rettungshausidee betitelt. Wichern setzte sich für verwahrloste Kinder und Jugendliche aus den Unterschichten Hamburgs ein und gründete 1833 die Sozialeinrichtung Das Rauhe Haus in Hamburg. Damit entwarf er eine Sozialpädagogik, die für „sittlich verwahrloste“ Jungen und Mädchen gleichermaßen vorgesehen war. Die Idee Wicherns war, dass es ein Leben in familienartigen Wohngruppen bis zur Konfirmation geben sollte, um so auf ein Leben in Selbstständigkeit vorzubereiten. Rituale spielten eine große Rolle im Rauhen Haus. Womöglich ist auf Wichern bspw. die Idee des Adventskranzes zurückzuführen, der in der Adventszeit jeden Morgen zur Andacht angezündet wurde. Die Ausbildung von den sog. „Brüdern“ zu Helfern in und gegen Armut zeichnet die Erfindung der Sozialen Arbeit als Beruf ab.

Wichern selbst kam aus einfachen Verhältnissen, sein Vater verstarb früh und wider Erwarten konnte Johann Hinrich das Theologiestudium in Göttingen und Wien durch Stipendien 1832 absolvieren; wegen Pfarrstellenmangel wurde er Oberlehrer. 1835 heiratete er Amanda Böhme, seine Mitarbeiterin in der Inneren Mission - neun Kinder wurden beiden geschenkt, von denen acht Kinder das Erwachsenenalter erreichten.

Pic1Da Johann Hinrich seinen Wirkungsradius über Hamburg hinaus ausweiten und für den Aufbau von weiteren Rettungshäusern werben wollte, reiste er durch Deutschland. Während der verschiedenen Reisen ist ein Briefwechsel mit seiner Frau Amanda bis heute erhalten geblieben. Da 357 Briefe von Johann Hinrich und nur 30 von Amanda erhalten sind, wurde die Vermutung geäußert, sie habe ihre privaten Briefe selbst vernichtet. Prof. Schäfer spricht sich dagegen aus, da ihm plausibler scheint, dass die Briefe auf den vielen Reisen verlorengegangen bzw. nicht systematisch gesammelt worden sind.

Die im Wechsel gelesenen Ausschnitte der Briefe von Amanda und Johann Hinrich Wichern geben zunächst private Einblicke in das vertrauensvolle Verhältnis der beiden Eheleute zueinander sowie in die Familiensituation mit den gemeinsamen Kindern. Während der langen Reisen von Johann Hinrich zeigt sich immer wieder Amandas Zuspruch zu Mut und Zuversicht, wie es in ihrem Brief vom 17. Hochzeitstag, dem 29.10.1852, heißt. Diesen Zuspruch kann Johann Hinrich deshalb gut gebrauchen, da er mit seiner Idee der Inneren Mission viele, auch innerkirchliche Gegenstimmen auslöste. So galt seine Missionsarbeit den Hannoveraner Kirchenräten Petri und August Friedrich Otto Münchmeyer lediglich als „Schlinggewächs am Baum der Kirche“ – ein Vorwurf, der Wichern sehr getroffen hat.

Screenshot 20230711-194046 ZoomImmer wieder fällt in den Briefen auf, mit welcher Grundhaltung Johann Hinrich seine Mission beabsichtigte: Ein Netzwerk der Liebe im Sinne der Nächstenliebe zu spannen war für ihn oberste Priorität und er sah darin den Auftrag Jesu Christi. Die 1848 in Deutschland proklamierte Revolution machte die weite Verelendung in der deutschen Gesellschaft sichtbar, sodass Johann Hinrich gerade jetzt deutlichen Handlungsbedarf seitens der Kirche sah. Im Hinblick auf das Priestertum aller Getauften sah er zudem die Grundaufgabe, aus Worten aktive Taten werden zu lassen und sich dementsprechend zwischenmenschlich einzusetzen. Dabei betonte er die Relevanz dieses Glaubenszeugnisses, das für ihn gewichtiger war als nur die kirchliche Verkündigung der rechten Lehre seiner Zeit.

Als Mitbegründer*innen der heutigen Diakonie haben Johann Hinrich Wichern und seine Frau Amanda einen Grundstein der modernen Wohlfahrtspflege in Deutschland gelegt. Getreu dem Motto „das Volk ist hungrig und dürstig nach göttlicher Gerechtigkeit“ wurde die Arbeit gegen soziale Notlagen verknüpft mit der Botschaft des Evangeliums. Es ist unverkennbar, dass die gegenseitige Ermutigung zwischen Amanda und Johann Hinrich sowie ihr in den Briefen beschriebenes Gottvertrauen beide stark geprägt haben.

Für die weitere Beschäftigung bietet sich das bei Vandenhoeck & Ruprecht neu erschienene Buch Mein liebster Heini– meine herzensliebe Amanda. Amanda und Johann Hinrich Wichern – Briefe in Auswahl 1837-1857 von Gerhard K. Schäfer (Hg.) an.

 

Verfasst von Kala Neuschwander.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 15.08.2023
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