Rich Country Illusions

Grenzenloses Wachstum in einer begrenzten Welt

 

»Was wollen wir als Menschheit erreichen? Wollen wir zum Mars fliegen oder wollen wir das Leben sichern?« fragt Nnimmo Bassay, Menschenrechtsaktivist aus Nigeria. Der Träger der alternativen Nobelpreises spricht beim Kongress »Jenseits des Wachstums«, den Attac mit den SPD-,Grüne- und Linkspartei-nahen Stiftungen am 21./22.Mai in Berlin organisierte. Nnimmo Bassay spricht über sein Land und das Öl: »Billiges Öl für die Länder des Nordens heißt für Nigeria: kein sozialer Fortschritt.« Der Rohstoffabbau in den Ländern des Südens sei meist ein Rohstoffraub. Es fehle an Transparenz, Öl-Unternehmen und Staaten legten nicht offen wie viel Öl gefördert werde und zu welchem Preis. Was wollen wir als Menschheit erreichen? Die Auswirkungen unserer Lebensweise sind längst klar. Bereits 1972 kam der Club of Rome in seinem ersten Bericht zu der Erkenntnis, die Menschheit lebe über ihre Verhältnisse: Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als die Erde regenerieren kann.

Doch trotz Klimaveränderungen, trotz endlicher Ressourcen boomt der Verbrauch der Reserven der Erde. Alle Übereinkünfte den CO²-Ausstoß zu verringern verlaufen im Sand. Das Global Footprint Network berechnet: Seit 1980 verbrauchen wir jedes Jahr mehr als die Erde regenerieren kann. Der ökologische Fußabdruck der Welt ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Beinahe alle Ökonomien sind wachstumsorientiert. Das immer mehr, höher, weiter, größer, luxuriöser hat fatale Folgen. Wenn wir an der wachstumsorientierten Wirtschaftsweise festhalten, werden wir 2050 mehr als doppelt soviel verbrauchen, wie die Erde regenerieren kann. Das wird sich direkt auf das menschliche Leben auswirken: Wälder gehen zurück, Süßwasserreserven schrumpfen, der Treibhausgas-Ausstoß bewirkt Klimaveränderungen – um nur einige der Auswirkungen dieses Lebensstils zu nennen.

Natürlich verbrauchen nicht alle Länder mehr Ressourcen als die Erde regenerieren kann. Einige wenige leben dafür in besonderem Maße über ihre Verhältnisse. Um den Lebensstil Deutschlands dauerhaft zu ermöglichen bräuchte es fünf Erden, für den der USA acht. Die Folgen der unverantwortlichen Lebensweise des Nordens, wie der Klimawandel, treffen vor allem die Länder des Südens. Silas Siakor ist ebenfalls Referent des Postwachstumskongresses. Nach ihm gilt es zuerst die imperiale Lebensweise der Länder des Nordens hin zu einer globalen Umweltgerechtigkeit zu verschieben. »Und das geht, das sage ich ganz deutlich, nicht ohne Schrumpfung der Ökonomien und Wandel der Lebensweisen«, schließt der Gründer des Sustainable Development Institute Liberia.

Die Kultur des Wachsens

»Wer in einer begrenzten Welt an unbegrenztes Wachstum glaubt, ist entweder ein Idiot oder ein Ökonom«, sagte einmal der US-Ökonom Kenneth Boulding. Doch trotz der offensichtlichen Grenze einer Welt mit endlichen Ressourcen und begrenzten Regenerationsmöglichkeiten ist der Wachstumsgedanke nicht nur bei ÖkonomInnen tief verankert: Wachstum sei notwendig, verspreche Arbeitsplätze, Wohlstand und volle Staatskassen, ermögliche den Zurückgebliebenen Entwicklung, heißt es. Wirtschaftswachstum ist das erklärte Ziel von Politik und Wirtschaft fast aller Staaten. Im Hinblick auf dieses Ziel wird Politik gerechtfertigt, die den Profiteuren des aktuellen Wirtschaftssystems dient, werden soziale Einschnitte vorgenommen. Im Titel des Koalitionsvertrags der schwarz-gelben Bundesregierung kommt Wachstum an erster Stelle – vor Bildung und Zusammenhalt. Die Verehrung des Wachstums nimmt nahezu religiöse Züge an. »Die Wachstumsphilosophie liegt in der Moderne, sie verspricht das Paradies auf Erden«, sagt Michael Müller. Er ist Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität und Referent des Kongresses. Der Markt erfülle eine gottesähnliche Funktion: Er kann den Wohlstand aller garantieren. Dabei dient die Adam Smithsche »unsichtbare Hand« als Legitimation einer Moral mit der denkbar einfachen Maxime »Handle egoistisch.«

Der religiöse Charakter des Wachstumsgedankens zeigt sich auch im Glauben der ÖkonomInnen an eine dogmatisch verehrte Theorie, deren Wahrheitsanspruch sich mit nichts Geringerem als Naturgesetzen legitimiert. So wird die (neoklassische) Wirtschaftstheorie quasireligiös aufgeladen. Um im von dieser Theorie geleiteten Wirtschaftssystem anerkannt zu werden, wird von angehenden Ökonominnen und Ökonomen ein Glaubensbekenntnis zu den (natürlichen) Mechanismen des Marktes erwartet. Doch könnte die strukturelle Ebene nicht ohne eine kulturelle Basis wirken. Ergänzt wird der Wachstumsglaube in Wirtschaft und Politik durch eine individuelle Ebene. Arbeit und Konsum sind strukturierende Merkmale unserer Lebensweise, das Bedürfnis nach Konsum ist kulturell verankert und wird durch Werbung in Medien und im öffentlichen Raum, dem sich niemand entziehen kann, stetig reproduziert. Arbeit erfüllt eine identitätsstiftende Funktion und ein Mangel an ihr wird gesellschaftlich sanktioniert.

Wachstum und damit gleichgesetzt Wohlstand misst sich in wachstumsorientierten Volkswirtschaften am Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Summe der Waren und Dienstleistungen, die in einem Land pro Jahr produziert werden. Aber ist mehr auch gleich besser? Das BIP enthält nur die monetär honorierten Dinge, ehrenamtliche Tätigkeiten oder Hausarbeit finden keine Berücksichtigung. Die Waren und Dienstleistungen werden ohne Differenzierungen addiert, so dass beispielsweise Autounfälle zum Wachstum des BIP und somit des Wohlstands beitragen. Auch werden ökologische und soziale Folgen nicht gemessen, so steigert das Abholzen des Regenwalds ebenso das BIP, wie die monetären Kosten eines Krieges.

Entwachsen

Der Kongress zeigt mit seinen 2500 TeilnehmerInnen, dass Wachstumskritik breiter diskutiert wird. Décroissance in Frankreich, Degrowth in Großbritannien und Postwachstum oder Entwachstum in Deutschland sind theoretische Ansätze und Bewegungen zugleich. Sie stehen nicht nur für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wachstumsparadigma kapitalistischer Ökonomien, auch werden Reformansätze entwickelt, die auf eine Abkehr vom Wachstum zielen. Dabei haben die Ansätze des Entwachsens nichts zu tun mit den Rezessionen einiger Volkswirtschaften in Folge der Wirtschaftskrise. Entwachsen heißt bewusstes Schrumpfen des Ressourcenverbrauchs. Ein sich Bewusstmachen, dass ein Wandel in der Lebensweise, des Konsumverhaltens notwendig ist und dieser demokratisch zu gestalten ist. Dabei geht es auch darum den Wohlstandsbegriff neu zu definieren, in den Überflussgesellschaften steigert sich das Wohlbefinden nicht mehr durch ein mehr an Konsum. Die Idee ist, durch ein Mehr an selbst gestaltbarer Zeit die Lebensqualität zu steigern. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Lohn ist in viele der Entwachstums-Ansätze integriert. Diese Umverteilung basiert auf dem Gedanken, es gäbe in den Ländern des Nordens bereits genug, so dass ein weiteres Wachstum durch Umverteilung ersetzt werden könne.

Die Antwort der Grünen ist der Green New Deal. Die Umstellung auf grünes Wachstum, eine Förderung der Wirtschaftsbereiche, die auf regenerative Ressourcen zurückgreifen. Dieser Ausweg aus dem Wachstumsdilemma ist Gegenstand heißer Diskussionen auf dem Kongress in Berlin. Der Green New Deal geht von der Annahme aus, dass sich durch technischen Fortschritt und Effizienzsteigerung Wachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln lassen, wenn auch nicht absolut, doch zumindest so weit, dass der Ressourcenverbrauch zurückgeht – trotz weiteren Wirtschaftswachstums. So sei doch zumindest eine relative Entkoppelung möglich, so dass der Ressourcenverbrauch im Vergleich zum Wirtschaftswachstum nicht gleich stark steigt. »Der Green New Deal stellt den Wachstumsgedanken nicht in Frage«, sagt Michael Müller. »Solange RWE zum Ziel hat mehr und mehr Strom zu verkaufen, können wir noch so effizient sein, Nachhaltigkeit erreichen wir nicht.« Mit einer Effizienzsteigerung  müsse auch Suffizienz einhergehen.

Tilmann Santarius von der Heinrich Böll Stiftung sitzt neben Müller auf dem Podium. Den Rebound-Effect nennt er dieses Phänomen. Eine Effizienzsteigerung sei auch mit einem mehr an Konsum verbunden. So würden, sollten beispielsweise Autos nur noch drei Liter verbrauchen, mit den freigewordenen Mitteln andere ressourcenverbrauchende Güter gekauft. Weiter kritisiert Santarius, dass die Bilanz des Return on Energy Invested bei den erneuerbaren Energien ungünstig sei, da verhältnismäßig viel Energie aufgewendet werden muss, um Solar- oder Windenergie überhaupt erst nutzbar zu machen. Santarius warnt zudem vor dem Rich Country Illusion Effect: Reiche Länder verlagerten ressourcenintensive Produktionen häufig ins Ausland, so werde die eigene Bilanz geschönt. Rechne man den importierten Ressourcenverbrauch in die Bilanz hinein, sehe diese ziemlich düster aus. Diese vom Green New Deal nicht berücksichtigten Phänomene verlangten nicht nur eine Substitution der Technologien, sondern auch eine Suffizienz der Bedürfnisse.

Nnimmo Bassay verweist auf eine weitere Dimension des Rich Country Illusion Effects hin: »Die Idee des grünen Wachstums verschleiert, dass auch für grüne Technologien Rohstoffe gebraucht werden«, sagt er. Diese Rohstoffe seien teilweise sehr selten, verunreinigten bei ihrem Abbau das Trinkwasser in der Umgebung. Für Bassay und Siakor allzu bekannte Unternehmen, wie Siemens und Total steigen gerade in das Geschäft der grünen Technologien ein. »Wieso sollte sich an der Praxis des Rohstoffraubs in Afrika etwas ändern?«, fragt Bassay. Ein grüner Anstrich mache diese Unternehmen nicht verantwortungsvoller.

Nina Marie Bust-Bartels

erschienen in un!mut no. 211: Grenzen (30. Mai 2011)

Letzte Änderung: 17.03.2012
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