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TransferGroße Landesausstellung zur Klosterinsel Reichenau

8. Mai 2024

Heidelberger Wissenschaftler mit neuen Forschungsergebnissen beteiligt – Universitätsbibliothek leiht wertvolle Handschrift aus

Das einstige Königskloster Reichenau – auf einer Insel im Bodensee gelegen – zählte im Mittelalter zu den größten „Wissensspeichern“ in Europa und war ein wichtiger Impulsgeber für kulturelle und politische Entwicklungen. Die historische Bedeutung der heutigen UNESCO-Welterbestätte steht im Mittelpunkt der diesjährigen Großen Landesausstellung in Baden-Württemberg, die in Konstanz zu sehen ist. Zwei Wissenschaftler der Universität Heidelberg, der Latinist Prof. Dr. Tino Licht und der Kunsthistoriker Prof. Dr. Matthias Untermann, haben zu dieser Ausstellung mit neuen Forschungserkenntnissen zum St. Galler Klosterplan sowie zur Frühgeschichte des Klosters beigetragen. Zudem hat die Universitätsbibliothek Heidelberg mit dem Petershausener Sakramentar eine ihrer wertvollsten Handschriften als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Eine Illustration daraus dient zugleich als Leitmotiv der Großen Landesausstellung, die noch bis zum 20. Oktober 2024 gezeigt wird.

Petershausener Sakramentar

Gegründet durch den Heiligen Pirmin im Jahr 724, entwickelte sich das Kloster Reichenau in der Folgezeit unter den Karolingern nicht nur zu einem religiösen, sondern auch zu einem geistig-kulturellen Zentrum Europas. Der Legende nach sei die Insel zuvor unbewohnt und verwildert gewesen. Mit der Neuauswertung archäologischer Befunde – insbesondere zu den Kirchengebäuden – vertritt Prof. Untermann jedoch die These, dass es eine Vorbesiedlung gegeben haben musste. Die in der Ausstellung präsentierten neuen Erkenntnisse des Heidelberger Wissenschaftlers werfen ein neues Licht auf die Vorgeschichte der Klosterinsel. Matthias Untermann, Wissenschaftler am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg, gilt als Experte für mittelalterliche Sakralarchitektur und war federführend an dem erfolgreichen UNESCO-Antrag für Reichenau beteiligt. Damit wurden im Jahr 2000 die drei mittelalterlichen Kirchen, die einst zum Kloster gehörten, als einzigartiges Ensemble karolingischer und ottonischer Baukunst in das Weltkulturerbe aufgenommen.

Zu den wichtigsten Dokumenten des europäischen Mönchtums zählt der St. Galler Klosterplan, der im 9. Jahrhundert im Kloster Reichenau entstanden ist und in der Ausstellung gezeigt wird. Als Kenner dieser einzigartigen Visualisierung einer Klosteranlage im Frühmittelalter mit darin verzeichneten Gebäuden und dazugehörigen Texten weist Prof. Licht nach, dass der bedeutende lateinische Autor Walahfrid Strabo an der Entstehung des Klosterplans als junger Mönch beteiligt war. Nach den Worten von Tino Licht, der die Abteilung Mittellatein am Historischen Seminar der Universität Heidelberg leitet, eröffnet das neue Perspektiven für die genaue Datierung dieses historischen Dokuments wie auch für die weitere Erforschung des Werkes und der Person Walahfrids, der 838 schließlich zum Abt des Klosters Reichenau ernannt wurde.

Neben dem St. Galler Klosterplan entstanden im Reichenauer Skriptorium – der Schreibstube des Klosters – herausragende Zeugnisse der ottonischen Buchmalerei, die heute zu den wertvollsten Prachthandschriften weltweit zählen. Dazu gehört auch das um 980 hergestellte Petershausener Sakramentar, das sich im Besitz der Universitätsbibliothek Heidelberg befindet. Die illustrierte Handschrift fand in Gottesdiensten Verwendung. Aufgenommen wurden Dokumente für Heiligenmessen, Kreuzfeste und Votivmessen sowie für Salz- und Wasserweihen. Neben den Texten ist die Buchmalerei von besonderer Qualität. Dazu zählt die berühmte Darstellung der Maria-Ecclesia, die die thronende Maria als Mutter der Kirche zeigt; diese Illustration dient zugleich als „Key Visual“ der aktuellen Landesausstellung. Vermutlich nach einem Brand gelangte der Codex im 12. Jahrhundert nach Petershausen; von dort kam er im 19. Jahrhundert über das Kloster Salem im Rahmen eines größeren Ankaufs gemeinsam mit anderen Handschriften nach Heidelberg. Das Petershausener Sakramentar wird bis zum 22. Juli in der Konstanzer Ausstellung zu sehen sein und in dem Zeitraum einmal geblättert.

Die Große Landesausstellung 2024 mit dem Titel „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ wird bis zum 20. Oktober 2024 im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz gezeigt. Die historischen Originalschauplätze auf der benachbarten Klosterinsel sind in die Ausstellung einbezogen.